Sport war mal spannend. Anders spannend als heute, wo Fernsehsender und ihre Reichweiten darüber bestimmen, welche Sportarten wir überhaupt noch zu sehen bekommen. Eigentlich ist die Diskussion über eine ausgewogene Berichterstattung auch beim Sport in den Öffentlich-Rechtlichen notwendig. Aber: „Fußball regiert die Welt“. Und dass Turnvergleiche dreier deutscher Großstädte mal richtige Publikumsmagnete waren, das macht diese kleine Studie von Stephan Porwol zum Thema.

An die Recherche hat sich Porwol gesetzt, als das 100-jährige Jubiläum des ersten dieser Städte-Wettkämpfe anstand. Das war 1920, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, der auch das Sportgeschehen in Deutschland in Mitleidenschaft gezogen hatte. Tausende junge Sportler waren auf den Schlachtfeldern ums Leben gekommen oder körperlich versehrt aus dem Krieg zurückgekehrt. Und entsprechend niedrig war dann auch das Leistungsniveau in den Turnvereinen.Doch schon 1919 machte sich der Berliner Männerturnwart Fritz Wolf Gedanken darüber, wie man aus der niedergedrückten Stimmung wieder herauskommen könnte. Es war seine Idee, gleich 1919 anzufangen und einen Städtewettkampf zu organisieren, auch wenn das Projekt in diesem Jahr noch scheiterte.

Aber 1920 fand dann tatsächlich der erste Städtewettkampf zwischen Berlin und Hamburg statt, der auch auf großes Publikumsinteresse stieß. Nach dem Krieg waren die Menschen ausgehungert nach solchen Ereignissen. Und Wettkämpfe, bei denen Städtemannschaften gegeneinander antraten, hatten ihren besonderen Reiz.

Die Hamburger und Berliner aber wollten unbedingt auch noch eine dritte Stadt mit starker Turnerschaft dabeihaben – das war Leipzig, das dann im April 1922 erstmals am Drei-Städte-Wettkampf teilnahm.

Porwol freilich geht auch zu Recht kritisch auf die Quellenlage ein, denn bislang hat sich augenscheinlich noch niemand mit der Geschichte dieses Drei-Städte-Turnens beschäftigt. Unterlagen beim Deutschen Turnerbund fehlen. Weshalb vor allem alte Programmhefte, Festschriften und Zeitungsberichte die Datenbasis bieten für diesen Wettstreit, der bis zum Kriegsjahr 1940 regelmäßig stattfand und teils bis zu 15.000 Zuschauer wie in der Leipziger Messehalle anzog.

Und nicht nur die Tabellen mit Punkten und Siegern sind wirklich interessant. Denn da aus den drei beteiligten Städten auch viele Turner kamen, die dann bei nationalen und internationalen Wettkämpfen erfolgreich waren, bietet dieser spezielle Wettkampfzyklus auch einen kleinen Einblick in die Attraktion des Turnens in den 1920er und 1930er Jahren und die Würdigung einer Turnlegenden, die heute fast vergessen sind, zu ihrer Zeit aber richtige Sportstars – wie der Leipziger Turner Kurt Haustein, der bei mehreren dieser Städtewettkämpfe den Sieg erringen konnte.

In die Mühlen des Kalten Krieges geraten

Aber ihm erging es genauso wie Leipzigs berühmtesten Weitspringer Luz Long: Er fiel als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Das würdigt Porwol auch an der Stelle, an der es 1946 darum ging, die Drei-Städte-Wettkämpfe wieder aufzunehmen. Und anfangs schien das auch trotz der verschiedenen Besatzungszonen möglich. Noch verstand man diese Städtevergleiche auch als Symbol der Deutschen Einheit.

Die Herausbildung der beiden deutschen Staaten machte Sport ab 1950 auch zum Politikum. Und das nicht nur aus Sicht der roten Machthaber im Osten. Auch der Deutsche Sportbund agierte nicht sportlich, sondern politisch, als er 1952 in seinen Oberweseler Beschlüssen den Fachverbänden und Vereinen fortan jede Teilnahme an Sportwettkämpfen in der DDR untersagte und gleichzeitig die Teilnahme von Sportlern aus dem Osten an Wettkämpfen im Westen unterband.

