Witze und Stereotype verraten sehr viel über ein Volk. Und Männerwitze verraten sehr viel über die Männer, die sie erzählen. Das Cover-Bild verweist zwar ikonisch auf die Pop-Comics der 1960er Jahre. Aber diese Ikonografie benutzt ja auch Schlager-Softi Michael Wendler, der für den Ich-Erzähler Franz Dirk Kaschinski in diesem Buch mehrfach zum Albtraum wird. Denn die fiktive Frau am Steuer quält ihn auch auf der Autofahrt nach Spanien mit Dauer-Wendler-Beschallung.

Inwieweit die Geschichten des bei Bad Ems in Rheinland-Pfalz lebenden Autors aus dem richtigen Leben gegriffen sind, weiß man ja nicht. Im Nachwort versichert der Autor, der im Hauptberuf Leiter eines Großhandels ist, dass seine aktuelle Lebensgefährtin nicht gemeint ist. Aber er war ja vorher schon drei Mal verheiratet, was die Frage aufwirft: Warum haben sich die Frauen von ihm scheiden lassen? War ihnen sein Humor zu derb? Oder fühlten sie sich nicht verstanden?

Was ja auf dasselbe hinausläuft. Denn deutscher Männerhumor pflegt ein Frauenbild, bei dem man sich geradezu wundert, dass Frauen sich mit den Männern, die diesen Humor pflegen, überhaupt einlassen. Obwohl …

Klar: Man kennt diesen Humor. Man trifft ihn fast überall an, wo Männer ihre Runden bilden und versuchen, sich in ihrem alten Rollenverständnis als Mann zu behaupten. In Kneipen, im Fußballklub, im Schützenverein, bei Bikertreffen … Was Kaschinski macht, ist tatsächlich der Besuch in einer Welt, in der wahrscheinlich sogar die meisten Männer in Deutschland zu Hause sind, eine Welt, in der sie fortwährend damit beschäftigt sind, ihr Rollenbild zu stärken und sich in der Beziehung zum anderen Geschlecht zu behaupten.

Und wo sie sich gewaltig unter Druck gesetzt fühlen durch diese unbekannten Wesen, die sie einmal geheiratet haben, und die dann auf einmal zu Putz-Teufeln werden, Stunden im Bad zubringen, riesige Shopping-Touren organisieren und mit ihren „besten Freundinnen“ am Telefon stundenlang über die Männer reden.

Es wird nicht recht deutlich, inwiefern das jetzt wirklich nur deftige Übertreibung eines Mannes ist, der all diese Dinge eigentlich als liebenswerte Eigenheiten sieht, ob er sich davon genervt fühlt oder zutiefst frustriert. Auch weil der Erzähler nicht wirklich das Gefühl hat, dieses Wesen an seiner Seite zu verstehen. Frauen „ticken eben anders“.

Was sich durch die Formel „und Männer gar nicht“ nicht wirklich relativiert. Das ist ein Kunstgriff, sicher. U.S. Levin, der nun mal aus dem niedlichen Markkleeberg kommt, zeichnet ja ganz ähnliche Rollenbilder aus der östlichen Hälfte Deutschlands. Da unterscheiden sich die Milieus in Rheinland-Pfalz und Sachsen also so gut wie gar nicht – nicht beim Neid auf den Nachbarn, beim Standesdenken, beim Anschaffen von Autos oder dem Ausbau von Eigenheimen.

Milieus, in denen Ehefrauen wie Ehemänner augenscheinlich fast automatisch in solche Rollenbilder schlüpfen, die eigentlich an die deutsche Heimeligkeit der 1950er Jahre erinnern. Dazu passt ja dann auch die Musik von Michael Wendler. Und wahrscheinlich passen auch all diese Serien im TV genau dazu, weil sie vielleicht nicht mal die Gemütslage dieser Menschen treffen, die da Abend für Abend in ihren Eigenheimen sitzen und mit sich nichts Besseres anzufangen wissen, als sich in eine TV-Soap zu versenken, ab und zu in einen Putzfimmel verfallen oder versuchen, die ganze Zeit den treuen Ehemann, die brave Ehefrau zu spielen und dabei bereitwilligst zu leiden.

