Frauen machen Sachen. Vielleicht, weil die Männer die ganze Zeit vorm Fernseher hocken und Fußball gucken. Irgendetwas Gescheites muss man ja anfangen mit seiner Zeit. Und wenn der Bär im Wohnzimmer die ganze Zeit brüllt „Ihr Pfeifen! Haut das Ding endlich rein!“, dann ist natürlich auch keine Ruhe im Haus zum Lesen oder Musikhören. Also filzt man doch lieber. Oder frau.

Und Silvia Jacoby-Wirth tut es seit 2004 mit nicht nachlassender Begeisterung. Damals kam sie zum ersten Mal mit unversponnener Wolle in Berührung – und es muss ein umwerfendes haptisches Erlebnis gewesen sein. Und es hört nicht auf. Jedes neue Stündchen mit Vlieswolle, Kammzug oder Vorfilz wird zu einem herrlichen Moment für den Tastsinn.

„Filzen hat etwas Sinnliches und wer einmal mit dem Filzen anfängt, kann so schnell nicht wieder damit aufhören“, schreibt die Leipzigerin, die ihre LeserInnen hier einführt in eine Handarbeitstechnik, die Jeder und Jede zu Hause ausüben kann. Das Plätzchen dafür findet sich. Nur ein bisschen Nässe muss es vertragen, denn zum Filzen der Wolle braucht man immer wieder auch warmes Wasser. Der Rest scheint einfach. Da geht es um Drücken, Kneten, Reiben. Den eigentlichen Verfilzungsvorgang beherrscht die Schafwolle ganz von allein.

Was ja jeder weiß, der schon mal sein schönstes Stück aus Wolle unpfleglich behandelt hat. Aber beim Filzen gehört es dazu, da entsteht ein neuer Werkstoff mit neuen Eigenschaften – wärme- und feuchtigkeitsausgleichend. Gut geeignet für freche, selbst gestaltete Hüte, für Pulswärmer und Applikationen. Wobei die Hüte in diesem Buch nicht vorkommen.

Erst einmal geht es ja um die Grundtechnik, die Werkzeuge und Materialien, die man braucht, die Arbeitsbedingungen und die wichtigsten Informationen zur Wolle, die man (vielleicht zum Glück) nicht selber scheren und waschen muss. Die zur Verarbeitung fertigen Vliese gibt es direkt aus der Fabrik zu kaufen. Man muss nur wissen, wie man mit den unterschiedlichen Feinheitsgraden umgeht und welche Wolle sich für welche künstlerische Idee eignet.

Denn um künstlerische Ideen geht es eigentlich, um die Lust zum Selbermachen. Womit sich natürlich auch dieser Ratgeber einreiht in die wachsende Zahl stimmungsvoller und neugierigmachender Ratgeber-Bücher aus dem Buchverlag für die Frau. Wer eifrig sammelt, hat irgendwann eine ganze kleine Werkstatt voller Angebote, die einfach dazu einladen, das zu tun, wonach einem gerade ist. Filzen zum Beispiel – also die eigene Welt mit schönen und angenehm anzufühlenden Dingen zu bereichern.

Nachdem Silvia Jacoby-Wirth kurz erzählt hat, was man zur Vorbereitung alles beachten sollte (selbst ausrangierte Handtücher machen sich jetzt wieder nützlich – oder die ollen Gardinen, die man nicht mehr vors Fenster hängen möchte) und ein paar Tipps gegeben hat, die das Filzen einfacher machen, geht es auch schon los, wird ein Windlicht liebevoll mit einer Blümchenwiese eingefilzt und eine Wärmeflasche in eine romantische Filzhülle gekleidet. Wenn man schöne Dinge für die geliebten Mitmenschen anfertigt, gewinnt selbst das einsamste Hand-Werk auf einmal eine emotionale und hochgradig soziale Dimension.

Oder mal so gesagt: Diese ganzen Handarbeits-Ratgeber lesen sich, als säße man zusammen am Windlicht auf dem Balkon und würde zusammen lauter Gedankenfäden weben. Oder filzen, verfilzen. Man kann ja auch schöne anregende Gespräche so schön verfilzen lassen, dass sich alle dabei wohlfühlen und der Bär aus dem Wohnzimmer freiwillig den Krachapparat schnappt und in den Keller schafft.

Das Leben passiert nämlich nicht da, wo der meiste Krach ist, sondern da, wo Menschen miteinander ein Garn spinnen oder sich freundlich und filzend in die Wolle geraten. Angeregt zum Beispiel durch die herrlichen Armstulpen, die es zum Geburtstag gab, oder den elegant mit Rosen befilzten Schal der Gastgeberin: „Wie hast du das nur gemacht!“

Solche Fragen muss man da stellen. Und es wird ganz bestimmt spannend. Oder man gerät in Erinnerungen und Abschweifungen, wenn die märchenhaft bezipfelte Filzlampe leuchtet oder Mohnblumen über die Kaffeetafel ranken, die sich erst bei genauerem Hinschauen als gefilzt herausstellen. Wenn man dann auch noch die bunte Filzschlange und ihre Erschaffung erlebt hat, fragt man sich sowieso, warum Filz so einen schlechten Ruf hat.

Oder warum sich die verdächtigen Leute immer hinter Filz verstecken. Vielleicht, weil sie glauben, Filz sei doch eigentlich ein angenehmer Stoff – da kommen die Leute gar nicht auf kritische Gedanken. Nicht mal, wenn ein ganzes Gedeck selbst gefilzter Fliegenpilze auf dem Tisch steht. Oder ein kleiner, leuchtender Weihnachtsbaum, mit dem man kuscheln kann.

Das Buch regt jedenfalls zu allerlei phantasievollen Sachen an. Und man kann sich gut vorstellen, dass die Filzerin schon beim Beträufeln der Wolle in eine andere Stimmung kommt, eine andere Welt, in der das wohlig-wollige Gefühl unter den Händen die Hauptrolle spielt, Zeit wieder lang und dick sein darf und bis zum Dunkelwerden gar nicht alles fertig sein muss. Morgen ist auch noch ein Tag. Und wenn man seinen Arbeitsplatz nicht ständig wieder aufräumen muss, wird das Leben wieder zum Fluss, in dem die Phantasie nur noch ein Material finden muss, in das sie sich verwandeln kann.

Silva Jacoby-Wirth Filzen, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2018, 9,95 Euro.

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