Für FreikäuferEs bietet sich an, zum Reformationsjubiläum auch mal einen Adventskalender vorzulegen, der sich ganz und gar Martin Luther und seinem Verhältnis zum Weihnachtsfest widmet. Wann, wenn nicht jetzt? Noch einmal richtig selige Lutherzeit. Und ein kleines bisschen historisches Wissen. Denn Vieles von dem, was wir heute mit Weihnachten verbinden, kam erst mit Luther auf, etliches aber auch erst viel, viel später.

So wie der Weihnachtsbaum, den Luther noch nicht kannte. Für den Theologen war Adventszeit noch Fastenzeit. Eingebettet in ein kirchliches Festjahr, dessen Höhepunkt kein Geschenkewahnsinn war, sondern das in der Kirche gefeierte Fest der Geburt Christi, dem dann drei Tage mit Festessen im Familienkreis folgten.

24 einzelne Kalenderblätter bieten natürlich viel Platz, um sich in kurzen Texten mit einzelnen Zutaten des Lutherschen Weihnachtsfestes zu beschäftigen – Angefangen mit dem, was man über Luthers Kindheit und die damaligen Weihnachtsbräuche im Mansfeldischen weiß, über die Weihnachtszeit im Kloster in Erfurt und später Katharinas wochenlange Vorarbeit, um die Festzeit im Lutherschen Haus zu Wittenberg abzusichern.

Aber auch Luthers Beziehung zu älteren Bräuchen – wie dem Schenken am Tag des Heiligen Nikolaus und dem Kurrendesingen – werden beleuchtet. Die Forscher sind ja seit Jahrzehnten daran, jedes einzelne Detail herauszufinden – seien es die Umstände der Lutherschen Weihnachtstage von 1521 auf der Wartburg, seien es die Festmahle im Lutherhaus, die man anhand archäologischer Ausgrabungen rekonstruieren kann.

Der vielbeschäftigte Reformator, der in der Weihnachtszeit täglich zwei Mal auf der Kanzel stand, wird manches selbst nicht gewusst haben. Da hat er sich ganz auf seine emsige Hausfrau verlassen. Und manches wird ihn und Käthe auch nur wenig tangiert haben – so wie die Kreation des sächsischen Butterstollens, der für die Lutherzeit nur in fürstlichen Haushalten nachweisbar ist, oder die Anfertigung weihnachtlicher Spezereien, die zu seiner Zeit durch die exotischen Zutaten noch sehr teuer waren und ganz bestimmt keinen Weihnachtsteller füllten. Jedenfalls nicht so wie heute.

Und natürlich kommen etliche Ereignisse aus Luthers Leben ins Bild, die den Mann bei Arbeit und Leiden zeigen. Denn nicht jedes Weihnachtsfest hat er selig im Kreis seiner Familie erlebt – so auch nicht das letzte, das ihn schon in den mühseligen Verhandlungen mit den Mansfelder Grafen antraf, das Fest von 1521 sowieso nicht. Aber immerhin hatte die Zeit auf der Wartburg ja den schönen Effekt, dass der Nimmermüde da oben in seiner Kammer geradezu trübselig wurde und beschloss, die Zeit wenigstens zu nutzen, um das Neue Testament ins Deutsche – oder eben Kanzlei-Sächsische – zu übersetzen.

Das ist also ein alle Jahre wieder verwendbarer Kalender für alle Lutherverehrer. Beigelegt ist ihm auch noch eine CD, die in Zusammenarbeit mit dem Radiosender „MDR aktuell“ entstand und auf der man hört, wie die Texte eigentlich in der Radioredaktion entstanden. Denn hier hört man auch, wessen Mund die vielen Zitate im Kalender eigentlich entstammen. Die Radioreporter sind augenscheinlich ausgeschwärmt und haben in Wittenberg, Mansfeld, Zwickau, Leipzig usw. alle möglichen Leute gesucht, die sie zu Luther befragen konnten. So, wie man das aus den üblichen MDR-Fernsehsendungen kennt: Irgendeinen, der was dazu sagen kann, wird man ja wohl finden. Pfarrer, Bäcker, Theologen, Museologen oder – wie in Wittenberg – die Luther-Forscherin Elke Strauchenbruch, die das Meiste, was wir heute über Luthers Alltag wissen, in jahrelanger Kleinarbeit herausgefunden hat.

Zwischendurch klingt auch die Musik an, von der immer wieder die Rede ist. Denn mit dem Kirchengesang und seinen Weihnachtsliedern hat Luther ja die für ihn unfassbaren Zustände in den Kirchen erst aufgelöst, wo das Volk den Zeremonien schweigend zuschaute und lauschte – aber selbst nicht aktiv wurde, um irgendwie Gottesdienst zu feiern. Seit Luther wird in den Kirchen gesungen. Auch wenn man an einer Stelle erschreckt, wenn das Wort deutsch besonders betont wird.

Was ja stimmt. Aber der andere Teil der Geschichte fehlt: die simple Nachricht, dass bis dahin auch die Gottesdienste auf Latein zelebriert wurden.

Und wenn man erst einmal über so eine Stelle stolpert, wird man hellhörig. Erst recht, wenn man sowieso beim Hören schon das Gefühl hatte, dass hier ganz augenscheinlich wieder die MDR-eigene Heimatseligkeit in Szene gesetzt wird. Das beginnt mit Kommentatoren, die einem alles wie ein Märchen erzählen, mit salbungsvollem Unterton. So, wie man ihn aus dem MDR-Weihnachtsfernsehen kennt, wenn sich das ganze Land in ein seliges Weihnachtsland zu verwandeln scheint und aus allen Straßen liebliche Kinderstimmen Luthers Weihnachtslied „Vom Himmel hoch …“ erklingen lassen.

Es ist die Zeit, in der man wohl zu Recht das Gefühl hat, dass dieser Landessender eigentlich nur dazu da ist, eine zuckersüße Soße über alle Konflikte zu gießen und die Zuhörer und Zuschauer zu behandeln wie die schon etwas dementen Einwohner eines Seniorenheims.

Das kann nur mein eigenes Gefühl sein. Vielleicht täusche ich mich. Aber diese süße Soße hat mich schon vor Jahren davon abgebracht, einen Fernseher in meiner Wohnung stehen haben zu wollen. Ich fühle mich von dieser Glücksseligkeit schlicht nicht gemeint. Die dann auch noch so tut, als würde sie sich kritisch zu all dem Tinneff äußern, der heute für die Konsumberauschten die Weihnachtszeit ausmacht. Als wäre die Luthersche Innigkeit überhaupt noch lebendig in diesem Land. Ist sie aber nicht. Jedenfalls nicht ohne Brüche und außerhalb der geschmolzenen Kirchengemeinden.

Also klappe ich den Kalender in Zwiespälten zu. Er ist ein schöner adventlicher Anreger für Leute, die wirklich mal lesen wollen, wie das so war bei Luthers zu Haus. Da kann man die Bücher von Elke Strauchenbruch nur empfehlen. Die beigelegte CD – nu ja. Es soll ja Leute geben, die diesen MDR-Sound mögen. Vielleicht kennen Sie ja einen.

Stefanie Markert (Hrsg.) „Vom Himmel hoch. Mit Martin Luther durch den Advent“, Evangelische Verlagsanstalt, Edition Chrismon, Leipzig 2017, 14 Euro.

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