Wenn man ihn selber vorlesen hört - auf der beigelegten CD zum Beispiel - dann hat man von Ahne so ein Bild vor Augen: junger Lesebühnenautor, zwar schon mit einigen Schrammen im Leben durchgekommen, aber durch nichts aus der Ruhe zu bringen und mit echtem, trockenem Berliner Humor, der durch die Texte schimmert. Altwerden kann dem Burschen gar nicht passieren. Wie denn?

Aber die Wahrheit ist: Ahne ist auch schon in einem Alter, in dem man anfängt, ein bisschen anders über all das nachzudenken – Gesundheit, Zahnarzt, Kinder, die Vergänglichkeit des Lebens, das Leben mit wenig Geld im Portemonnaie, Haustiere, Enkel … alle die Dinge, die auf einmal da sind. So wie die Frage: Und, wo bleibt nun das Abenteuer? War’s das?

Hätte man zwar eigentlich nicht vermutet, dass auch die kessen Lesebühnenautoren aus Berlin mal in das Alter kommen. Aber man vermutet ja oft das Falsche. Dass Leute wie Ahne, die schon in längst vergessenen DDR-Zeiten nur mit einer gewissen Eulenspiegelhaftigkeit all die Zumutungen ertrugen (Soljanka und Letscho-Steak in der Schulküche zum Beispiel oder den doppelbödigen Spottvers „Petze, Petze ging in’n Laden“), die gegenwärtigen Zeiten und Zustände viel gelassener nehmen. Gespottet hat Ahne ja schon genug darüber, die ganze biedere Chose Wirklichkeit mit freundlicher Ironie analysiert, als wäre es eine kaputte Waschmaschine oder ein seltsames Tier, das sich in seine Wohnung verirrt hat.

Denn dass die Gegenwart aufs Höchste seltsam ist, das merkt man ja schnell, wenn man nur aufmerksam durch die Gegend läuft, zuschaut, wie eigenartig sich die Mitmenschen mittlerweile benehmen, vielleicht auch: wie misstrauisch. Da kann man ja schon ins Grübeln kommen, wenn alle Kanäle voll sind mit reiner Terror-Hysterie. Und was ist mit Griechenland?

Ahne ist kein Biertisch-Philosoph, eher ein stiller Grübler. Deswegen sind seine ersten Gedanken zwar auch so ein neckisches Stutzen, das bei anderen Leuten dann schon der erste Turbo zur aufkommenden Panik ist. Hilft ja nichts: Wer sich das Denken abgewöhnt hat, der hat heutzutage echt ein Problem. Der kommt einfach nicht mehr mit. Das große Spiel ist sichtlich komplizierter, denn die Leute, die sich die Reichtümer der Welt einsacken, spielen ein etwas vertrackteres Spiel. Eigentlich ein tragisches, denn man sieht zwar die Opfer des Spiels – aber nicht die Gewinner. Und so kommt Ahne ganz von allein nach dem ersten „schlümmen“ Gedanken auf den zweiten und dritten – und der eine ist schon tiefes Verständnis, der nächste Mitgefühl. Irgendwann wird es eigentliche eine traurige, fast melancholische Geschichte. Und Philosoph war Ahne ja schon immer, schon damals, als er als Nachrücker mit auf die Reformbühne Heim & Welt kam, womit ja seine Karriere begann. Klamauk war nicht so sein Ding und ist es auch heute nicht. Er geht immer von sich aus, seinem eigenen Leben hienieden mit Familie, alltäglichen Malheuren und natürlich Gott, den er nun schon in vier Sammelbänden besucht hat in der Choriner. Manchmal streiten sich die beiden, hat der eine schlechte Laune und der andere gute, mal fühlt sich Ahne veräppelt, manchmal auch Gott.

