Den Spruch kennt jeder: „Cogito ergo sum“, „Ich denke, also bin ich.“ Der steht so in René Descartes’ „Meditationes de prima philosophia“ von 1641. Über 300 Jahre lang bestimmt er schon das Denken über das Denken, regte Philosophen dazu an, den Ursprung unseres Ichs mit dicken Traktaten dingfest zu machen. Manche recht gewaltig im Wort. Denn mit Descartes schien ja endlich gefasst zu sein, was uns zu denkenden Wesen macht. Denkste, stellt Gottfried Böhme fest.

Es ist das dritte Buch in der Grauen Edition, in dem er sich mit dem Ursprung unseres Bewusstseins beschäftigt. Das erste hieß „Verschattete Freiheit“, das zweite „Die zweite Dimension der Zeit“.

In beiden hatte er keine Scheu, sich selbst mit hochdekorierten Denkern der Gegenwart und der Vergangenheit anzulegen, ihre Thesen und Theorien auseinanderzunehmen und immer wieder die Frage zu stellen, wie eigentlich das Denken in unseren Köpfen überhaupt möglich wird.

Manchmal erwähnt er geradezu entschuldigend, dass er ja nur Lehrer ist. 1992 kam er nach Leipzig, war in der Lehrerfortbildung tätig, hat aber am Evangelischen Schulzentrum auch einen Philosophiekurs aufgebaut, in dem die Fragen, die er in seinen Büchern aufwirft, auch eine Rolle spielten.

Fragen, die allesamt hochaktuell sind. Das Kürzel KI erscheint nicht ganz zufällig im Titel, auch wenn sich Böhme gar nicht weiter mit dem beschäftigt, was heutzutage tatsächlich als „Künstliche Intelligenz“ am Markt gehandelt wird.

Von Leuten, die tatsächlich glauben, dass ihre Algorithmen tatsächlich intelligent sind und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die KI das Denken der Menschen übertrifft und quasi an ihrer Stelle die Herrschaft über die Welt übernimmt.

Nur: Was ist eigentlich Intelligenz?

Was ist Intelligenz?

Nur weil es in Intelligenztests „gemessen“ werden kann, weiß trotzdem keiner, was sie eigentlich ausmacht. Oder wie sie entsteht. Womit man wieder bei „Cogito ergo sum“ wäre, dem Spruch, mit dem René Descartes scheinbar der Geniestreich gelang, mit dem die Seele in den Ruhestand versetzt wurde und fortan nur noch ganz materialistisch über Bewusstsein, Denken, Selbsterkenntnis, Ich gesprochen werden konnte.

Dass er dabei ausgerechnet die Zirbeldrüse zum Ort unseres Selbsterkennens gemacht hat, ist leider nicht das einzige Problem an seiner These, die so viele große Denker in seine Fußstapfen treten ließ.

Denn die eigentliche Frage, die Böhme immer wieder stellt, hat Descartes ja nicht beantwortet: Was ist eigentlich dieses Ich, das da denkt? Wie entsteht es? Wie wird aus toter Materie etwas, das nicht nur in der Lage ist, die tote und lebendige Materie ringsum wahrzunehmen, sondern sich sogar noch seiner selbst bewusst zu werden? Wie „funktioniert“ dieses Bewusstwerden?

Scheinbar gibt es darauf haufenweise Antworten. Zehn solcher Versuche nimmt Böhme in diesem Buch genauer unter die Lupe – Versuche, die ihre Autoren oft gar nicht als Versuche verkauften, sondern als Dogma: So ist es.

So, wie die profitversessenen Herren im Silicon Valley der Welt ihre hochgezüchteten Algorithmen als „Künstliche Intelligenz“ verkaufen und jeden Hebel in Bewegung setzen, diese KI auch möglichst in alle Lebensbereiche hineinzudrücken und die Menschen besoffen zu reden, mit ihrem Glauben, programmierte Algorithmen könnten denken. Oder zum Denken erwachen irgendwann. Man wisse halt nur noch nicht, wann.

