Irgendwann nerven auch kleine Brüder. Auch wenn sie süß sind wie der kleine Mingus, mit dem sich Molly ein Zimmer teilen muss. Was eigentlich vorher kein Problem war. Aber Molly wird größer, ist ja schon ein Schulkind und möchte auch einmal ihre Freundinnen zum Übernachten einladen. Aber das geht nicht, wenn Mingus im Zimmer schläft. Was tun? Zeit für richtig wilde Ideen, wie man die Eltern dazu bringt, Molly ein eigenes Zimmer zu geben.

In diesem Buch werden sich viele Eltern wiedererkennen. Und viele werden noch ganz anders reagieren als Mollys Eltern, die auf Mollys erst vorsichtige Frage nach einem eigenen Zimmer noch reagieren mit: „Hör auf zu quengeln, Molly. Wir haben eben nicht genug Platz.“

Und viele Eltern werden das berechtigterweise sagen, weil sie mit den Kindern tatsächlich in viel zu kleinen Wohnungen leben. Aber in Mollys Familie ist das ein bisschen anders. Ein wenig spielt auch der mittlerweile legendäre Essay von Virginia Woolf als Motiv mit: „Ein Zimmer für sich allein“.

Denn Mollys Mama möchte ja eigentlich auch einen Raum für sich, wo sie in Ruhe malen kann. Junge Eltern kennen das Dilemma. Wo haben sie noch ein ruhiges Fleckchen für sich selbst? Und meistens ist es kaum lösbar. Und Molly lässt sich was einfallen, um die Eltern zum Umdenken zu bewegen.

Sabine Lemire nimmt die kleinen und großen Leser mit hinein in diese Welt eines kleinen Mädchens, das langsam lernt, seinen Willen nicht nur zu formulieren, sondern auch mit kreativen Aktionen Druck auszuüben.

Vielleicht sollte man das Buch dann doch lieber nicht vorlesen?

Ein bisschen Freiheit

Eine nicht ganz unwichtige Frage. Aber das Verdrängen von Problemen bringt ja nichts. Auch wenn die Kinder noch klein sind, sind es Personen mit einem eigenen Willen. Dafür haben sie Verständnis verdient. Und Zuwendung. Familien sind kleine Experimentierlabore, in denen Kinder lernen, wie man zu gemeinsamen Lösungen kommt, Kompromisse schließt und auch die Anderen mit einbezieht in seine Pläne.

Auch den kleinen Mingus. Und so geraten die Leser der Geschichte in eine ganze Reihe turbulenter Aktionen, wie Molly – auch mit Mingus gemeinsam – Stück für Stück ihren Willen immer deutlicher macht, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, dass sie ein eigenes Zimmer braucht.

Wobei Sabine Lemire auch all die Situationen nicht auslässt, in denen Molly mit sich selbst hadert, ein bisschen verzweifelt ist, weil sie ja bei ihrer Freundin Lily sieht, dass es geht, dass Lily ein eigenes Zimmer hat und ihre Freundinnen zum Gruselfilmgucken einladen kann. Es geht auch ein bisschen um Konkurrenz und ein klein bisschen Neid. Kinder vergleichen sich. Das bleibt einfach nicht aus. Und zwar nicht nur bei fetzigen Umhängetaschen, sondern auch bei den Freiräumen, die sie zu Hause haben – oder nicht haben.

Papa und Mama haben ja eigentlich nichts gegen Übernachtungspartys. Nur funktioniert das eben nicht, wenn Mingus dabei ist, stellt Molly fest. Und Mingus wieder hat nicht die geringste Lust, dann bei Mama und Papa zu schlafen.

Auf einmal kriegt man mit: Mingus hat ja auch Wünsche. Und er findet es gerade richtig, dass Molly in seinem Zimmer schläft. Da fühlt er sich geborgen. Und hat jemanden, mit dem er reden und Streiche machen kann.

Eine kleine Lerneinheit für Mama und Papa

Es ist schon nicht so einfach, ein Kind zu sein. Mit Geschwistern oder ohne (obwohl es mit Geschwistern viel aufregender ist). Und so merkt man: Mingus stört nicht nur. Mingus ist sogar ein echter Partner, wenn es darum geht, Mama und Papa zu zeigen, dass das Kinderzimmer viel zu klein ist. Molly lässt sich wirklich etwas einfallen. Sie meint es ernst. Und so ist dies eben auch eine Geschichte darüber, wie Eltern lernen, ihre große Tochter noch ein bisschen mehr ernst zu nehmen und den Wunsch nach einem eigenen Zimmer nicht einfach vom Tisch zu wischen.

Und das ist alles nicht ein bisschen pädagogisch erzählt, sondern so, als hätte Sabine Lemire das mit ihren vier Kindern selbst erlebt. Die aufregendsten Geschichten passieren ja vor unseren Augen. Wir müssen nur zuschauen und zuhören. Und diese kleinen Menschlein, die da um uns heranwachsen, ernst nehmen. Ihre Gefühle sind genauso mitreißend wie unsere.

Und manchmal geht es eben von zu Tode betrübt bis himmelhochjauchzend. Ganz zu schweigen davon, dass Molly und Mingus sich gegenseitig anfeuern, als es dann richtig kreativ wird. Das sind Momente, da stehen auch Eltern da – den Tränen nah und gleichzeitig kurz davor, vor Freude Funken zu sprühen.

Und natürlich geht die Geschichte so aus, wie Molly sich das geträumt hat. Sonst wäre es ja traurig, nach all der Aufregung. Und Kinder, die das erlebt haben, wissen, dass das nicht nur ein besonderer Tag ist, sondern dass man wieder ein Stück gewachsen ist, selbstständiger geworden ist. Einer dieser Momente, mit denen man wieder ein großes Stück mehr selbst geworden ist. Und Mingus? Wo schläft Mingus nun?

Da muss man Molly fragen, die auch in diesem Buch ein sehr selbstbewusstes Mädchen ist. Die aber auch noch weiß, wie sich richtig große Gefühle anfühlen: „Anscheinend kann man sich so sehr freuen, dass man vor lauter Glück nicht einschlafen kann.“ Das dürfte auch die Erwachsenen beim Vorlesen an so Manches erinnern. Und auch dieses Buch hat Signe Kjær wieder so illustriert, als wäre sie selbst dabei gewesen.

Sabine Lemire, Signe Kjær „Molly mittendrin. Ein eigenes Zimmer“ Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2025, 14 Euro.

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