Aber auch wenn ihre kurzen Dialoge über die Welt, das Leben und die kleinen Ungeschicklichkeiten des Alltags irgendwie auszugehen scheinen wie unentschiedene Hahnenkämpfe, bleibt doch so ein Gefühl hängen wie: Stimmt, wir sollten uns wirklich nicht so wichtig nehmen und nicht immer wieder auf den ganzen Zirkus hereinfallen.

Auch wenn man dem Zirkus nicht entkommt. Auch Ahne nicht. Die Nachrichten schwappen auch in sein Leben. Die ganzen Nachrichten von Umweltverschmutzung, Konsumrausch, Waffenexporten in Regionen, in denen sowieso schon der Krieg tobt, ertrinkenden Flüchtlingen, Terroristen … Logisch, dass Ahne erst mal im Kopf so eine Art Testament schreibt, bevor er tapfer in die S-Bahn steigt. Aber zwischendurch hat er sich mit freundlichen Worten über die latente Angst auf allen Kanälen lustig gemacht. Denn ein Problem scheint ja wirklich zu sein: Gerade die unwichtigsten Menschen nehmen sich unheimlich wichtig und füllen die Welt mit ihrer Panik, dass sie einfach verschwinden könnten.

Ahne lässt sich einfach mal gleich selbst verschwinden in den Tiefen der Zeit, taucht wieder auf und findet es so im Nachhinein – gar nicht schlimm. Da und dort berührt er die Ur-Frage aller Lesebühnen, die ja auch deshalb gedeihen und das Publikum in die nächtlichen Lokale locken, weil sie eine Sehnsucht ansprechen: unsere Sehnsucht nach einem anderen, weniger falschen Leben, in dem wir nicht immer nur funktionieren müssen. Nicht immer losstürmen müssen, als seien ausgerechnet wir das Sondereinsatzkommando, das die Welt retten soll: „Träumen. Warum nicht ein Träumer werden? Oder sich einen Käfig bauen, ans Bett, in dem man sicher ist.“ Sagt er als Vater zu seinem genauso verträumten Sohn.

Denn den Widerspruch erleben ja auch die Leser und Zuhörer. Wir leben in einer Welt der Phantasielosen, in der es für Träumer Spott und Hohn hagelt. Phantasielose haben keine geistigen Zufluchtsräume mehr. Deswegen geraten sie in Panik, wenn sie merken, dass ihre Vorstellung von der richtigen Welt ein Lügengebäude ist.

Peinlich genug, wenn diese verflucht ernsthaften Phantasielosen aus ihrer Trutzburg von Lebenslügen dann in die Welt schreien: Lügenpresse.

Diese Narren.

Aber die verirren sich natürlich nicht in Leseabende von Lesebühnen. Das wäre wohl zu fremd und verstörend, so zuhören zu müssen, wie gar nicht mehr so junge und flippige Autoren noch immer davon erzählen, dass die verwaltete Welt eigentlich nicht auszuhalten ist, dass man eigentlich doch lieber richtig im Jetzt leben möchte, nicht in diesem ständig versprochenen Irgendwann, wohin alle eilen und rasen, mit Handy am Ohr und grimmiger Miene. Oder schon mit glasigem Blick, weil sie vom Transportband geflogen sind und im Abseits gelandet. Eine Gesellschaft, die so vom Konsum besessen ist (und wo das Fehlen einer bestimmten Schokoladensorte im Supermarkt schon zur Katastrophe werden kann), produziert natürlich zwangsläufig Verlierer, macht Menschen zu Abfall.