Tatsächlich weiß man nicht einmal, wie das gehen soll. Denn Rechenoperationen in einer Maschine können nicht „zum Denken erwachen“. Auch dann nicht, wenn immer mehr Hirnforscher und Kybernetiker glauben, das Denken in unseren Köpfen liefe so ab wie die Rechenoperationen in einem Computer. Was schlicht nicht der Fall ist und so auch nicht mit den heute verfügbaren Messmethoden der Hirnforschung nachweisbar ist.

Alles begann mit Damasio

Einer diese Hirnforscher – Antonio Damasio – war es letztlich, der mit Büchern wie „Ich fühle, also bin ich“, den skeptischen Lehrer dazu brachte, genauer und hartnäckiger nachzufragen, welche Antworten alle diese viel diskutierten Leute tatsächlich auf die simple Frage gegeben haben, wie Bewusstsein entsteht.

„Mit dem unbeirrbaren Erkenntnisdrang eines jungen Menschen wollte ich nach der Damasio-Lektüre wenigstens klar verstehen, wie sich denn nun das Bewusstsein in unserem Gehirn bildet“, schreibt Böhme.

„Und deshalb fing ich an, die Texte noch einmal genauer zu lesen, zu exzerpieren und schließlich akribisch nach der Stelle zu suchen, in der der Hirnforscher uns beschreibt, wie der Umschlag von Materie in Geist sich vollzieht, wo wir genannt bekommen, wie die Materie unseren Geist aus sich heraussetzt. Bloß: diese Stelle – diesen Satz gibt es bei Damasio nicht.“

Und es gibt diese Stelle auch bei all den anderen Denkern nicht, die Böhme intensiv gelesen und exzerpiert hat – deutlich mehr als die zehn Herren, die er in diesem Buch exemplarisch vorstellt, weil ihre Lösungsangebote so typisch waren und sind für unterschiedliche Denkansätze.

Das Wissen um Leute wie Platon, Descartes oder Augustinus setzt er geradezu voraus. Denn mit der Frage, wie das Denken und Wahrnehmen in unsere Köpfe kommt, haben sich die großen Grübler schon seit 2.500 Jahren beschäftigt.

Auch weil es immer eines der drei großen Rätsel war, die die Physik (und auch keine andere Wissenschaft) bis heute nicht wirklich beantworten konnte. Das erste ist der Ursprung der Welt – also aller Dinge, die sind – scheinbar aus dem Nichts. Aber was vor dem bildlich gesprochenen „Urknall“ passierte, wissen wir nicht. Egal, welche neue Sensationsmeldung aus der Astronomie-Gilde in die Welt posaunt wird.

Dasselbe gilt für das Rätsel, wie aus lebloser Materie überhaupt Leben entstehen konnte. Chemisch lässt sich das prima beschreiben. Aber wie genau der Umschlag zum Leben vonstattenging, wissen wir nicht. Und dasselbe gilt für das Bewusstsein, das sich ja auch die Theologie jahrhundertelang als einen besonderen Stoff vorstellte, der nach dem Tod des Menschen in höhere Sphären aufsteigt – die Seele.

Wo steckt es denn?

Jene Seele, die Descartes versuchte, durch kluge Wortakrobatik aus der Welt zu schaffen und ein ganz unabhängig von höheren Mächten Denkendes zu postulieren. Das war die Wegbereitung für eine rein materialistische Betrachtung von Bewusstsein, gleichzeitig die Trennung von Subjekt und Objekt und damit die einer Dualität, die Außenwelt und Innenwelt, Körper und Geist bis heute trennte.

Und ganz offensichtlich stoßen alle naturwissenschaftlichen Versuche, des Bewusstseins in irgendeiner Weise habhaft zu werden, an Grenzen. Und zwar unüberwindbare Grenzen. Denn messbar und darstellbar ist nur das Materielle.

Aber das Gehirn ist genauso wenig unser Ich, wie es die Synapsen sind oder das Feuerwerk, das die Hirnforscher auf ihren Geräten beobachten können, wenn sie ihren Versuchsobjekten knifflige Aufgaben stellen oder herzerweichende Bilder zeigen.

