Es ist ein echtes Suchbuch. Kein Wimmelbuch, sondern wirklich ein Suchbuch. Mit einem Burschen, der morgens aus seiner Hütte tritt und anfängt, etwas suchen. Es könnte ein Hund sein. Da hat die Fantasie freien Lauf in den Gestalten, die der kroatische Zeichner und Autor Manuel Šumberac da in ein winterlich anmutendes Bild gepackt hat. Wenn, dann ist es ein sehr ernsthafter Hund, der da erst den Garten vor seiner Hütte verlässt und dann nach genau 44 Schritten anfängt zu buddeln. Irgendetwas sucht er.
Nur was? Sein Nachbar will ihm helfen. Angesteckt von dieser emsigen Sucherei. Wenn einer schon so intensiv sucht, muss es ja auch was zu finden geben. Aber was suchen so ernsthaft buddelnde Hunde, die auch Menschen sein könnten? Was suchen Menschen, wenn sie sich so verbissen auf die Suche begeben? Kann es sein, dass sie es gar nicht wissen? Dass nur so ein Gedanke im Hinterkopf sie dazu treibt loszugehen. Auch wenn sie nicht die geringste Ahnung haben, was ihnen fehlt. Was es sein könnte, dass sie vielleicht ausrufen ließe: Das ist es!
Eine einzige Buddelei
Den Gestalten in Šumberacs Geschichte geht es irgendwie genaz so. Es kommen immer mehr dazu. Immer mehr Löcher tun sich auf. Sie holen Leitern und Schaufeln. Ein einziges riesiges Buddeln und Suchen und Scharren entsteht. Wenn man Kindern das so vorliest, fangen sie selbst an zu zappeln, werde angesteckt von dieser Unruhe, die man ja auch als kleiner Mensch nur zu gut kennt: Irgendetwas fehlt. Das sagt einem das Gefühl im Bauch. Man muss es finden, jetzt und gleich und sofort. Man stellt das ganze Kinderzimmer auf den Kopf. Und Mamas Küche auch gleich mit: Wo ist es nur?
Aber auch Mama kann das nicht sagen, wenn das Kind nicht mal selbst weiß, was es ist, was es da sucht.
Aber vielleicht denkt sie da auch an das eigene Suchen. Manchmal ist es ja ganz einfach. Da ist es nur das Kuchenmesser, die Lieblingstasse oder die Käsereibe. Manchmal ist es der Pfeffer oder die halbe Tafel Schokolade, die gestern noch da war.
Aber unser Leben ist voller Suchen, bei denen wir gar nicht wissen, was wir suchen. Wir haben das Gefühl einer Leere im Bauch, dieses Rumoren im Kopf: Mir fehlt was! Nur wissen wir nicht, was es ist. Ein ganzer Industriezweig hat sich darauf eingerichtet, uns Riesenschachteln mit Wunscherfüllern vor die Nase zu stellen. Wir brauchen nur zuzugreifen und zu kaufen und uns die Bude vollzupacken mit dem Zeug.
Nur um nach dem Auspacken dann – wie der ratlose Held in Šumberacs Geschichte – festzustellen: Das war es auch nicht. Auch wenn es teuer und schick und sonstwas ist. Das kleine Glücksgefühl beim Finden hat sich in Luft aufgelöst. Übrig bleibt ein Ding, das dann nur noch im Weg herumsteht und uns daran erinnert, dass wir mal wieder auf ein falsches Versprechen hereingefallen sind.
Wenn Wünsche im Weg herumstehen
Da merken wir dann meist, dass sich der Wunsch, der in unserem Bauch rumort, in dem großen Kauf-dir-alles-Laden nicht erfüllen lässt. Auch wenn wir noch mal und noch mal hingehen und Dinge in großen Paketen herausschleppen, die dann in der Wohnung herumstehen wie vorwurfsvolle Tiere, die keiner wirklich mag.
Aber in Šumberacs Geschichte passiert ja viel mehr. Immer mehr Leute mit Stummelschwanz und Wühlnase kommen dazu. Es wird ein riesiges, geschäftiges Buddeln und Finden. Und wird immer turbulenter, je öfter die Finder mit dem Zeugs, das sie da aus der Erde buddeln, nichts anfangen können. Was halt so alles in Gärten verbuddelt ist. „Alles war falsch, nicht das, was er wollte.“
Es geht also letztlich um die Wünsche, die uns wirklich wichtig sind. Spätestens hier merken auch Papa und Mama beim Vorlesen: Was wünschen wir uns wirklich? Was brauchen wir wirklich? Was tut uns gut?
Es wäre wohl gar nicht überraschend, wenn sich nach dem Lesen dieses Buches die ganze Familie daran macht, die ganze Wohnung auszumisten und alles Zeugs, das noch nie einer wirklich gebraucht hat, in einem blauen Müllsack sammelt. Weil man ja mitfühlt mit den Tierchen in dem Buch, die die ganze Zeit ratlos auf die Dinge schauen, die sie da aus der Erde gebuddelt haben.
Sie hätten noch endlos weite machen können – so wie die meisten Menschen immer wieder weitermachen, weil sie nicht verstehen, dass sie vielleicht anders suchen müssen. Oder mal aufhören mittendrin, wenn die Motivation verpufft ist und alle merken, wie sinnlos das ganze Gebuddel ist.
Obwohl: War es wirklich sinnlos?
Was suchen wir wirklich?
Immerhin steht jetzt nicht nur der ratlose Bursche von Seite 1 allein da im Schnee, sondern eine ganze bunte Gesellschaft verdutzter Tierchen, die sich gegenseitig angucken und dann natürlich etwas merken. Was hier nicht verraten wird. Pointen soll man nie verraten, auch wenn sie schon fast auf der Zunge liegen.
Aber Manuel Šumberac hat extra noch ein paar große Seiten gezeichnet, die das schöne Ergebnis der großen Buddelei zeigen. Und ein buntes Menschlein, das sich nun selbst wundert, was die Tiere da angestellt haben. Die aber eben doch etwas entdeckt haben, ganz am Ende, als sie sich vor lauter Ratlosigkeit gegenseitig angeguckt haben.
Aber wie gesagt: Das Ende wird nicht verraten. Das müssen die Kleinen und Großen, die in dieses Buch eintauchen, selbst herausfinden. Und kluge Vorleser blättern immer ganz langsam um. Damit die Spannung steigt. Die Überraschung kommt dann aus dem Nichts. Wie das immer so ist, wenn man nicht mehr damit rechnet und seinen Mitbuddlern mal verlegen in die Augen schaut.
Wenn man das mal macht in unseren Zeiten, wo wir gelernt haben, zum Suchen in den Supermarkt zu gehen. Und dabei den Blick für alles verlieren, was unser Leben wirklich reicher macht.
Manuel Šumberac „Alle suchen mit“, Katapult Verlag, Greifswald 2025, 16 Euro.
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