Wer noch so aufmerksam hinschauen kann wie Ahne, merkt es noch. Und gesteht sich selbst noch ein, dass es ein Recht auf Traurigkeit geben muss. Etwa im Herbst, wenn die vage Ahnung aufkommt, dass der erste Schnee des Jahre auch der letzte sein könnte, den man sieht. Quasi eine doppelte Midlife-Krise – wobei das auf Ahne gesagt eigentlich falsch ist. Denn dieses Wissen, wie zerbrechlich und leicht verlierbar alles ist, die Welt, die Liebe, das Kinderlachen – das war bei ihm immer da. Oft genug ist er ja zu Gott in die Choriner marschiert, weil er eigentlich von einem, der es wissen müsste, nur mal Trost und Rat haben wollte. Was er so nie gesagt hat. Dazu ist er zu sehr ein echter, schnodderiger Berliner. So wie Gott auch. Da begegnen sich dann zwei …

Übrigens auch in diesem Buch. Die neuen Zwiegespräche mit Gott sind locker eingestreut zwischen die nachdenkliche, fast philosophische Prosa, mit der Ahne sein Publikum entführt – regelrecht vom Weg abbringt. Seine Texte sind wie völlig ungeplante Spaziergänge durch den Kiez. Da kann er fast frustriert mit den Dummheiten der großen Politik und den phantasielosen „Fahnen schwenkenden Patrioten“ beginnen, einem Mütterchen beim Beklautwerden auf der Straße zugucken, sich über die Vergänglichkeit der Zeit Gedanken machen – und am Ende sehnt er sich an ein warmes Plätzchen am Äquator. Wobei ihn die Frage verunsichert, ob man da dann auch lange Unterhosen trägt.

Wer zuerst das Buch liest, hat nicht Ahnes freundlich ironische Stimme im Ohr. Der liest die vielen Untertöne mit, in denen Ahne – stärker noch als früher – den ganz menschlichen Zwiespalt auslotet zwischen dem Wissen um die Vergänglichkeit aller schönen Dinge – und den Trost, den sie trotzdem bieten, wenn man sich nur den Moment nimmt, sie wieder wahrzunehmen. Was selbst in Berlin möglich ist. Erst recht, wenn er den eigenen Kindern beim Lebendigsein zuschaut. Da driftet er zwar auch ab, beginnt im Kopf weite philosophische Ausflüge. Aber am Ende landet er wie ein kleiner satter Spatz und schreibt solche Sachen wie: „Ich jedenfalls bin Optimist. Ich denke, wir schaffen das schon, wir kommen schon zurecht, wir Mädchen. Und wir Jungs, aber erst später.“

Natürlich hat er es mit der Zeit. Und erzählt damit quasi ganz beiläufig, was den Phantasielosen völlig fehlt: Die Fähigkeit, über das kleine, enge Jetzt hinauszuleben. Oder gar zu denken.

Müssen wir die Phantasielosen hier erwähnen? Na ja, manchmal ist das wichtig. Gerade in Zeiten, in denen sie alle Kanäle verstopfen mit ihrer piefigen, aufgeblasenen Panik. Und damit die Welt wieder ein Stück enger machen, kleinkarierter, überwachter und trister. Auch deshalb gibt es ja Lesebühnen, wo sich im Lauf der Zeit eine Menge nachdenklicher, phantasiebegabter Autoren zusammengefunden haben, die ihren Zuhörern jeden Abend oder einmal im Monat das Gefühl geben, dass sie nicht allein sind mit der Erfahrung, dass da draußen irgendwas gewaltig schiefläuft. Da muss man gar nicht erst Gott fragen, kann man aber. Und bekommt auch die richtige Antwort, die manchmal auch eine Frage ist: „Biste denn enttäuscht worn, vonne Zukunft?“

Ahne: „Ach wat, Gott. Die is ehmd nur noch nich da, die Zukunft.“

Tipp: Am 18. Mai landet Ahne mal wieder in Leipzig in Horns Erben in der Arndtstraße. Da liest er dann ab 20 Uhr aus „Ab heute fremd“ im Voland & Quist Literatursalon. Er singt übrigens auch, kündigt er an. Was das für freche Weisen sind, ist unter anderem auch auf der beigelegten CD zu hören.

Ahne Ab heute fremd, mit CD, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2016, 14,90 Euro.

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