Den nicht nur unsere Selbstwahrnehmung oder die Vernunft à la Kant spielen sich ja irgendwie in unserem Gehirn ab, sondern auch unsere Gefühle, Träume, Phantasie. Wir nehmen die Welt holistisch wahr, wie Böhme betont. Ständig „feuert“ da was. Aber das auf den Monitoren sichtbar gemachte Feuern ist nicht unser Geist. Niemand kann daraus irgendeinen Gedanken, ein Bild, ein Gefühl destillieren.

Was auch damit zu tun hat, dass es in unserem Kopf kein reines Denken, keine reine Vernunft im Sinne Kants gibt. Logisch, dass der große Philosoph aus Königsberg in diesem Buch ebenfalls auftaucht, hat er sich ja wie kein anderer damit beschäftigt, aus dem oft genug chaotischen Denken und Meinen der Menschen eine reine, durch die Störgeräusche der Welt nicht beeinträchtigte Vernunft herauszudestillieren.

Ein Versuch, der genauso in der Sackgasse scheiterte wie Fichtes späterer Ansatz, aus dem sich selbst setzenden Ich so wichtige Voraussetzungen menschlichen Handelns wie die Freiheit herauszudestillieren.

Ein Ansatz, der auf den ersten Blick fasziniert, denn damit schuf Fichte ja so etwas wie das Grundgerüst dafür, den Menschen überhaupt erst einmal in seiner Fähigkeit zum Handeln zu definieren. Ein Versuch, den Fichte selbst später zurücknahm, der aber auch fatale Folgen hatte.

Eine davon ist Nietzsches „Übermensch“ und „Der Wille zur Macht“. Auch dazu ist menschlicher Geist fähig: Unbegründete Denkansätze so lange zu radikalisieren, bis etwas völlig Unmenschliches daraus wird.

Auffällige Leerstellen

Wobei Böhme an Fichte besonders schätzt, dass er fähig war, sich selbst infrage zu stellen und seinen Irrweg als solchen zu erkennen. Und vor allem auch zu erklären, wie er überhaupt auf den Gedanken kam. Was die meisten hochgelobten Philosophen ja nie machen.

Die stellen ihre „unerschütterlichen Wahrheiten“ aus sich heraus, als wären es göttliche Eingebungen. Ohne zu erklären, woher sie den Kram haben und worauf das Konstrukt eigentlich gründet.

Und das ist das Faszinierende an Böhmes Buch, dass er das bei keinem der zehn Apostel des Denkens durchgehen lässt. Er würdigt zwar das Besondere und manchmal auch Weiterführende an den vorgestellten (und meist in dicken Bestsellern verbreiteten) Ideengebäuden.

Aber er lässt sich von schönen Worten nicht blenden, auch nicht von genial anmutenden Bildern, die den Lesern suggerieren, dass Bewusstsein genau so und so entsteht.

Er wühlt sich durch die dicken Bücher und sucht bei jedem Autoren genau den Punkt, an dem der erklärt, wie aus Materie Denken entsteht. Denn es einfach zu postulieren, klärt in der Frage gar nichts. Nicht einmal, wie all die Vorgänge in der Außenwelt, die wir über unsere diversen Sinnesorgane aufnehmen, in unserem Kopf zu einem adäquaten Bild der Welt werden können.

Denn dazu braucht es ja eines Vorgangs, der aus simplen Signalen (egal, ob chemischer oder elektrischer Art) in unserem Kopf ein komplexes Bild für alles macht, was uns gerade geschieht.

Den Spruch kennt jeder: „Cogito ergo sum“, „Ich denke, also bin ich.“ Der steht so in René Descartes’ „Meditationes de prima philosophia“ von 1641. Über 300 Jahre lang bestimmt er schon das Denken über das Denken, regte Philosophen dazu an, den Ursprung unseres Ichs mit dicken Traktaten dingfest zu machen. Manche recht gewaltig im Wort. Denn mit Descartes schien ja endlich gefasst zu sein, was uns zu denkenden Wesen macht. Denkste, stellt Gottfried Böhme fest.

Es ist das dritte Buch in der Grauen Edition, in dem er sich mit dem Ursprung unseres Bewusstseins beschäftigt. Das erste hieß „Verschattete Freiheit“, das zweite „Die zweite Dimension der Zeit“.

