Nicht nur das Buch ist seit dem 7. Oktober da und erfreut die Leser, die mit diesem herrlich trockenen Humor aus dem Nachbarland etwas anfangen können. Und mit Tnallern. Und Typen wie Maik, die in dieser ostdeutschen Provinz ihr Ding machen, egal, was da kommt. Oder passiert. Einer Provinz, aus der Antreh ja gerade geflohen war.

Dorthin, wohin man geht, wenn man nicht zu den ewig Besserwissenden ins westliche Ausland will, sondern lieber hierbleiben möchte, im Osten, wo es aber nun einmal nicht allzu viele große Städte gibt, in denen kreative Köpfe ein Auskommen finden können. Und Publikum.

Und Käufer für ihre Bücher, auch wenn das hinterher immer noch nicht reicht zu den Mindestsätzen, die heute Krankenkassen, Rentenversicherer und Vermieter ansetzen, wenn sie ihre Rechnungen schreiben. Von anderen staatlichen und halbstaatlichen Bürokratien ganz zu schweigen.

Weswegen dieser Antreh ja erst in einem dieser berühmten Nonsense-Kurse des Jobcenters landet, wo er der Kursleiterin die Meinung geigt, und dann in einem neuen Job in einer Sozialeinrichtung in seiner alten Heimat, den ihm Maik besorgt hat und wo er seiner lieben Familie, vor der er eigentlich auf Sicherheitsabstand gegangen ist, wieder viel zu nah ist.

Das liest sich alles sehr humorvoll, steckt voller gut gemachter Pointen. Die Dialoge sind herrliche Wortgefechte, in denen André Herrman seine Helden und Heldinnen so richtig Tacheles miteinander reden lässt. So, wie man in Sachsen-Anhalt redet, wenn es nicht gerade fürs Fernsehen ist. Es ist ein deftiges Land mit einem knorrigen Humor, der einen dickfällig werden lässt, wenn man die Jugend überleben will.

Nichts für Schöngeister oder sensible Schwaben. Oder Unsensible, um das auch noch auf den Kopf zu stellen. Denn in einem Land, wo man sich Gemeinheiten um die Ohren haut, wenn man dem anderen zeigen will, dass man ihn gern hat, braucht es echte Nerven und verdammt viel Feingefühl, um zwischen all den Derbheiten die richtigen Signale zu erkennen, die einem zeigen, dass man doch irgendwie gemocht wird. Oder noch mehr.

Denn diesem Antreh passiert ja, was er gerade hier nie erwartet hätte – er wird geliebt. Und schickt sich drein, wie man das eben macht, als überraschter Bewohner der Prärie. Und er wird mutig, weil er am Schicksal seines Großvaters ja auch erlebt, wie brüchig das Leben ist. Und wie einem auf einmal die ganze Welt abhanden kommen kann, wenn die Demenz zuschlägt.

Eigentlich das zentrale Thema in diesem Buch, das André Herrmann gleich selbst eingelesen hat für die CD. Man merkt schon: Autor sein macht richtig Arbeit. Erst feilt man am Buch, dann muss man es auch noch einlesen ohne sich allzu sehr zu verhaspeln. Und das ergibt – in der Hörbuch-Fassung – fast sieben volle Stunden.

Andere hätten sich noch ein paar Kumpels herangeholt, der eine macht den Maik, der andere den Chev der Einrichtung, die nächste kümmert sich um die weiblichen Rollen. Aber André Herrmann hat alles selbst eingelesen, sodass jeder, der Radiosender zu langweilig findet, jetzt was Ordentliches zum Zuhören auf der Autobahn hat. Oder für die Bahnreise nach Köln oder Frankfurt, wo man André Herrmann ab und zu ja auch mal antreffen kann, wenn er sein Buch vorstellt und sich über die rappelvollen Säle wundert.

Irgendwie kommt sein Humor aus der Anhalter Provinz doch an im Westen, wo man ja bekanntlich einen völlig anderen Humor pflegt. Einen, bei dem erst mal die Pointe erklärt wird, bevor der Wirtz kommt. Sorry. Ist mir jetzt so rausgerutscht. Da habe ich wohl doch zu viele Satire-Clips aus den oberlehrerhaften Welten des deutschen TV-Humors geguckt. Immer in der Erwartung, dass jetzt vielleicht doch mal einer kommt. Aber meist war’s das schon.

Wer Ähnlichkeiten sucht, findet so einen Humor eher in Berlin, in dessen östlicher Hälfte. Da, wo Gott noch Parterre wohnt und die jungen Kämpen genau wissen, wie sich die Gespräche mit dem zugeteilten Jobcenter-Mitarbeiter anhören. Bevor einem dann die Ration gekürzt wird, weil man noch immer so ein ostdeutscher Widerspenstiger ist, der sich in die erwartete Willfährigkeit nicht fügen will.

Es ist ein bodenständiger Humor, einer von Leuten, die sich zwar lauter seltsame Vorstellungen von der Welt machen und davon, wie einer sein muss, damit er ihr Wohlwollen findet. Die aber auch wissen, wie man ein Spiegelei brät, Briefkästen in die Luft jagt und olle Möbel von der Straße wieder in Schuss bringt. Man hat ja sonst nüscht. Und wenn man nüscht hat, muss man was finden.

Ein äußerst praktisches Volk, viel zu selten literarisch gewürdigt. Aber André Herrmann hat das nun mit zwei herrlich kurzweiligen Büchern getan. Trocken, wie sich das gehört. Quasi auch als Ermutigung für alle, die das Märchen vom Tellerwäscher auch nach 28 Jahren nicht bereit sind zu glauben.

Dieses komische Märchen, mit dem die Narren durch die Manege geführt werden. Immer in der Hoffnung auf die fette Million, die nie kommt, weil es die für ordentliche Arbeit nun mal nicht gibt. Maik weiß das. Antreh eigentlich auch.

Der richtige Humor also für Leute, die ihr Geld sonst immer für Berge von Taschentüchern ausgeben. Oder ‘ne neue Gesichtsbemalung, damit beim nächsten Bewerbungsgespräch wieder so ein öder Packerjob herauskommt. Ist ja in Sachsen-Anhalt nicht anders als in Sachsen. Nur der Zungenschlag ist ein bisschen anders.

Die Leipziger sind nicht so abgeklärt. Die erwarten sich noch ein Wunder. Kommt ja bald. Sind ja erst 28 Jahre rum. Wenn sie Glück haben, steht Maik mit ‘ner Kiste Bier vor der Tür.
André Herrmann Platzwechsel, Hörbuch, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2018, 20 Euro.

Leipziger Zeitung Nr. 60: Wer etwas erreichen will, braucht Geduld und den Atem eines Marathonläufers

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