Riesen gibt es nicht. Oder doch? Irgendetwas jedenfalls ist komisch in Omas Landhaus mit der großen Apfelplantage dahinter. Das bekommt Robert schon am ersten Tag mit, den er bei der Oma auf dem Dorf verbringt. Sein erster Ferientag. Aber eigentlich hat ihn seine Mama dorthin geschickt, weil Mama ins Krankenhaus muss. Und das nicht nur wegen einer Routineuntersuchung. Aber das darf Robert der Oma nicht verraten. Sie soll sich ja keine unnötigen Sorgen machen. Aber Oma hat auch ihre Geheimnisse.
Und die haben mit den Riesen zu tun, die meist nur in der Nacht kommen, wenn keiner sie sieht. Ihre Spuren im Garten sind unübersehbar. Da lässt sich Robert nichts vormachen. Er ist ja ein aufgeweckter Junge und nimmt auch die Apfelplantage genau unter die Lupe, in der er in der Nacht die riesigen Schatten gesehen hat. Und dort findet er ihn dann – den goldenen Apfel. Mit dem es bald richtig turbulent wird, auch wenn er das noch nicht ahnt. Kinder finden ja immer tolle Sachen. Und wer sie findet, darf sie behalten. So ist das doch?
Nur dass dieser Apfel eigentlich nicht im Apfelgarten landen sollte und für die Riesen, die jetzt tatsächlich unübersehbar in Roberts Leben auftauchen und ihn gewaltig erschrecken, eine besondere Rolle spielt. Beziehungsweise für die Götter, denen ein paar freche Riesen die elf Äpfel geklaut haben, an denen auf einmal das Leben aller Riesen hängt.
Und Roberts Ferien werden so abenteuerlich, wie es sich kleine Jungen nur zu gern ausmalen. Mit richtigen Riesen, einer gewaltigen Riesenburg in den Bergen und natürlich einem viel zu abenteuerlustigen Robert, der dann auch noch erwischt wird und auf einmal den Riesen erklären soll, was er in ihrer Burg macht und wie er an den goldenen Apfel gekommen ist.
Freunde groß und klein
Es wird zum Gänsehautkriegen und Zähneklappern. Und es sieht gar nicht gut aus für den Knirps in der Riesenwelt. Wären da nicht die Kinder der Riesen. Kinder sind wie Kinder, auch wenn sie riesengroß sind wie Rudika. Die neugierig ist und wissen will, warum Robert das alles passiert ist. So eine Geschichte ist das – eine Geschichte in der Geschichte, in der Ralph Grüneberger auch ganz märchenhaft daran erinnert, warum so viele Erwachsene in ihrer Einbildung, immer recht haben zu müssen, so oft Unheil anrichten.
Oder beinah Unheil anrichten. Den ohne Rudikas Hilfe würde Robert dem Oberriesen Hymidis nicht Paroli bieten können. Denn so richtig an Zusagen fühlt sich der Oberboss der Riesen auch nicht gebunden. Obwohl er Robert eigentlich zugesagt hat, dass er wieder ins Tal zur Oma zurück darf.
Vorher soll er kämpfen. Und wer alte Ritterfilme kennt, weiß, dass dabei nicht immer der Gute gewinnt. Es sieht also alles so aus, dass es schiefgehen muss. Aber wer Freundinnen wie Rudika und die gut erzogene Ratte Raschel hat, der kann das schaffen. Noch so eine Botschaft: Freunde brauchst du. Die dürfen auch ganz klein sein. Und natürlich geht die Geschichte am Ende gut aus. Eben auch, weil die Kleinen zusammenhalten.
Aber das ist die Geschichte in der Geschichte – abenteuerlich genug. Wer etwas ängstlich ist – wie Robert in seiner ersten Nacht in Omas Haus – darf sich gruseln und mitfürchten. Denn so muss das sein, wenn man im Leben ein Abenteuer bestehen will: Wie es ausgeht am Ende, weiß man nicht. Man kann sich nur echte Freunde suchen. Und darf sich auch von grimmigen Riesen nicht einschüchtern lassen.
Die richtig großen Herausforderungen
Aber weil das ein Märchen in einer richtigen Geschichte ist, ist das alles natürlich nicht zu Ende, wenn Robert heimkommt mit den Riesen, die sogar Omas verwüstete Plantage wieder in Ordnung bringen. Denn inzwischen liegt auch der zweite Brief von seiner Mama da und der klingt auch nicht gut.
Da weiß auch Oma, dass das mit der Routineuntersuchung nur vorgeschoben war. Es hilft alles nichts: Jetzt müssen sie zu Mama ins Krankenhaus. Denn das sind die wirklich großen Herausforderungen in unserem Leben. Mit denen es auch Kinder oft genug zu tun bekommen.
Wie geht man damit um? Wie viel lässt man sie wissen? Oder ist es tatsächlich besser, sie nicht im Unklaren zu lassen? Vielleicht Geschichten zu erzählen, die fassbar machen, dass es auch solche Dinge im Leben gibt, bei denen man lernen muss, tapfer und geduldig zu werden. Auch, wenn der Gegner scheinbar riesengroß ist? Bestimmt. Denn so lernt man ja, was wirklich wichtig ist. Und woran man mit allen Fasern hängt im Leben.
Es ist eigentlich eine kleine Geschichte, eine vom Tapfersein als Kind. Eine Geschichte über das, was wirklich wichtig ist. Und dass man am Ende sogar Freunde gewinnt, wenn man den „grimmigen Riesen“ zuhört und versteht, warum sie so außer sich sind. So gesehen ist das also nicht märchenhaft, sondern ganz irdisch. Und menschlich. Eine Geschichte mit lauter kleinen, eher beiläufig auftauchenden Botschaften – in denen auch ein paar gewaltige Riesen in den Bergen vorkommen können.
Vielleicht gibt es sie ja. Zumindest bei jenem Dorf, wo die Oma wohnt und jede Woche eine Menge riesiger Brote bäckt. Da verschmelzen das Märchenhafte und das selbst oft so rätselhafte Leben. Aber dafür hat man ja seine kindliche Neugier, auch wenn man vorher nicht weiß, was man dann erfährt, wenn man sich traut, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Ralph Grüneberger „Robert und der elfte Apfel“ Mirabilis Verlag, Klipphausen 2025, 21 Euro.
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