In beiden hatte er keine Scheu, sich selbst mit hochdekorierten Denkern der Gegenwart und der Vergangenheit anzulegen, ihre Thesen und Theorien auseinanderzunehmen und immer wieder die Frage zu stellen, wie eigentlich das Denken in unseren Köpfen überhaupt möglich wird.

Manchmal erwähnt er geradezu entschuldigend, dass er ja nur Lehrer ist. 1992 kam er nach Leipzig, war in der Lehrerfortbildung tätig, hat aber am Evangelischen Schulzentrum auch einen Philosophiekurs aufgebaut, in dem die Fragen, die er in seinen Büchern aufwirft, auch eine Rolle spielten.

Fragen, die allesamt hochaktuell sind. Das Kürzel KI erscheint nicht ganz zufällig im Titel, auch wenn sich Böhme gar nicht weiter mit dem beschäftigt, was heutzutage tatsächlich als „Künstliche Intelligenz“ am Markt gehandelt wird.

Von Leuten, die tatsächlich glauben, dass ihre Algorithmen tatsächlich intelligent sind und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die KI das Denken der Menschen übertrifft und quasi an ihrer Stelle die Herrschaft über die Welt übernimmt.

Nur: Was ist eigentlich Intelligenz?

Was ist Intelligenz?

Nur weil es in Intelligenztests „gemessen“ werden kann, weiß trotzdem keiner, was sie eigentlich ausmacht. Oder wie sie entsteht. Womit man wieder bei „Cogito ergo sum“ wäre, dem Spruch, mit dem René Descartes scheinbar der Geniestreich gelang, mit dem die Seele in den Ruhestand versetzt wurde und fortan nur noch ganz materialistisch über Bewusstsein, Denken, Selbsterkenntnis, Ich gesprochen werden konnte.

Dass er dabei ausgerechnet die Zirbeldrüse zum Ort unseres Selbsterkennens gemacht hat, ist leider nicht das einzige Problem an seiner These, die so viele große Denker in seine Fußstapfen treten ließ.

Denn die eigentliche Frage, die Böhme immer wieder stellt, hat Descartes ja nicht beantwortet: Was ist eigentlich dieses Ich, das da denkt? Wie entsteht es? Wie wird aus toter Materie etwas, das nicht nur in der Lage ist, die tote und lebendige Materie ringsum wahrzunehmen, sondern sich sogar noch seiner selbst bewusst zu werden? Wie „funktioniert“ dieses Bewusstwerden?

Scheinbar gibt es darauf haufenweise Antworten. Zehn solcher Versuche nimmt Böhme in diesem Buch genauer unter die Lupe – Versuche, die ihre Autoren oft gar nicht als Versuche verkauften, sondern als Dogma: So ist es.

So, wie die profitversessenen Herren im Silicon Valley der Welt ihre hochgezüchteten Algorithmen als „Künstliche Intelligenz“ verkaufen und jeden Hebel in Bewegung setzen, diese KI auch möglichst in alle Lebensbereiche hineinzudrücken und die Menschen besoffen zu reden, mit ihrem Glauben, programmierte Algorithmen könnten denken. Oder zum Denken erwachen irgendwann. Man wisse halt nur noch nicht, wann.

Tatsächlich weiß man nicht einmal, wie das gehen soll. Denn Rechenoperationen in einer Maschine können nicht „zum Denken erwachen“. Auch dann nicht, wenn immer mehr Hirnforscher und Kybernetiker glauben, das Denken in unseren Köpfen liefe so ab wie die Rechenoperationen in einem Computer. Was schlicht nicht der Fall ist und so auch nicht mit den heute verfügbaren Messmethoden der Hirnforschung nachweisbar ist.

Alles begann mit Damasio

Einer diese Hirnforscher – Antonio Damasio – war es letztlich, der mit Büchern wie „Ich fühle, also bin ich“, den skeptischen Lehrer dazu brachte, genauer und hartnäckiger nachzufragen, welche Antworten alle diese viel diskutierten Leute tatsächlich auf die simple Frage gegeben haben, wie Bewusstsein entsteht.

