Heute also einmal etwas Ungesundes. Auch wenn Carlos Steiner schwärmt für die Zigarre in diesem Büchlein. Gleich mal nach dem Motto: „Mit den Göttern in Kontakt treten“. So heißt gleich das erste Kapitel, in dem es um die Vorgeschichte der Zigarre geht, bevor sie nach Europa kam. Was mit den indigenen Völkern Südamerikas zu tun hat, die wahrscheinlich Tabak vor allem in rituellen Zusammenhängen rauchten.

Vielleicht sogar schon Jahrtausende vor Ankunft der Europäer. Die aber – wie man sie kennt – ein Geschäft daraus machten. Es entstanden die großen Tabakplantagen. Und im 19. Jahrhundert wurde die Zigarre so eine Art Kulturgut und Zeichen von Arriviertheit. Wer Zigarre rauchte, zeigte auch, dass er es sich leisten konnte. Denn da die Zigarrenherstellung bis heute reine Handarbeit ist, haben die gerollten Rauchartikel ihren Preis.

Sie lassen sich auch nicht zum Massengut machen, auch wenn es die preiswerteren Verwandten gibt – Zigarillos und Zigaretten. Auf letztere geht Steiner erst gar nicht ein. Er betrachtet die Welt aus der Sicht eines Zigarrengenießers, der mit den schnell mal weggerauchten Papierstäbchen nichts anfangen kann und mag.

Was er auch erläutert. Denn um die Zigarre hat sich eine ganz eigene Kultur entwickelt. Vom Humidor, in dem die teuren Exemplare bei der richtigen (tropischen) Luftfeuchte vor dem Vertrocknen bewahrt werden, über die Spezialgeschäfte, in denen es nur um das begehrte Kulturgut geht, bis hin zu den Kabinetten, in denen Zigarrenraucher ihrer Leidenschaft frönen. Und vor allem, sich von der Hektik des Alltags lösen.

Genuss und Revolution

Denn den findet auch Steiner längst zu überdreht und nicht auszuhalten. Zigarre rauchen also als Gegen- und Genussmittel. Was auch hilft beim Abschalten, weil das teure Teil langsamer abbrennt als die Glimmstängel der hektischen Kurzpausenraucher.

Man wird also zum Runterkommen gezwungen. Oder bringt sich selbst dazu. Und zum Genießen, meint Steiner, der dann auch auf konkrete Anbauländer und die Herstellung der berühmten Zigarrenmarken zu sprechen kommt.

Natürlich auch auf Kuba, das klassische Zigarrenland, das die edlen Havannas noch heute als Luxusgut exportiert.

Am Ende geht Steiner auch noch auf einige berühmte Zigarrenraucher/-innen ein – von Whoopi Goldberg über Sigmund Freud bis zu Winston Churchill. Aber man stutzt: Da fehlt doch was! Wie kann man erst vom kubanischen Tabak schwärmen und dann die berühmtesten kubanischen Zigarreraucher einfach weglassen? Natürlich sind das Fidel Castro und Che Guevara.

Vielleicht war Steiner das ein bisschen zu revolutionär. Wer weiß. Obwohl die Geschichte der Zigarre mehr als eine revolutionäre Seite hat. Die zigarrerauchenden berühmten Frauen von George Sand bis Rihanna zeigen es von der weiblichen Seite. Das genüssliche Rauchen ist nicht nur eine Männerdomäne.

Aber selbst die Zigarrenherstellung hatte ihre revolutionäre Seite. Was auch Wikipedia bemerkt: „Der Allgemeine Deutsche Cigarrenarbeiter-Verein, gegründet 1865 im Umkreis des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) und am selben Ort wie dieser, im Pantheon in Leipzig, war die erste zentral organisierte Gewerkschaft in Deutschland überhaupt. Binnen drei Jahren gewann sie 10.000 Mitglieder unter ihrem Mitgründer und Präsidenten Friedrich Wilhelm Fritzsche. Sie wurde zum Vorbild vieler neu gegründeter Gewerkschaften und ist eine der Vorläuferorganisationen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.“

Der ADAV wurde übrigens 1863 auch im „Pantheon“ gegründet. Dass ausgerechnet die Zigarrendreher in Deutschland eine der ersten Gewerkschaften gründeten, führt Steiner darauf zurück, dass ihre Arbeit eben echte Handarbeit war. Beim Rollen der Zigarren konnten sie sich problemlos unterhalten und auch aufrührerische Gedanken austauschen.

Gedenktafel für Friedrich Wilhelm Fritzsche in der Karl-Liebknecht-Straße. Foto: Ralf Julke
Rund um die Zigarre – Gedenktafel für Friedrich Wilhelm Fritzsche in der Karl-Liebknecht-Straße. Foto: Ralf Julke

An die Gründung des ADAV erinnert heute in der Dresdner Straße ein dicker Felsbrocken. An Friedrich Wilhelm Fritzsche wiederum erinnert an seinem ehemaligen Wohnhaus (1879 bis 1881) in der Karl-Liebknecht-Straße 62 seit 2015 eine Gedenktafel. Damals war das die Südstraße Nummer 87 und Fritzsche war als „Redacteur“ gemeldet. Denn er gab auch die Zeitung des Tabakarbeiterverbandes „Der Botschafter“ heraus.

Gestorben ist er in Baltimore, denn 1881 wanderte er aus, nachdem auch der Tabakarbeiterverband verboten worden war. Da sah er für sich keine Zukunft mehr in Deutschland.

Was aber wohl stimmt ist, dass das Zusammensein von Zigarrenrauchern ganz selbstverständlich zu angeregten Gesprächen führt. Jedenfalls eher als das nervöse Herumfuchteln von Zigarettenrauchern, die ihre Sucht nicht im Griff haben.

In gewisser Weise ist es auch ein Stück Kulturgeschichte. Und – wenn man Steiners Argumenten folgt – auch ein stiller Protest gegen das „Pingen von Handys, Tuten, Klingeln, Brummen, Hupen“, all der „Hektik unseres Alltags“. „Eine Zigarre trotzt dem Zeitgeist.“

Carlos Steiner Rund um die Zigarre Buchverlag für die Frau, Leipzig 2022, 5 Euro.

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