Wolfgang Kemp ist eigentlich Kunsthistoriker, war Professor für Kunstgeschichte an verschiedenen Hochschulen. Doch seit er im Ruhestand ist, tummelt er sich auch auf dem Gebiet der Linguistik, schreibt zugespitzte Beiträge für Zeitungen und macht sich eine Menge Gedanken darüber, was da gerade mit unserer schönen deutschen Sprache passiert. Was ihr da angetan wird – gedankenlos oder mit Absicht. Der wild klingende Titel des Buches kommt nicht von ungefähr. So reden ja immer mehr Leute um uns herum. Man könnte sich die Haare raufen. Hören die sich nicht selbst reden?

Drei Holperstrecken des heutigen Sprachgebrauchs hat sich Kemp für dieses feuilletonistische Büchlein zur Erkundung vorgenommen. Das erste ist die Schnatterwelt der Partikeln, also jener kleinen Sprachbestandteile, die die Sätze fluten, wenn die Sprechenden eigentlich nichts zu sagen haben. Entweder, weil es auch gar nichts zu sagen gibt – oder weil sie vom Thema, über das geredet wird, gar keine Ahnung haben.

Und so werden die Sätze vollgestopft mit Versatzstücken, die das Gesagte gleichzeitig aufpeppen und verwässern. Worte wie sozusagen, genau, irgendwie, wobei, obwohl usw. Kemp nimmt einen der unzähligen Podcasts im Internet zur Analyse, in dem zwei Redende sich „irgendwie so“ über Ernst Jünger unterhalten, den sie für unlesbar und viel zu schwer verständlich erklären, aber in dem ganzen Podcast überhaupt nichts Substanzielles über Jünger oder gar seinen Stil sagen. Ein geradezu typisches Gespräch über irgendetwas, wie es heute alle realen und digitalen Räume füllt.

Wer alles meint, meint gar nichts mehr

Im zweiten Teil seines Buches widmet er sich dem Gendern und dessen fast nie thematisierter Rolle bei der Entkernung von Sprache. Denn dieser intellektuelle Bauversuch, Sprache für alle möglichen sexuellen und sonstigen Befindlichkeiten „sensibel“ zu machen, erreicht etwas, was eigentlich nicht beabsichtigt war: eine fürsorgliche Beliebigkeit, bei der ausgerechnet das Konkrete, das eigentlich gewürdigt werden sollte, verloren geht. Womit sich schon abzeichnet, was die drei Untersuchungsfelder, die Kemp sich vorgenommen hat, gemeinsam haben.

Das dritte sind „Unsere Adjektive“. Wobei er gar nicht all die wirklich schönen und farbenreichen Adjektive meint, an denen die deutsche Sprache so reich ist, sondern die „Adjektive der Spitzenklasse“, mit denen gedankenlose Leute alles glauben, emotional aufpeppen zu müssen, wenn ihnen für eine sachliche Einschätzung schlicht die Worte fehlen. Emotional gehört inzwischen auch dazu, genauso wie total, schwierig, unheimlich, spannend …

Eine Phraseologie, die direkt aus den „Social Media“ auch in gewöhnliche Gespräche, Kunst- und Literaturkritik schwappt, weil sich alle möglichen Leute animiert fühlen, permanent ihr Urteil abgeben zu müssen über Dinge, die ihnen eigentlich schnuppe sind. Sonst würden sie nämlich andere, passende Worte finden.

Hungrig nach permanenter Anerkennung

Wir leben in einer zunehmend sprachlich oberflächlicher werdenden Welt, in der fortwährend geplappert, geredet, gelikt und bewertet wird. Online und analog. Und wo ständig Leute am Reden sind, die inhaltlich überhaupt nichts beizutragen haben. Aber der Druck muss enorm sein, permanent Präsenz zeigen zu müssen, fortwährend gehört zu werden, wahrgenommen zu werden.