„Mit dem unbeirrbaren Erkenntnisdrang eines jungen Menschen wollte ich nach der Damasio-Lektüre wenigstens klar verstehen, wie sich denn nun das Bewusstsein in unserem Gehirn bildet“, schreibt Böhme.

„Und deshalb fing ich an, die Texte noch einmal genauer zu lesen, zu exzerpieren und schließlich akribisch nach der Stelle zu suchen, in der der Hirnforscher uns beschreibt, wie der Umschlag von Materie in Geist sich vollzieht, wo wir genannt bekommen, wie die Materie unseren Geist aus sich heraussetzt. Bloß: diese Stelle – diesen Satz gibt es bei Damasio nicht.“

Und es gibt diese Stelle auch bei all den anderen Denkern nicht, die Böhme intensiv gelesen und exzerpiert hat – deutlich mehr als die zehn Herren, die er in diesem Buch exemplarisch vorstellt, weil ihre Lösungsangebote so typisch waren und sind für unterschiedliche Denkansätze.

Das Wissen um Leute wie Platon, Descartes oder Augustinus setzt er geradezu voraus. Denn mit der Frage, wie das Denken und Wahrnehmen in unsere Köpfe kommt, haben sich die großen Grübler schon seit 2.500 Jahren beschäftigt.

Auch weil es immer eines der drei großen Rätsel war, die die Physik (und auch keine andere Wissenschaft) bis heute nicht wirklich beantworten konnte. Das erste ist der Ursprung der Welt – also aller Dinge, die sind – scheinbar aus dem Nichts. Aber was vor dem bildlich gesprochenen „Urknall“ passierte, wissen wir nicht. Egal, welche neue Sensationsmeldung aus der Astronomie-Gilde in die Welt posaunt wird.

Dasselbe gilt für das Rätsel, wie aus lebloser Materie überhaupt Leben entstehen konnte. Chemisch lässt sich das prima beschreiben. Aber wie genau der Umschlag zum Leben vonstattenging, wissen wir nicht. Und dasselbe gilt für das Bewusstsein, das sich ja auch die Theologie jahrhundertelang als einen besonderen Stoff vorstellte, der nach dem Tod des Menschen in höhere Sphären aufsteigt – die Seele.

Wo steckt es denn?

Jene Seele, die Descartes versuchte, durch kluge Wortakrobatik aus der Welt zu schaffen und ein ganz unabhängig von höheren Mächten Denkendes zu postulieren. Das war die Wegbereitung für eine rein materialistische Betrachtung von Bewusstsein, gleichzeitig die Trennung von Subjekt und Objekt und damit die einer Dualität, die Außenwelt und Innenwelt, Körper und Geist bis heute trennte.

Und ganz offensichtlich stoßen alle naturwissenschaftlichen Versuche, des Bewusstseins in irgendeiner Weise habhaft zu werden, an Grenzen. Und zwar unüberwindbare Grenzen. Denn messbar und darstellbar ist nur das Materielle.

Aber das Gehirn ist genauso wenig unser Ich, wie es die Synapsen sind oder das Feuerwerk, das die Hirnforscher auf ihren Geräten beobachten können, wenn sie ihren Versuchsobjekten knifflige Aufgaben stellen oder herzerweichende Bilder zeigen.

Den nicht nur unsere Selbstwahrnehmung oder die Vernunft à la Kant spielen sich ja irgendwie in unserem Gehirn ab, sondern auch unsere Gefühle, Träume, Phantasie. Wir nehmen die Welt holistisch wahr, wie Böhme betont. Ständig „feuert“ da was. Aber das auf den Monitoren sichtbar gemachte Feuern ist nicht unser Geist. Niemand kann daraus irgendeinen Gedanken, ein Bild, ein Gefühl destillieren.

Was auch damit zu tun hat, dass es in unserem Kopf kein reines Denken, keine reine Vernunft im Sinne Kants gibt. Logisch, dass der große Philosoph aus Königsberg in diesem Buch ebenfalls auftaucht, hat er sich ja wie kein anderer damit beschäftigt, aus dem oft genug chaotischen Denken und Meinen der Menschen eine reine, durch die Störgeräusche der Welt nicht beeinträchtigte Vernunft herauszudestillieren.