Und je mehr Anekdoten Kaschinski dazu erzählt, umso mehr verstärkt sich das Gefühl, dass er diese Welt der Schneckengehäuse nur zu gut kennt und dass sehr viele Männer und Frauen in diesen Welten leben, in denen die Behauptung des richtigen Rollenbildes am Ende den Kern des ganzen Zusammenseins ausmacht. Mit all den nur halb lustigen Witzen über Klamottenberge, Schminkzeiten, Diät-Probleme und pubertierende Gören, was in diesem Buch die Tochter der Familie betrifft, die überhaupt nicht erst Konturen als Mensch gewinnt.

Deswegen funktionieren ja all diese Stereotype. Sie sind wie Schneckengehäuse, in denen man sich seiner selbst vergewissert, weil man doch noch alle Muster erfüllt, die einen etwa als Mann in einer Männerwelt kennzeichnen. Und als Frau in einer von Männern vorgezeichneten Frauenwelt, in der es um Schönheit, Schlankheit, tolle Klamotten und Schminke geht, aber nie und nimmer um eine eigene Persönlichkeit.

Man ist geneigt, diese Stereotype allein im deutschen TV zu verorten. Aber dann fallen einem lauter Szenen von Begegnungen in der näheren und weiteren deutschen Provinz ein, in denen genau diese Muster zu Vorschein kamen, als Schenkelklatscher des Einverständnisses.

Kann es sein, dass tatsächlich viele deutsche Paare in diesen Mustern feststecken? Die dort landen, weil der Druck enorm ist, diese Bilder von Mann-und-Frau-Sein nachzuahmen als Bestätigung, als leichtester Weg, sich in die Umgebung einzupassen, in der alle so reden und sich mit diesen zum Teil sehr kränkenden Vorurteilen auch gegenseitig versichern, unbedingt dazuzugehören. Was ja überschaubare Gemeinschaften auch bestärkt und stabilisiert. Denn mit Kumpel, mit denen man so herzlich über das angetraute Wesen hat lachen und spotten können, kann man doch durch dick und dünn gehen? Oder zumindest das Gefühl haben, dass man sich auf sie tatsächlich verlassen kann.

In einer Geschichte, in der Franz sein erst langsames Ankommen in der kleinen Dorfgemeinschaft als Zugezogener beschreibt („Dorfleben“), wird ein Teil dieser Mechanismen sichtbar. Fünf Jahre dauert es, bis der Nachbar mit ihm überhaupt so gnädig ist, ein Wort zu wechseln. Fünf Jahre bis zum Akzeptiertwerden. Aber wenn man das weiterdenkt, ahnt man auch den Druck, der in dieser Dorf(männer)gemeinschaft herrschen muss, dieses Dazugehören zu behaupten. Man ist ruckzuck bei den Reaktionen aus der deutschen Provinz auf Flüchtlinge und Migranten.

Und Kaschinski versucht auch das Thema mit einer Art deftigem Humor anzugehen, lässt seinen Helden in „Integration“ erst einer syrischen Familie ein neues Zuhause in der Einliegerwohnung geben und ihn dann zum Kopf einer Bürgerinitiative mutieren, die mit Stimmungsmache und Anzeigen bei den Behörden dafür sorgt, dass die Familie ausgewiesen wird. Ein Geschichte, bei der einem durchaus schwindelig werden kann, weil sie natürlich die ganze deutsche Schizophrenie zeigt, aber eigentlich auch nicht lustig ist, sondern geradezu zynisch. Da bleibt einem (wenn man vorher die vielen Ehe-Glossen lustig fand) das Lachen im Hals stecken.

Denn wenn man das weiterdenkt, dann passt diese abgründige Geschichte in den Reigen der Ehe-Kalamitäten. Denn einer echten Bekanntschaft mit ihren Untermietern weicht das Vermieterehepaar aus, verreist am Tag einer Einladung zum gemeinsamen Essen kurzerhand in einen spontan bestellten Wochenendurlaub, von dem man sich nicht wirklich vorstellen kann, dass der besonders entspannt war, nachdem man die Geschichte zum Familienurlaub im Ferien-Ressort („Urlaub“) gelesen hat.

