Auf dem Cover ist das einzige Bildnis von Adam Ries abgedruckt, das wir kennen. Entstanden ist es 1550, als Adam Ries noch einmal die beschwerliche Reise von Annaberg nach Leipzig auf sich nahm, um hier sein drittes großes Rechenbuch in Druck zu geben. Es zeigt den berühmten Rechenmeister im 58. Lebensjahr. Was für seine Zeit schon ein hohes Alter war. Aber gibt es eigentlich genug Stoff, um sein Leben zu erzählen?

Augenscheinlich schon, wie Bernd Rüdiger in diesem neuen Buch aus dem Tauchaer Verlag erzählt. Der Verlag hat 2021 nicht nur einen Inhaberwechsel erlebt, sondern ist auch von Taucha nach Leipzig umgezogen – ins Haus des Buches, wo Ralf C. Müller das mittlerweile etablierte Profil des von Dieter Nadolski aufgebauten Verlages weiterführt. Viele der in den vergangenen 30 Jahren entstandenen Bücher sind Klassiker und erzählen sächsische Geschichte auf kurzweilige, reich illustrierte Weise.

Jetzt liegen auch die ersten neuen Titel im bewährten Profil vor. Denn natürlich ist Sachsens Geschichte nicht auserzählt. Das sieht man schon an diesem Adam Ries, von dem die meisten Leute nicht mehr kennen als den Spruch „Das macht nach Adam Ries …“ Auch wenn sie noch nie mit Abakus oder Steinchen auf Linien gerechnet haben, geschweige denn eines von Ries’ großen Rechenbüchern in der Hand gehalten.

Denn das einfache und gut erklärte Rechnen lernen die meisten Kinder heute in der Schule. Auch wenn sich viele später nur noch auf Computer und Taschenrechner verlassen. Und auch nicht wissen, wie wichtig ordentliches Rechnen zu der Zeit war, als Adam Ries als Sohn eines Müllers in Staffelstein geboren wurde.

Der lange Weg nach Annaberg

Doch der frühe Tod seines Vaters bedeutete für ihn schon mit 14 Jahren den Abschied von Staffelstein. Dem folgte eine erstaunlich lange Suche nach dem richtigen Weg. Aber auch eine Suche, die einem verblüffend modern vorkommt, denn früh schon scheint der Junge zu wissen, dass für ihn klassische Berufsperspektiven nicht die richtigen sind. Studieren aber kann er auch nicht. Oder will er nicht. Auch wenn er weiß, dass an den Universitäten in Erfurt und Leipzig etwas zu bekommen ist, was er gern wissen will.

Und so reihen sich die berühmten Städte seiner Zeit in Mitteldeutschland in seinem weiteren Lebensweg aneinander: Zwickau, Annaberg, Leipzig, Erfurt. Und dabei scheint ein Netzwerk von Freunden und Verwandten immer zu helfen, dem jungen Mann neue Kontakte zu ermöglichen und die nächste Etappe auf der Suche nach dem, was für ihn das Wichtigste ist, zu ermöglichen: das Rechnen. Dazu das Schreiben und Veröffentlichen von Rechenbüchern.

Denn das, was er vorfindet auf dem Markt, erfüllt diese Funktion nicht, hilft vor allem nicht im Alltag der Menschen. Seien es nun Marktschreiber, Müller oder Rezessschreiber im Bergbau. Was Adam Ries dann 1525 wurde. Seine erste feste Anstellung und damit auch endlich die Grundlage dafür, ein Haus zu kaufen und eine Familie zu gründen.

Und dabei hatte er da – mit Unterstützung seiner Freunde und Förderer – schon die ersten Rechenbücher veröffentlicht und sich einen Namen gemacht. Denn da er seine Rechenbücher in einfacher Sprache schrieb und damit auch verständlich für Menschen, die nicht studiert hatten, wurden diese Werke tatsächlich zur Lektüre für immer mehr Menschen, die auf verlässliche Berechnungen – und Rechenbeispiele – angewiesen waren. Und dazu kam noch etwas: Er verwendete – anders als die studierten Rechenbuch-Autoren seiner Zeit – konsequent die arabischen Ziffern und nicht mehr die römischen, mit denen das Rechnen viel umständlicher war.

Von kleineren Brötchen und einer gar nicht so kleinen Revolution im Denken

Aber Rüdiger erzählt nicht nur einfach die Karriere eines Mannes, dem das richtige Rechnen ein Herzensanliegen war. Er zeigt gleichzeitig den Mann, der sich von den Ideen der Reformation anstecken ließ und dabei auch Ärger mit dem katholischen Landesherrn bekam, auch wenn der seinen Rechenmeister aus Annaberg dann doch lieber vor harter Strafe verschonte.

Dabei zeigt kaum eine Persönlichkeit aus dieser Zeit so deutlich, wie eng verknüpft die Luthersche Reformation mit dem zunehmenden Selbstbewusstsein des Bürgertums und der Entfaltung von Markt und Handel zusammenhing. Gut möglich, dass sich Adam Ries und Luther tatsächlich begegnet sind – bei einem von Luthers Aufenthalten in Erfurt zum Beispiel.

Wie berühmt Ries am Ende war, zeigte auch noch sein letzter Aufenthalt 1557 in Leipzig, als ihn der Rat der Stadt einlud, Listen zu errechnen, wie sich die Größe von Broten und Brötchen verändern musste, wenn der Getreidepreis stieg. Auf einmal wird das so gängige Sprichwort deutlich: „Wir müssen kleinere Brötchen backen.“

Denn damit begegneten Städte wie Leipzig möglichen Hungerunruhen in Zeiten steigender Getreidepreise. Wurde das Getreide teurer, wurden Brote und Brötchen kleiner, der Preis aber blieb stabil. Und alle bekamen genügend. Es sind solche Vorgänge, mit denen Rüdiger ein Stück jener Zeit lebendig werden lässt, in der Adam Ries lebte. Aber auch die neue Rolle der Mathematik sichtbar macht, die aus dem Studierstübchen der Akademiker in den Alltag von immer mehr Berufen fand und damit die Grundlagen schuf für immer mehr vorausschauend berechnete Vorgänge. So wird das Wirtschaften und Planen nicht nur berechenbar – es verändert auch das Denken der Menschen.

„Wie nahe ist uns heute noch der Rechenmeister Adam Ries“, fragt Rüdiger im Vorwort. Viel näher, als wir meinen. Denn das, was er mit seinen Rechenbüchern auslöste, darf man durchaus auch als eine Revolution bezeichnen. Es geht ja um nichts Geringeres, als die Welt berechenbar zu machen. Klug berechenbar, kann man hinzufügen.

Viel vermisste Sachlichkeit

Denn die Sachlichkeit, mit der ein Adam Ries einst die Brötchenpreise berechnete, darf man heute in vielen Zauberformeln der Ökonomie vermissen, die etwas vergessen hat, was für Adam, den Müllersohn, noch selbstverständlich war: Man rechnet mit Realien und nicht mit Wunschvorstellungen, wie Wirtschaft theoretisch zu sein habe.

Manchmal fehlen solche sachlich rechnenden Typen. Mal von Leuten abgesehen, die nicht anfangen zu jammern, wenn die Rechnung ergibt, dass die Brötchen kleiner werden müssen.

Bernd Rüdiger „Adam Ries. Der größte deutsche Rechenmeister“, Tauchaer Verlag, Leipzig 2022, 12 Euro.

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