Für FreikäuferLZ/Auszug Ausg. 61Und dann stand wie Phoenix aus der Asche plötzlich jemand auf der Bühne, von dem kaum einer wusste, dass es ihn wieder gibt. Ein Präsident des VfB Leipzig. Dirk Sander heißt der Mann, der früher Pressesprecher beim 1. FC Lok war, im Berufsleben Diplomat ist und nun einem Verein vorsteht, der eigentlich seit 14 Jahren gar nicht mehr existieren sollte.

Es geschah am 21. April 2004: Die anwesenden Gläubiger des VfB Leipzig lehnten ab, dass Insolvenzverwalter Friedbert Striewe einen Insolvenzplan erstellt, der VfB sollte aus dem Vereinsregister gelöscht werden. Im Jahr 2018 ist er immer noch da, samt neuem Präsidium. Aber: Er wird nie wieder am Fußballspielbetrieb teilnehmen. Das versprach Dirk Sander: „Der Verein ist nur zu dem Zweck wieder reaktiviert worden, um mit dem 1. FC Lok zu fusionieren.“ Und um ein Fest zu feiern.

Am 10. November begingen der VfB und der 1. FC Lok Leipzig gemeinsam das Jubiläum 125 Jahre VfB Leipzig. In der Kongresshalle am Zoo kamen über 400 Gäste zusammen, viele von ihnen stießen noch Mitternacht auf den Geburtstag an. Die Geburtstagstorte verteilten Lok-Präsident Thomas Löwe und sein Kollege Dirk Sander.

In der einzigen Rede der fast achtstündigen Feier waren VfB und Lok schon oder immer noch eins. Thomas Löwe hob die Erfolge, aber auch die bitteren Stunden der Klubs hervor, die zurzeit rein formal getrennt sind. Der 1. FC Lok versteht sich in der Traditionslinie des VfB, dort steht er aber nicht. „Aber trotzdem ist es auch für mich ein Verein“, so Sander. Ein Verein, der bis 1925 deutscher Rekordmeister war und damit einen inoffiziellen Titel hielt, den neben dem VfB nur der 1. FC Nürnberg und natürlich der FC Bayern, wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit, trugen.

Start des DFB in Leipzig

„Unser Verein war Hauptinitiator der Gründung des Deutschen Fußballbunds in Leipzig“, erklärte Löwe. „Es ist ein einzigartiges Jubiläum Leipziger und deutscher Sportgeschichte.“ Seit über 121 Jahren nimmt der Verein, wenn man die Traditionslinien sporthistorisch und nicht rechtlich betrachtet, ununterbrochen am Ligaspielbetrieb teil, davon 90 Jahre in der obersten Spielklasse seines Landes. Über 3.300 Pflichtspiele hat es mit Beteiligung des VfB oder einer seiner Nachfolgevereine gegeben.

„Es ist unmöglich, alle nationalen und internationalen Erfolge aufzuzählen“, versicherte Löwe. Doch das Rahmenprogramm sah vor, dass doch der eine oder andere noch mal zur Sprache kam. Dank noch lebender Nachfahren wurde sogar über die ersten Erfolge gesprochen. So erinnerte sich die jüngste Tochter des einstigen Nationalmannschaftskapitäns und Vorzeige-Spieler des VfB, Camillo Ugi, an dessen Torjubel. „Er war ein derartiger Athlet, dass er sich beim Jubel schon mal auf die Torlatte schwang und dort einen Handstand machte.“

Wenn Ugi Lust und Laune hatte, soll er sogar auch über gedeckte Festtagstische mit den Händen gelaufen sein. 1906 wurde er Deutscher Meister mit dem VfB, aber er durchlebte anschließend Not-Zeiten. Nach dem 1. Weltkrieg lernte er auf dem Fußballplatz seine zukünftige Frau – eine Fleischerstochter – kennen. „Sie hatte Blutwurstbrote dabei, die sie mit ihrer Freundin teilte. Mein Mann schaute immer wieder rüber und schließlich durfte er eins haben“, so Heide Lehnert, dessen jüngste Tochter. Heute ist das Stadion von Kickers Markkleeberg nach Ugi benannt, der in Markkleeberg 1970 starb.

Lok-Praesident Thomas Loewe und VfB-Praesident Dirk Sander (vlinr.) gemeinsam an der Geburtstagstorte. Foto: Marko Hofmann
Lok-Praesident Thomas Loewe und VfB-Praesident Dirk Sander (vlinr.) gemeinsam an der Geburtstagstorte. Foto: Marko Hofmann

Dass Ugi überhaupt zwei Weltkriege überlebte, war in der VfB-Historie nicht selbstverständlich. Der Verein litt wie viele andere unter dem Krieg und auch unter den Nationalsozialisten. „Nach der Machtübernahme der Nazis wurde das komplette VfB-Präsidium abgesetzt. Funktionäre, Sportler und ihre Familien flüchteten, ganze Familien von Vereinsmitgliedern wurden deportiert und ermordet“, so Löwe, dem es ein Anliegen war, auf diese Schicksale an solch einem Festtag hinzuweisen. „Auch wenn wir nicht all eure Namen kennen, ihr sollt wissen, egal wo ihr seid: Ihr seid an so einem Tag in unserem Herzen und unvergessen.“