Dagegen begehrten viele Vereine zwar auf. Aber es half nichts. Nach dem 49. Drei-Städte-Wettkampf 1952 war es fünf Jahre lang nicht mehr möglich, auch noch den Jubilläumswettkampf zu organisieren. Der fand dann erst 1957 in Leipzig statt – zwar mit den Hamburgern als Gäste, aber ohne Gesamtberliner Mannschaft. Bei Ausscheidungswettkämpfen in Berlin war es keinem Westberliner Turner gelungen, unter die ersten acht zu kommen.

Und das auch deshalb, weil die Ostberliner Mannschaft im Grunde eine verkappte Nationalmannschaft der DDR war mit den besten Turnern aus der ganzen Republik, die dann auch den Wettkampf in Leipzig haushoch gewann.

So erscheint auf einmal die Veränderung der deutsch-deutschen Sportbeziehungen im Kalten Krieg auch am Beispiel dieses einst beliebten Städtewettkampfs. Der Sport wurde in beiden Landesteilen instrumentalisiert. Und die Chance eines Neubeginns für den Drei-Städte-Wettkampf wurde 1957 gründlich vergeigt. Denn dass (Ost-)Berlin quasi mit einer verkappten Nationalmannschaft auftrat, nahm dem Städtevergleich jeden Reiz.

Jetzt wollten auch die Hamburger nicht mehr. Die Geschichte dieses einst beliebten Turnerwettstreits endete. Ein paar Filmdokumentationen haben sich bewahrt, ein paar wenige Zeitzeugenberichte. Denn als Porwol sich 2019 an die Recherchen zu seiner Masterarbeit machte, waren ja selbst die letzten Teilnehmer von 1957 hochbetagt.

König Fußball verdrängt die Turner

Wobei seine Hinweise auf die oft sehr ausführlichen Zeitungsberichte eben auch deutlich machen, wie sehr das Turnen aus der deutschen Sportberichterstattung verschwunden ist. Selbst nationale Turnmeisterschaften finden kaum noch mediale Aufmerksamkeit. Die Liebe auch zu den nicht massentauglichen Sportarten ist aus deutschen Zeitungen und Fernsehsendern verschwunden. Lieber wird stundenlang aus Fußballstadien, von Tennis-Plätzen und Motorrennstrecken übertragen, als auch einmal abseits der „populären“ Sportarten zu schauen und einfach Interesse zu wecken.

Denn zur Frühgeschichte des Drei-Städte-Turnens gehört natürlich auch die immer stärker werdende Konkurrenz des Fußballs. Vor dem Ersten Weltkrieg waren es Turnvereine, die die Szenerie des Amateursports in Deutschland dominierten. Nach dem Krieg wechselten ganze Abteilungen ins Fußballlager und fasste das Modell der Fußball-Ligen Fuß, in denen ja – von der Idee her – auch Städtemannschaften gegeneinander antreten.

Das Turnen aber ist regelrecht zur Nischensportart geworden. Und wahrscheinlich würde man nicht mal mehr die Kraft finden, wieder so einen Drei-Städte-Wettkampf aus der Taufe zu heben. Vom Publikum ganz zu schweigen. Denn selbst in Leipzig würde man Schwierigkeiten haben, einen angemessenen Wettkampfort zu finden, auch wenn die Arena durchaus dafür geeignet wäre – aber aus Mangel an interessiertem Publikum wohl um etliche Nummern zu groß.

Bleibt also die kleine Bilanz, die Porwol hier gezogen hat. Und das erwartbare Fazit, dass hier eine durchaus spannende Tradition in die Mühlen der deutsch-deutschen Nickligkeiten geriet und so eines höchst politischen Todes starb.

Stephan Porwol Das Drei-Städte-Turnen Berlin-Hamburg-Leipzig, Sportverlag Strauß, Hellenthal 2021, 17,80 Euro.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar