Es klappt nicht immer, aber zu manchen Ausstellungen schafft es das Stadtgeschichtliche Museum auch einen Katalog herstellen zu lassen, der thematisch noch einmal bündelt, was zu sehen ist, Hintergründe erklärt und die ausgestellten Objekte noch einmal würdigt. Das ist zur Ausstellung „Luther im Disput“ wieder gelungen.

Immerhin ist es eine, die punktgenau in die Zeit passt. Die Luther-Dekade rollt auf ihren Höhepunkt zu. Am 31. Oktober 2017 jährt sich zum 500. Mal der Thesenanschlag in Wittenberg. Den es so vielleicht nicht gegeben hat. Es fehlen die eindeutig belastbaren Dokumente. Veröffentlicht hat Luther seine 95 Thesen auf jeden Fall – auf Latein. Er wollte ja wirklich mit gelehrten Leuten disputieren über den von ihm kritisierten Ablass, über Sündenerlass und Gnade. Dass seine Aufforderung zum Disput zum Politikum werden würde – wahrscheinlich ahnte er es. Auch wenn er wohl nicht ahnte, welche Folgen das haben würde.

Und Leipzig ist dafür eigentlich der Ausgangspunkt. Hier kam es im Sommer 1519 zum Disput zwischen dem Theologen Johannes Eck aus Ingolstadt und Luther – eigentlich eher mit Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt. Luther stieg erst später ein in die Disputation, die die Weichen stellen sollte für alles, was danach geschah. Und was in der kleinen Ausstellung im Alten Rathaus jetzt an historischen Artefakten greifbar wird.

Es ist im Grunde ein fester Bestandteil der historischen Ausstellung im Alten Rathaus, in dem die ersten 800 Jahre Stadtgeschichte gezeigt werden. Es ist der erste Ausstellungsteil, der auf Grundlage der neueren Forschungsergebnisse, die 2015 mit den Publikationen zum 1.000. Jahrestag der Leipziger Ersterwähnung fruchtbar wurden, umgebaut und auf neuesten Stand der Forschung gebracht wurde. Man weiß seit den (Vor-)Arbeiten zur vierbändigen neuen Stadtgeschichte deutlich mehr auch über Leipzigs Mittelalter und Neuzeit. Es wurden einige alte Legenden aufgeräumt, etliche einfache Deutungen noch aus Gustav Wustmanns Zeiten hinterfragt und viele Dokumente neu interpretiert.

Das Ergebnis rückt just die Leipziger Disputation an einen deutlich prominenteren Platz in der Reformationsgeschichte – mitsamt der Buchstadt Leipzig, die die große Plattform war für Luthers Gedanken und Schriften. Was in einem Extra-Kabinett zu besichtigen ist: Es waren die Leipziger Buchdrucker, die schon ab 1517 die Arbeiten Luthers in alle Welt verbreiteten und den Worten des Wittenberger Professors eine Wirkung verschafften, die sich der zweifelnde und immerfort suchende Mönch nicht erwartet hätte. So jedenfalls nicht. Wir haben heute immer den wohlgenährten und ehrwürdigen Luther vor uns, den Mann, den erst die emsige Katharina aus dem hageren Mönch gemacht hat.

Als Luther und seine Begleiter zusammen mit 200 bewaffneten Studenten aus Wittenberg nach Leipzig kamen, war er noch immer der magere Mönch, bei dem man alle Knochen zählen konnte. In gewisser Weise ein Eiferer für sein Werk, denn das, was hinter den 95 Thesen stand, das hatte er sich in seiner Wittenberger Zeit hart erarbeitet – direkt am Bibelstoff und aus den Briefen des Paulus, wo er jene wichtige Schlüsselzeile fand, die ihn aus seinen schlimmsten Seelennöten befreite: Erlöst wird der Gläubige nur durch die Gnade Gottes. Durch nichts anderes.

Dem heutigen Zeitgenossen ist es kaum vorstellbar, wie sehr dieses „sola fide“ in der Luther-Zeit als befreiend empfunden wurde – und gleichzeitig die ganze päpstliche Kirche infrage stellte. Was sich Luther bis Leipzig so in aller Konsequenz noch nicht ausgemalt hatte. Aber der kluge Professor Eck hatte den Braten gerochen. Denn er wusste, dass vor Luther schon mal einer genau diesen Weg gegangen war und sich dabei auf die Bibel berufen hatte: der Prager Professor Jan Hus. Denn wer sich so konsequent wie Martin Luther nur auf die Bibel als einzige schriftliche Grundlage („sola sricptura“) berief, der stellte sämtliche Konzilen und päpstlichen Bullen infrage. Der stellte tastsächlich die theologische Machtfrage. Und in genau diese Ecke disputierte Johannes Eck den kampfeslustigen Luther.