Ein Versuch, der genauso in der Sackgasse scheiterte wie Fichtes späterer Ansatz, aus dem sich selbst setzenden Ich so wichtige Voraussetzungen menschlichen Handelns wie die Freiheit herauszudestillieren.

Ein Ansatz, der auf den ersten Blick fasziniert, denn damit schuf Fichte ja so etwas wie das Grundgerüst dafür, den Menschen überhaupt erst einmal in seiner Fähigkeit zum Handeln zu definieren. Ein Versuch, den Fichte selbst später zurücknahm, der aber auch fatale Folgen hatte.

Eine davon ist Nietzsches „Übermensch“ und „Der Wille zur Macht“. Auch dazu ist menschlicher Geist fähig: Unbegründete Denkansätze so lange zu radikalisieren, bis etwas völlig Unmenschliches daraus wird.

Auffällige Leerstellen

Wobei Böhme an Fichte besonders schätzt, dass er fähig war, sich selbst infrage zu stellen und seinen Irrweg als solchen zu erkennen. Und vor allem auch zu erklären, wie er überhaupt auf den Gedanken kam. Was die meisten hochgelobten Philosophen ja nie machen.

Die stellen ihre „unerschütterlichen Wahrheiten“ aus sich heraus, als wären es göttliche Eingebungen. Ohne zu erklären, woher sie den Kram haben und worauf das Konstrukt eigentlich gründet.

Und das ist das Faszinierende an Böhmes Buch, dass er das bei keinem der zehn Apostel des Denkens durchgehen lässt. Er würdigt zwar das Besondere und manchmal auch Weiterführende an den vorgestellten (und meist in dicken Bestsellern verbreiteten) Ideengebäuden.

Aber er lässt sich von schönen Worten nicht blenden, auch nicht von genial anmutenden Bildern, die den Lesern suggerieren, dass Bewusstsein genau so und so entsteht.

Er wühlt sich durch die dicken Bücher und sucht bei jedem Autoren genau den Punkt, an dem der erklärt, wie aus Materie Denken entsteht. Denn es einfach zu postulieren, klärt in der Frage gar nichts. Nicht einmal, wie all die Vorgänge in der Außenwelt, die wir über unsere diversen Sinnesorgane aufnehmen, in unserem Kopf zu einem adäquaten Bild der Welt werden können.

Denn dazu braucht es ja eines Vorgangs, der aus simplen Signalen (egal, ob chemischer oder elektrischer Art) in unserem Kopf ein komplexes Bild für alles macht, was uns gerade geschieht.

Bewusstsein braucht Zeit

Ein Bild, das – da ist sich Böhme sicher – nur dadurch entstehen kann, dass wir in der Lage sind, nicht nur die Gegenwart (das akut eintreffende Signal) wahrzunehmen, sondern auch das Davor und das Danach, so dass wir überhaupt erst erfassen können, dass Dinge (nacheinander) geschehen.

Das Problem hat er in seinem Buch „Die zweite Dimension“ ausführlich diskutiert, wo er vor allem die Verengung unseres Zeitbegriffs durch die eindimensionale Zeitdefinition nach Newton kritisiert. Was in der Physik eine eindeutige und messbare Größe ist, kann im Bewusst-Sein so nicht funktionieren.

Man ahnt an der Stelle eigentlich nur, wie viel Forschung da tatsächlich noch vor den Hirnforschern liegt, bis sie überhaupt ein einigermaßen stimmiges Bild vom Bewusstsein erlangen. Was nicht heißt, dass sie es jemals duplizieren können. Denn wie Leben „zu Bewusstsein erwacht“, wissen wir nicht. Wir können es nicht beobachten.

Es sei denn, wir schauen Babys dabei zu, wie in ihnen das Wahrnehmen und Subjektwerden langsam sichtbar werden. Aber wo beginnt dieses sich und der Welt Bewusstwerden?

Manche Denker verlegen es ja sogar weit vor die Entstehung des Menschen, manche in die Entstehungszeit der Pflanzen, manche an den Beginn des Lebens, manche gar in die Materie selbst.