Wenn man sich aber auf andere Menschen gar nicht erst einlässt, weil man zuallererst besorgt darüber ist, was die eigenen Kumpels aus dem Dorf dazu sagen würden, dann hat „Integration“ keine Chance. Dann arbeitet Mann sich doch nur wieder daran ab, seinen guten Ruf im Dorf zu verteidigen, sichtlich befürchtend, dass eine simple Geste der Menschlichkeit dafür sorgen könnte, das er er selbst (wieder) zum Außenseiter wird.

Da wundert man sich eigentlich nicht mehr, dass Frauen wie Männer in der Realität dieser Dorfidylle in Scharen entfliehen und lieber in die großen Städte ziehen, wo man den Nachbarn nicht beweisen muss, dass man ein harter Macho ist, der über seine Frau herzieht, wenn er mit seinen Kumpels unterwegs ist. Nur um das eigentlich schäbige Bild aufrechtzuerhalten, dass er zu Hause das Sagen hat und das weibliche Wesen an seiner Seite im Griff. Oder es zumindest lächerlich findet.

Denn wenn man jemanden lächerlich findet, muss man sich ja nicht auf ihn oder sie einlassen, kann beim Äußerlichen und Oberflächlichen bleiben. Und sich quasi als ausgeliefert definieren in der Partnerschaft. Denn wie sonst liest sich das, wenn der Held meint: „Sobald du verheiratet bist, wird alles anders.“ Quasi aus weiblicher Berechnung, denn vor der Heirat sind Frauen verführerisch und anschmiegsam wie die Kätzchen – danach aber übernehmen sie das Regime? Zwingen den Angetrauten, außer Haus zu rauchen und mit seinen Kumpels anderswo Skat zu kloppen?

Hätte ich solche Anekdoten nicht schon oft genug gehört, würde ich sagen: Ist doch alles nur Männerwitz.

Ist es wohl leider nicht, auch wenn es Kaschinski gelingt, etliche seiner Geschichten in die pointierte Groteske zu treiben und damit ad absurdum zu führen. Doch die Pointe sitzt nur in der Übertreibung ins Maßlose. Sie sprengt den vorgegebenen Rahmen der Rollenbilder nicht. Und man versteht nur zu gut, wenn sich die aktuelle Lebensgefährtin in diesem Rahmen nicht sehen möchte. Auch nicht als ein Wesen, das „anders tickt“. Denn das ist eine Schablone, eine männliche Ausrede, dass man sich auf Frauen nicht wirklich einlassen möchte, nicht mal nach der Heirat. Eine Schablone, die die deutschen Hoheitskriege um Frauenbilder und (Anti-)Feminismus bestimmt.

Und natürlich „brauchen“ Männer, die „gar nicht ticken“ solche Schablonen. Das minimiert Irritationen, macht es ihnen leichter, Frauen für „zickig“ zu erklären, wenn sie die erwartete Schablone verlassen. Und es erhöht logischerweise den Druck, im alten Rollenmuster zu bleiben. Jenem schönen äußeren Schein, der so wichtig ist, in einem von Tratsch bewohnten Dorf akzeptiert zu werden. Egal, wo das Dorf steht und das Eigenheim mit dem rasierten Garten und dem geputzten Auto davor. Eindruck schinden ist alles.

So gesehen lesen sich die meisten Geschichten wie ein Forschungsausflug in die Provinz, die nur beim Durchfahren gemütlich, nett und freundlich aussieht mit all den hübschen Eigenheimen inmitten grüner Rasen. Eine Provinz, die immer wieder auch Politik wird, die aber auch Werbung und Medien beherrscht. Denn diese Stereotype sind überall gegenwärtig. Es sind Rollen, die man sich anziehen kann wie ein neues Hemd. Auch wenn man irgendwann ahnt, wie absurd sie eigentlich sind. Aber „lachend Tränen darüber vergießt“ man nicht wirklich.

Franz Dirk Kaschinski Frauen ticken anders und Männer gar nicht, Einbuch Buch- und Literaturverlag, Leipzig 2019, 13,90 Euro.

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