Selbst in diesem Katalog wird das noch wie eine Falle geschildert, die der Fuchs aus Ingolstadt dem Wittenberger stellte. Aber beide Kontrahenten gingen aus der Disputation mit dem Gefühl, den Sieg davongetragen zu haben. Eine politische Dimension erhielt die Begegnung erst durch die Reaktion von Herzog Georg, den Gastgeber der Disputation, die in der Hofstube des herzoglichen Schlosses an der Südwestecke der Stadt stattfand. Von dem man nur rudimentär weiß, wie es aussah. Das authentischste Bild dieses Renaissanceschlosses zeigt der Holzstich von 1547, der die Schäden der Stadt nach der Belagerung im Schmalkaldischen Krieg zeigt.

Steffen Poser hat versucht, die beiden Kontrahenten in deftigen Kneipenmonologen einschätzen zu lassen, wie sie das Ende des Disputs empfanden. Die Texte sind im Ausstellungsraum zu hören. Im Katalog sind sie abgedruckt. Aber sie sind mehr Steffen Poser als Eck oder Luther. Womit sie freilich auch deutlich machen, wie sehr die Nachgeborenen immer wieder sich selbst hineininterpretieren in die historischen Vorgänge, über die wir aus unterschiedlichen, sich oft auch widersprechenden Quellen wissen.

Tatsächlich darf man bezweifeln, dass Martin Luther blind in Ecks Falle getappt ist. Dazu sind seine wütenden Äußerungen über Eck zu deutlich. Denn der Ingolstädter Professor war es, der mit ziemlicher Bosheit Theologie und Politik vermengte. Er beließ es nicht dabei, Luthers Haltung zu den päpstlichen Konzilen infrage zu stellen und damit die Deutungsmacht zu definieren. Er denunzierte Luther ganz öffentlich als Hus-Anhänger vor dem gastgebenden Herzog. Das mag er vielleicht toll gefunden haben, als cleveren Schachzug. Dass er aber nicht clever war, sondern ein rachsüchtiger Mensch, bewiesen dann seine ganz offiziellen Denunziationen Luthers beim Papst. Eck war es, der die päpstliche Justizmaschine ins Laufen brachte. Nicht mal der zornige Georg, der sogar viel Geduld bewies. Der Herzog wartete sogar den Wormser Reichstag von 1521 ab, bevor er wirklich drakonische Maßnahmen gegen die Lutheraner in seinem Herzogtum (zu dem Leipzig gehörte) ergriff.

Was natürlich nicht dokumentiert ist. Was nicht passiert, schreibt ja kein Mensch auf. Dafür wurde die Leipziger Geschichtsschreibung jahrhundertelang von den Erzählungen über Georgs Verfolgungen gegenüber den Lutheranhängern ab 1521 dominiert.

Das ganze Thema kann natürlich die kleine Ausstellung nicht ausleuchten. Sie kann nur komprimiert zeigen, was sich an Fundstücken zur Lutherzeit im Leipziger Stadtmuseum gesammelt hat und wie daraus eine komprimierte Erzählung wird mit den Themenschwerpunkten Ablasshandel, Disputation, der turbulenten Zwischenzeit bis zur Einführung der Reformation in Leipzig 1539 und dem, was dann draus geworden ist. Auch das ist ja ein Kapitel voller Anfänge. Denn da liegt der Beginn der reichen Universitätsbibliothek genauso begründet wie der Einzug der Universität ins alte Dominikanerkloster und ein ganzes Jahrhundert neuer Streitigkeiten – nun um die richtige Auslegung der Lutherschen Lehre.

Man lernt einige wichtige Leipziger Akteure kennen. Und vor allem wird viel Gedrucktes ins Bild gerückt. Denn die großen geistigen Schlachten fanden ab Luther in massenhaft verbreiteten Druckwerken statt. Auch die Disputation zwischen Luther und Eck wurde so zumindest aus zweiter und dritter Hand gedruckt überliefert. Eines zumindest macht der neu gestaltete Ausstellungsteil deutlich: Wie sehr unsere Sicht auf Geschichte von den Geschichten geprägt ist, die im Schriftgut die Oberhand gewonnen haben. Buch und Katalog lösen die alten, lange etablierten Geschichten ein Stück weit auf und zeigen vor allem die Ambivalenz dessen, was da im Sommer 1519 in Leipzig geschah. Jenem Moment, in dem Leipzig für kurze Zeit im Zentrum der Reformation stand, in dem sich der Dissens auftat, der künftig eine Reformation innerhalb der alten Kirche unmöglich machte.

Und egal, wie man es dreht: Luther war es nicht, der diese Unversöhnlichkeit in die Welt brachte. Das waren selbstverliebte Professoren wie Dr. Eck.

Volker Rodekamp (Hrsg.) „Luther im Disput. Leipzig und die Folgen“, Stadtgeschichtliches Museum, Leipzig 2017

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