Doch immer da, wo es um die Frage geht, die Böhme beschäftigt, versagen alle diese schönen Theorien, erscheint eine Leerstelle, die die meisten Autoren dann durch eine Wortkonstruktion gefüllt haben, die scheinbar alles erklärt – selbst aber völlig leer ist.

Schöne Geistesblitze

Kein einziger Forscher kann wirklich erklären, wie in einem Organ, in das ständig lauter unterschiedliche Informationen hineinfließen, auf einmal so etwas wie Bewusstsein entsteht, das Sich-selbst-Wahrnehmen eines Subjekts, das sich nun auch noch als Beobachter einer Welt außerhalb seiner selbst erfährt.

Im Grunde ist Böhmes Buch eine pointierte und neugierige Reise durch ein Forschungsfeld, das in den vergangenen 2.500 Jahren vor allem Philosophen beschäftigte (und an den Rand der Verzweiflung brachte) und heute Kybernetiker und Hirnforscher auf Trab hält.

Mit dem unübersehbaren Problem dabei, dass selbst kluge Menschen immer wieder dazu neigen, eine schön ausbaldowerte Theorie mit der Wirklichkeit zu verwechseln und die Blindstelle in ihren Geistesblitzen übersehen.

Genau die Blindstelle, die ja nicht nur Gottfried Böhme schon seit jungen Jahren beschäftigt, sondern auch andere junge und junggebliebene Menschen, die sich die großen Rätsel unseres Seins nicht einfach mit vergoldeten Sprüchen erklären lassen, sondern wirklich wissen wollen, wie eben Geist, Bewusstsein, Vernunft überhaupt erst entstehen.

Denn die eine beruhigende Antwort, die Böhme andeutet, ist ja: Solange wir das nicht wissen, wird es auch keine echte Computer-Intelligenz geben. Bloße Zahlenkolonnen und Rechenoperationen können nicht „einfach so“ in Bewusstsein umschlagen. In Intelligenz auch nicht.

Der Mensch ist keine (Rechen-)Maschine

Dass wir unserem Bewusstwerden näherkommen, wenn wir unser Denken und Wahrnehmen nicht an den eindimensionalen Zeitbegriff Newtons koppeln, bringt uns wahrscheinlich ein Stück weiter beim Verstehen dessen, was Bewusstsein eigentlich ist.

Aber auch Böhme ist da ehrlich mit sich und uns: Eine Lösung für die grundlegende Frage, wie der Geist in unserem Kopf überhaupt entsteht, ist das auch noch nicht. Und es ist gut möglich, dass wir das auch nie erfahren werden, solange wir als Menschen auf diesem wunderbaren Planeten überleben.

Eine kleine Betonung, die Böhme auch mit unterbringt. Denn ganz offensichtlich befleißigen sich leider sehr viele Menschen nicht einmal der Kant’schen Empfehlung, sich ihrer eigenen Vernunft zur Erkenntnis der Welt zu bedienen. Sondern rennen dummen Behauptungen, Vorstellungen und unbewiesenen Lehrsätzen hinterher, völlig überzeugt davon, begriffen zu haben, was eigentlich in der Welt vorgeht.

Und ganz offensichtlich gehören auch die Propagandisten der KI dazu, die eine Vorstellung vom Menschen und seinem Denken haben, die selbst einen Karl Popper entsetzt hätte. Den Böhme natürlich auch zitiert: „Ich halte (…) die These, dass Menschen Maschinen sind, nicht nur für falsch, sondern für eine Lehre, die dazu tendiert, eine humane Ethik zu untergraben.“

Eine Ethik, zu der – nach Fichte – eben auch so wichtige Dinge wie das Gewissen gehören. Was die nächste Frage aufwirft: Was bringt uns eigentlich dazu, ethisch zu handeln? Also menschlich und eben nicht technokratisch, wie es uns nicht nur die Verkünder der KI weismachen wollen.

Gottfried Böhme Fühlende KI? Denkendes Fleisch? Die Graue Edition, Zug/Schweiz 2023, 29,50 Euro.

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