Heute ist der 1. FC Lok Leipzig mit knapp 2.700 Mitgliedern der mitgliederstärkste Fußballverein der Stadt Leipzig, der nicht nur stolz auf seine Geschichte, sondern auch auf die guten Verbindungen zur Politik und zu den Verbänden ist. Der Saal war gefüllt mit Landtagsabgeordneten und Stadträten. Sportbürgermeister Heiko Rosenthal betonte: „Auch wenn es öffentlich nicht immer so transportiert wird, wir ringen immer um die besten Lösungen. Lok Leipzig ist für mich ein ganz, ganz wichtiger Verein in der Stadt.“

Rosenthal saß gemeinsam mit Lok-Gönner Franz-Josef Wernze, dem Schirmherrn des Wirtschaftsrates, Zoodirektor Dr. Jörg Junhold und Hermann Winkler, dem Präsidenten des Sächsischen Fußballverbands auf der Bühne. Alle drei betonten die gute Entwicklung des Klubs. „Lok ist schon etwas Besonderes in unserem Verband. Klar, wir haben fast 1.000 Vereine in Sachsen und sind für alle da. Aber wir haben einen engen Draht, gerade wenn es mal Probleme gibt. Ich bin mit Lok zufrieden“, so Winkler.

Dr. Jörg Junhold gestand, dass die Sponsorengewinnung viel Arbeit bedeutet. „Aber: Die eine oder andere Tür haben wir geöffnet. Ich bin Vollblut-Leipziger und ich vertrete auch eine Traditionsmarke. Die Traditionsmarken müssen zusammenhalten, auch wenn es mal nicht so gut klappt. Lok ist es wert, unterstützt zu werden.“

So wie es Wernze macht. Der Vorstandsvorsitzende der ETL AG beteiligt sich seit fast fünf Jahren an der finanziellen Unterstützung für den Verein, hat bei der Umstellung auf Profibedingungen im Sommer die pekuniären Weichen gestellt. Sein Engagement, so betonte er an diesem Abend, sei „nicht nur auf fünf Jahre angelegt“ – und erntete dafür Applaus.

Unter den Gästen weilten auch zahlreiche ehemalige Stars wie Bernd Hobsch, Olaf Marschall, Torsten Kracht oder Gunnar Grundmann. Ronald Kreer, der Leipziger mit den meisten Länderspielen, kam sogar an seinem 59. Geburtstag zur Gala und plauderte angeregt mit Rainer Lisiewicz. Der Kult-Trainer der Anfangsjahre unterstrich noch einmal den besonderen Charakter der ersten Jahre nach der Neugründung des 1. FC Lok. „Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen.“ Und mit Sicherheit hat er auch oft genug die einzigartige Historie erklären müssen.

Ob er auch gewusst hätte, warum ausgerechnet am 11.11. das Jubiläum gefeiert wurde?

Aufsichtsrats-Mitglied Jens-Peter Hirschmann brachte Licht ins Dunkel: „Am 11.11.1893 gründeten Johannes Kirmse und andere den Verein Sportbrüder Leipzig. Ein Klub, der sich eher mit Radfahren und Athletik befasste.“ 1897 richtete dieser den ersten deutschen Marathon aus, den ein gewisser Theodor Schöffler gewann (siehe auch LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 30/ April 2016). Schöffler wiederum war 1896 Gründungsmitglied des VfB Leipzig und einigte sich mit Kirmse 1898, dass beide Vereine zusammengehen sollten. Es entstanden die VfB Sportbrüder, die als Gründungsdatum den 11.11.1893 festlegten. 1903 wurde der VfB mit Schöffler in der Mannschaft erster deutscher Meister. Demnächst soll es wieder eine Fusion geben. Der 1. FC Lok soll den VfB aufnehmen.

„Ich habe nie daran gedacht, dass es klappen könnte“, so VfB-Präsident Dirk Sander ehrlich. Aber nun stünden die Zeichen gut. „Es ist spektakulär. Eine Vereinsgeschichte wie wir sie haben, die dürfte in Deutschland seinesgleichen suchen.“ Erst recht, wenn die Traditionslinie womöglich schon im Jahr 2019 wieder geradegezogen wurde. Noch sind bürokratische Hürden zu überwinden. Jörg Junhold versprach allerdings, dass einer Rückkehr in die Kongresshalle für das Fusionsfest nichts im Wege stünde.

Henning Frenzel, Wolfram Löwe und Karl Drößler werden dann sicher ebenfalls wieder zugegen sein. Sie erhielten die ersten goldenen Ehrennadeln der jüngeren Vereinsgeschichte und freuten sich sichtlich, Rolf Krost wiederzusehen. Krost war den meisten im Saal unbekannt. Ab 1950 spielte er für Einheit Leipzig Ost, einen der vielen Vorgänger-Vereine des 1. FC Lok und damit des VfB Leipzig. Bis in die 80er Jahre war Krost sogar noch Präsidiumsmitglied in Probstheida.

Wie sehr sich der Fußball seit Krosts eigener Karriere verändert hat, erklärte er selbst eindrücklich mit nur zwei Sätzen: „Dass ich bei Einheit spielte, war wichtig für die Familie. Denn ich bekam dafür mehr Verpflegungsmarken als andere und half dabei, die Familie zu ernähren.“ Es sind eben auch die kleinen Erfolge, die im Probstheidaer Fußballgedächtnis hängengeblieben sind.

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