In den „Social Media“ gleichsam mit Followern und Likes honoriert. Und gleichzeitig wird das klare und eindeutige Sprechen immer wieder vermieden, werden Abschwächungen und Relativierungen eingebaut. Weichmacherei nennt es Kemp im Kapitel zum Gendern, wo er nicht nur auf den Asterisk und seine Zeichen-Verwandten von der Tastatur eingeht, sondern auch auf die um sich greifende Art des „fürsorglichen Sprechens“, die so fürsorglich wird, dass die Position der Sprechenden kaum noch greifbar wird.

Aber auch der gedankenlose Umgang mit den Adjektiven ist so ein Akt der falsch verstandenen Fürsorge. Das Sprechen wird gleichsam aufgepeppt mit Füllworten, die das Gesagte entschärfen und in Watte verpacken und damit letztlich ungreifbar machen, wenn daraus dann Phrasen wie „Ich halte das für schwierig“ werden. Als wenn sich der Sprecher nicht mehr trauen würde, eindeutig Position zu beziehen und zu sagen, wenn er etwas falsch findet. Es ist eine falsch verstandene Fürsorglichkeit.

Auch wenn man nur zu gut versteht, welche Motivation dahinter steckt. Nur das Ergebnis ist letztlich eine Nicht-Kommunikation. Denn Kommunikation lebt von Genauigkeit. Oder Kemp zitiert: „Freiheit, hört man von ganz oben, braucht eine Toleranz gegenüber Unbestimmtheit. Für wie lange? Im Viszeralen wachsen Gefühlsmischungen wie Kulturen – anders gesagt: Die Gedanken sind Brei.“

Mit viszeral spielt er dabei auf die Eingeweide an, also all die schönen Körperteile, mit denen die so gefühlvoll Sprechenden die Herkunft ihrer Emotionen begründen. Früher hieß das einfach: Um den heißen Brei herumreden. Plappern, ohne auf den Kern zu kommen. Auf des Pudels Kern, um Goethe zumindest beiläufig zu erwähnen.

Entkernte Kommunikation

Das aber ist letztlich die Vermeidung wirklicher Kommunikation. Das Spreche wird problematisiert. Und gleichzeitig vermeidet man, die Probleme beim Namen zu nennen. Da helfen auch keine amtlich vorgegebenen Gendervorschriften, die durch vorgegebene Standards versuchen, den Sprechern ein sensibles Sprechen vorzuschreiben. Nur sind die wuchernden Abkürzungen und Sonderzeichen eben kein sensibles Sprechen, sondern ein politisches. Statt die Sprechenden und Schreibenden wirklich zu einem aufmerksamen Formulieren zu animieren, werden Konstrukte in den Satz gepresst, die das aufmerksame Sprechen nur bedeuten.

Weshalb Kemp so beiläufig auch feststellen kann, dass ausgerechnet die Leute, deren Broterwerb mit genauem und sensiblem Schreiben zu tun hat, auf das Gendern verzichten. Denn Schriftstellerinnen und Dichter wollen auch noch in künftigen Zeiten gelesen werden. Und heute sowieso. Und alle Experimente, das Gendern stilvoll in einen literarischen Text umzusetzen, sind bis heute gescheitert.

Weil es genau das nicht bewirkt, was es eigentlich erreichen soll: ein sensibles und genaues Sprechen und Schreiben.

Und gerade weil Kemp auch das Plappern in Podcasts und das reduzierte Schreiben in den „Social Media“ untersucht, wird deutlicher, dass alle drei Sprachhaltungen zu einem Ergebnis führen: einer Verwässerung und Entkernung von Kommunikation. Und zu falscher Fürsorge. Denn wie will man sich mit Leuten, die ihre Sätze mit lauter Partikeln aufblasen, nur um am Ende nichts wirklich gesagt zu haben, unterhalten? Mit Watte kann man sich nicht unterhalten. Streiten schon gar nicht.

Quasi total

Am Ende beschäftigt sich Kemp auch noch mit den Emojis, die gerade die Kommunikation mit Worten in den „Social Media“ völlig zu ersetzen scheinen. Zurück also in die nonverbale Kommunikation der Steinzeithöhlen? Nicht wirklich.

