Zum Dies academicus 2017 konnte das Paulinum der Universität Leipzig endlich ganz in Betrieb gehen, war auch der Aula/Kirchenraum endlich fertig, das kniffligste und am heftigsten umkämpfte Stück an diesem Bau, mit dem nicht nur die Universität am Augustusplatz Gesicht zeigt, sondern auch die Stadt Leipzig. Denn in dem Bau steckt eine Menge „Trotz alledem“.

So ein typisches Leipziger „Trotz alledem“, auch wenn zur Eröffnung die Diskussion noch einmal aufflammte, ob der von Erik van Egeraat entworfene Raum nun mehr Kirche sein soll oder lieber gar keine, weil man Glauben und Wissenschaft nicht vermengen darf. Ein Streit, der so simpel nicht ist. Und der – das erwartet nicht nur van Egeraat – auch künftig immer wieder neu aufflammen wird. Was etwas Besonderes ist – auch an deutschen Universitäten. Es ist sogar ein Alleinstellungsmerkmal. Denn mit der Nutzung dieser Aula, die ganz bewusst Elemente der alten Paulinerkirche aufgenommen hat, wird auch immer wieder neu ausgehandelt: Wie gehen wir um mit solchen Räumen? Und mit Geschichte?

1968 meinten die Funktionäre und die Funktionierenden, „das Ding“ könne einfach weg. Und nicht nur die Theologen liefen Sturm, auch die Leipziger Bürger. Denn die Paulinerkirche war auch ein Ort der Kultur, der Musik vor allem. Hier dirigierte einst auch Bach. Und zwei Orgeln im Raum nehmen die große Orgeltradition der Paulinerkirche heute wieder auf, die seit dem 16. Jahrhundert eben auch universitärer Konzertort war. Der Universitätschor zieht mit anderen Musikensembles der Universität wieder ein. Und die Leipziger werden zu den Konzerten strömen. Auch weil der Raum mit dem helllichten Bezug auf den Innenraum der Kirche St. Pauli etwas ganz Besonderes hat. So besonders, dass auch die Bau- und Liegenschaftsverwaltung des Freistaats acht Jahre Verzögerung in der Fertigstellung in Kauf nahm, um diesen Raum genau so entstehen zulassen, wie er heute aussieht. Wobei die verschiebbare (und umstrittene) Glaswand für diese Verzögerung genauso eine Rolle spielte wie das besondere Glas für die eingekürzten Säulen, die auch gleichzeitig den Raum erhellen.

Zur endgültigen Fertigstellung hat die Universität jetzt auch eine reich bebilderte 100-seitige Broschur vorgelegt, die auf diese Vorgeschichte noch einmal eingeht. Jeder, der nicht dabei war und nicht Partei ergriff, wofür auch immer, kann das jetzt alles noch einmal nachlesen – auch in einfühlsamen Interviews mit den beteiligten Architekten. Denn man vergisst ja beinah, dass es seit 2002 nicht nur um den Neubau für das 1968 ebenso gesprengte Augusteum und das Paulinum ging, sondern um die komplette Neukonzeption für den in den 1970er Jahren entstandenen Uni-Campus. Dadurch, dass die anderen Teile, die von den Architekten Martin Behet, Roland Bonzio und Yu-Han Michael Lin verantwortet wurden, schon 2009 fertig waren und zum 600-jährigen Universitätsjubiläum 2009 auch in Betrieb gingen, hat sich der Fokus bei diesem großen Campus-Neubau faktisch nur noch auf das finale Puzzle-Stück konzentriert, das ja auch schon seit 2011 stückweise in Betrieb ging. 2011 war es das prächtige Neue Augusteum mit dem großen Hörsaal, das seiner Bestimmung übergeben wurde. Im Grunde gab es seit 2009 lauter Eröffnungsakte. Die Studierenden, die 2009 dabei waren, sind längst schon wieder ausgeflogen.

