Nein, nach Münster fahre ich ganz bestimmt nicht. Jedenfalls nicht wegen Münster. Jede andere Stadt, die in Lehmstedts Ein-Tag-Stadtführer-Reihe auftauchte, hatte es etwas Vertrautes oder Herzerwärmendes. Aber Münster? Münster besteht aus lauter Kirchen. Da tun einem schon beim Lesen die Füße und der Nacken weh. Und die Käfige hängen immer noch am Turm von St. Lamberti. So etwas nenne ich überhebliches Christentum.

Dass es die Münsteraner nicht leicht hatten, ist ja bekannt. Sie bekannten sich wie viele andere Städte in Westfalen früh zur Reformation, führten sie 1530 ein und das hätte es sein können. Aber seit 1174 regierten in Münster Fürstbischöfe. Was mit dem Kampf des viel verklärten Kaiser Barbarossa gegen die starken Sachenherzöge – im speziellen dem legendären Heinrich der Löwe – zu tun hat.

Worüber ja Sabine Ebert in ihrer gerade gestarteten historischen Serie „Schwert und Krone“ schreibt. Barbarossa war es, der den sächsischen Herzogtitel einkassierte und erst an Albrecht der Bär verlieh, der ihn nicht halten konnte. Später ging er trotzdem an die Askanier über und noch später an die Wettiner.

Und mit Münster hat das insoweit zu tun, als sich der erste Fürstbischof von Münster, Hermann II. von Katzenelnbogen, sofort auf die Seite Barbarossas schlug und sich vor allem eine für die Zeit besonders starke Kriegsmacht zulegte. Bis 1803 bestimmten die Fürstbischöfe das Leben in der Stadt, auch wenn die Bürger immer wieder versuchten, ihre Souveränität zu erkämpfen und gar freie Reichsstadt zu werden. Dann stand stets flugs der Fürstbischof mit seinen Truppen vor den Toren.

Und auch das mit der Reformation ging schief. Auch weil 1534 die Täufer in der Stadt das Regiment übernahmen und dabei deutlich über die Stränge schlugen. 1535 wurde ihre Herrschaft niedergeschlagen – die meisten Anführer flohen. Nur dreier wurde man habhaft, verurteilte sie, richtete sie hin und hängte ihre Leiber in den bis heute dort hängenden Körben an den Turm von St. Lamberti.

Wahrscheinlich klebt an jedem einzelnen Korb ein Schildchen vom Denkmalschutz.

Aber es macht keinen guten Eindruck. Es ist wie eine andauernde Rachsucht und vor allem ist es nachtragend. So geht man mit seiner Geschichte nur um, wenn man sie als moralische Fliegenklatsche benutzen möchte.

Nur so zum mitzählen: St. Lamberti ist erst die zweite von insgesamt neun Kirchen, von denen auch etliche daran erinnern, dass der christliche Glaube in der jeweiligen Fasson über Jahrhunderte keine freiwillige Angelegenheit war. Den Fürstbischöfen gefiel die protestantische Glaubenswahl der Münsteraner sowieso nicht. Sie starteten eine sehr massive Gegenreformation und holten 1588 auch die Jesuiten in die Stadt. Oder mal die kleine Glosse zum Thema Rekatholisierung zitiert: „Ein neuer Geist zog ein in die alte Hansestadt. Die Bigotterie wurde vorherrschend, und angesichts des stählernen Fanatismus der neuen Machthaber musste die Stadt nach und nach kapitulieren.“

Man merkt: Auch Steffi Böttger hat bei ihrem Rundgang durch alle diese Kirchen und das Universitätsquartier ein Unbehagen, das sie in Worte fassen musste. Vor allem, weil dieses Unbehagen ja so modern ist und einem gleich ganze Länder einfallen, in denen die Bigotterie wieder an die Macht gekommen ist und alles zurückdreht, was sich Demokraten vorher schwer errungen hatten. Die Abwicklung humaner Gesellschaften ist immer ganz einfach, weil die Brutalität der Zerstörer sonst friedliche Menschen in Angst und Schrecken versetzt, weil sie die Machtapparate okkupiert und dann mit Willkür straft, vertreibt und verbietet.

Die deutsche Geschichte steckt voller Geschichten. Und viele davon sind gar nicht gut.

Und stehen bleiben fast immer die Gebäude, in denen Menschen ausprobiert haben, wie man Menschen quält. Auch das fällt auf. Ob beim Zwinger (Station 25) oder beim Buddenturm (Station 37). Da übersieht man fast, welche Mühe sich die Münsteraner nach der Fast-Komplett-Zerstörung ihrer Altstadt im 2. Weltkrieg mit dem Wiederaufbau gaben. Und dann auch mit der Schaffung neuer Musen-Orte wie beim Theater oder dem LWL-Museum  für Kunst und Kultur. Auch beim Wiederaufbau des Rathauses hat man sich ja Mühe gegeben, auch die alte Ratskammer wieder herzustellen – immerhin war das ja der andere Part des Westfälischen Friedens – die Protestanten waren drüben in Osnabrück, in Münster verhandelten die Katholiken. Und da die Spanier auch gleich da waren, hat man auch noch den 80-jährigen Krieg um die Niederlande beendet.

Gibt es wenigstens einen Lichtblick für Leute, die eher mit dem Herzen reisen?

Ja, außerhalb, wenn man auch das Schloss der Fürstbischöfe und das bei den Studenten beliebte Kuhviertel hinter sich gebracht hat mitsamt der „Cavete“, wo möglicherweise auch ein künftiger Leipziger OBM sein Studentenbierchen trank. Da schaut man sich kurz den Aasee und den Hafen an – und man unterlässt ganz und gar nicht den Abstecher zur Burg Hülshoff und dem Museum Haus Rüschhaus, beides mit der bedeutensten Dichterin der Gegend verknüpft: Annette von Droste-Hülshoff. Das mit den Drosten erklärt Steffi Böttger natürlich auch und bestätigt das Gefühl nach mehreren dutzend Stadtführern: Adelstitel gibt’s in Deutschland wie Sand am Meer. Ganz zu Anfang waren sie allesamt mal Bezeichnungen für ganz normale Verwaltungstätigkeiten (so wie Meier und Schulze). Aber da sie ein bisschen mehr verwalteten, wurde aus der Amtsbezeichnung ein Titel, der dann auch noch vererbt wurde.

Was sagt uns das?

Adlige waren früher auch nur lauter Meier und Schulzes. Und ihr ganzer Adelsstolz ist im Grunde nichts als die vererbbare Arroganz von Verwaltern, die mit ihrer Verwalterei den Grundstock für große Vermögen legten. Ist also auch wie heute. Aber heute heißen die Leute Manager und lassen sich adelig entlohnen, wenn sie nach missglückter Verwaltung in die Wüste geschickt werden.

Wofür Annette nichts kann. Sie suchte die Einsamkeit in ihrem „Schneckenhäuschen“ im Rüschhaus, das heute Museum ist und das man im Rahmen von Führungen besichtigen kann.

Steffi Böttger Münster an einem Tag, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2017, 5 Euro.

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