Eher ist auch das eine Flucht aus der konkreten, bedachten Gesprächsführung. Das Nicht-Sagen wird zur Flucht vor dem intensiven Gespräch. Man redet, greift zu scheinbar starken Floskeln wie total, maximal, interessant, spannend, aufregend, emotional usw. – aber die Floskeln stehen für nichts mehr. Schon gar nicht für eine große Begeisterung. In der scheinbaren Begeisterung steckt schon die Abwehr. Denn was einen wirklich begeistert, verrät man nicht mehr. Man bleibt im Ungefähren, in der großen Geste ohne Inhalt. Und kann doch so tun, als hätte man sich mit der angesprochenen Sache tatsächlich beschäftigt.

Kemp zitiert eine Menge linguistischer Literatur zum Thema. Die geschilderten Phänomene sind den Linguisten diesseits und jenseits des Großen Teiches sehr wohl bewusst. Aber sie versuchen die Probleme aus dem Sprechakt selbst zu erklären. Dabei zeigen all diese Nicht-Sprech-Akte eher die Verunsicherung der Sprechenden bei allem, was sie sagen.

Denn der Drang zum Werten und Bewerten durchzieht mittlerweile die ganze Gesellschaft. Man will Unterschiede machen, aber gleichsam nicht konkret werden. Die Verwässerung des Sprechens auf der einen Seite korrespondiert mit der zunehmende Ausschließlichkeit von Behauptungen auf der Anderen. So geht das Objekt des Sprechens verloren. Alles wird Geplapper. Das Konkrete verwischt sich, „alterniert zwischen irgendwie und absolut, quasi und definitiv, ein bisschen und total“.

Sprache in Watte

Wobei hier auch noch ältere Schichten der Sprachwattierung durchschimmern – etwa mit dem quasi, das schon vor Jahrzehnten ein deutlicher Marker dafür war, dass sich der Sprecher dessen, was er da sagte, überhaupt nicht sicher war, herumeierte und versuchte, beim Gegenüber doch noch so etwas wie eine Zustimmung zum Gesagten zu erbetteln. Könnte ja quasi stimmen, was er da gesagt hat. Nur weiß er es nicht, hat es irgendwo nur aufgeschnappt. Eine Welt aus lauter Halbverdautem und Leichtgeglaubtem, nie überprüft, nie durch eigene Erfahrung bestätigt.

Eigentlich kann man da nur „Danke“ sagen und das Gespräch beenden. Aber es wird einfach weitergeplappert. Ohne dass das Gespräch einem greifbaren Ziel zusteuert – was schlicht unmöglich ist, wenn Sprache bis zur Unkenntlichkeit ausgewaschen wird.

Oder mit Kemps Worten, die seinen Beweggrund beschreiben, mit dem er sich in dieses Büchlein gestürzt hat: „Mein Anliegen war es, auf ein Syndrom hinzuweisen, auf das gleichzeitige Auftreten von Spracherweichung und Spracherhärtung, Entfärbung und Färbung.“

Alles hat mit dem vermarktbaren und konsumierbaren Drang zu tun, dass es immer weiter geht. Man landet in einem permanenten Nebenbei, das aus Lautsprechern dudelt und über Bildschirme wischt. Es geht immer weiter. Gäb’s einen Punkt, könnte man loslassen und aufatmen. „Jargon der Uneigentlichkeit“ nennt es Kemp. Der nur zu gern den berühmten Dr. Murke aus Heinrich Bölls „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ losschicken würde, um all diese Füllsel wenigstens aus dem herauszuschneiden, was die öffentlich-rechtlichen Sender an Geplapper und Füllmaterial versenden.

Was ja mit der modernen Technik noch viel leichter möglich wäre als in Zeiten, als noch Tonbänder zugeschnitten werden mussten. Wie würde sich das dann anhören? Spannender, stringenter wäre es auf jeden Fall. Man könnte wieder zuhören.

Aber so bleibt nur ein kleines bissiges Büchlein, das die allgegenwärtige Plapperei mal in drei Phänomenen untersucht. Was das letztlich anrichtet mit unserer Gesellschaft, wissen auch die Soziologen nicht.

Wolfgang Kemp „Irgendwie so total spannend“ Mitteldeutscher Verlag, zu Klampen Verlag, Springe 2025, 16 Euro.

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