Deswegen ist es in diesem Band auch schön anschaulich, wenn man quasi mit den Architekten einen Rundgang macht, der alle neu gebauten oder klug umgebauten Teile des Campus noch einmal vorstellt, auf das Besondere aufmerksam macht, auf das Bewahrte und auch auf die vielen Kunstschätze und historischen Befunde, die man in den Gebäuden besichtigen kann. Auch als Besucher. Denn der Campus ist ja als offener Ort konzipiert. Er schottet sich nicht gegen die Innenstadt ab, sondern lädt regelrecht ein, mal durchzuflanieren – etwa die Herren Goethe, Leibniz und Lessing im Foyer zu besuchen, die Grabsteine im nachempfundenen Kreuzgang oder die beiden kontroversen Bilder von Tübke und Minkewitz, die die Konflikte der frühen DDR-Zeit sichtbar machen, wo die einen (in Tübkes Bild) mit wehenden Fahnen die neue Zeit herbeipropagierten und die anderen (im Minkewitz-Bild, das durch Erich Loest beauftragt wurde) unter der rabiaten Verfolgung dieser Funktionäre litten.

Diese Universität muss vieles in sich vereinen. Und dass sie das zeigt und erfahrbar macht, gehört zu den wichtigen Seiten an diesem sehr licht gewordenen Campus. Nicht nur Hörsäle und Seminarräume sind licht. Oft kann man auch hineinschauen in Arbeits-, Gesprächs- und Bibliotheksräume. Die Gebäude öffnen sich von drinnen nach draußen. Es ist wirklich ein Campus geworden, in dem sich nicht nur Zeiten und Baustile begegnen und miteinander harmonieren, sondern auch Drinnen und Draußen auf angenehme Art verbunden sind. Auch wenn im Lauf der Bauarbeiten manches noch gelernt werden musste – etwa die Sache mit dem Grün im Innenhof, wo das Denkmal von Gottfried Wilhelm Leibniz steht, als wäre er der Namenspatron der Universität, an der er selbst mal studierte.

Am Ende des Rundgangs, bei dem man auch erfährt, wie sich das Ensemble zur Moritzbastei, zur Universitätsstraße und zur Grimmaischen Straße öffnet, landet man ganz automatisch in Aula und Universitätskirche, lernt die nicht unwichtige Geschichte der Epitaphe, des Altars und der anderen Kunstwerke kennen, die sichtbar machen, wie eng verflochten St. Pauli immer mit Stadt und Bürgertum war. Und man erlebt noch einmal den langen Weg bis zur Fertigstellung dieses Raumes, in dem schon die beiden besonderen Orgeln zeigen, dass es hier auch um besondere Musik geht und dass man sich auf die Konzerte in diesem Raum freuen darf. Und wenn die Veranstaltung es erfordert, kann die Glaswand tatsächlich geöffnet werden. Dann wird auch der Aula-Raum kurzzeitig klimatisiert, so wie der Raum mit dem eindrucksvollen Paulineraltar und den prächtigen Epitaphen.

Tatsächlich macht der Band jetzt sichtbar, was für ein Schmuckstück aus dem Uni-Campus eigentlich geworden ist und dass selbst der heiß umkämpfte Kompromiss fruchtbar war. Und auch bleiben wird. Denn der Band zeigt auch, dass zwei Aspekte in dem Streit meistens ausgeblendet wurden: Musik und Geschichte. Beides ist wieder präsent – und zwar nicht irgendwo im Kämmerchen, sondern gut ausgeleuchtet und raumfüllend.

Beim nächsten Bachfest werden hier herrliche Konzerte stattfinden. Und die werden wohl ausverkauft sein. Bach hätte sich bestimmt gefreut über den Bau. Und mit dem Universitätsmusikdirektor heftige Schlachten darum geführt, wer hier nun dirigieren darf.

„Modern, markant, mittendrin. Die Universität Leipzig im Herzen der Stadt“, Universität Leipzig, Leipzig 2017, 16,90 Euro

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