In Comics müssen nicht immer nur irgendwelche Knuddeltiere oder völlig überdrehte Superhelden agieren und die Welt retten. Das ganz normale Leben eines heranwachsenden Mädchens ist abenteuerlich genug. Was viele heranwachsende Mädchen gar nicht ahnen, weil ihnen niemand zeigt, wie es voller Abenteuer steckt. Und dass diese Abenteuer das eigentliche Leben sind. Mitsamt Wut im Bauch, Knallrotwerden und den manchmal peinlichen Erwachsenen drumherum.

Weshalb ja viele Menschen nur allzu gern versuchen, ihre Kindheit und Jugend schnellstmöglich zu verstecken. Superman und Superwoman war da ja fast keiner. Im Gegenteil: Es war eine Zeit der Irrungen und Wirrungen, des Austestens, Zurückschreckens, Gescholtenwerdens, der Überforderung und der manchmal missglückten Laufversuche.

Das war schon im ersten Comic-Band, den die dänische Aurorin Sabine Lemire über Mira geschrieben hat, mituzuerleben. Für Kinder (nicht nur Mädchen) in dem betreffenden Alter ein Buch zum Jauchzen und Erschrocken-wieder-Zuklappen, weil man das genau so erlebt hat.

Und im zweiten Band wurde es nicht anders. Denn das hört ja nicht auf in dieser komischen Zeit, in der man merkt, dass man nun tatsächlich kein kleines Kind mehr ist und nicht nur die Erwachsenen von einem mehr erwarten. Manchmal zumindest.

Manchmal fallen ja auch Mütter, Väter und Stiefväter in alte Muster zurück und gehen mit dem doch nun so richtig groß gewordenen Kind um, als wär’s ein Baby. Und das hört auch nicht auf nach dem ersten Zoff mit der besten Freundin, dem Umzug aufs coolste Wohnboot der Welt und der Begegnung mit dem richtigen Vater und Brudi, Miras kleinem Bruder.

Schon im ersten Band war klar: Lemire und Bregnhøi erzählen kein Sommermärchen über das, was sich romantische Spießer als klassische Familie vorstellen. Solche Familien gibt es nicht. Und wo es sie gibt, sind sie oft genug die Hölle für die Kinder.

Auch wenn Worte wie „Scheidungskind“ oder „Patchworkfamilie“ immer wieder abwertend klingen – sie erzählen nur von der Unfähigkeit einer patriarchalischen Gesellschaft, die (Klein-)Familie eben nicht als Zelle zu betrachten, in der sich alle gefangen fühlen – auch in ihren Rollen.

Angefangen von der Rolle der Männer als Vater (worüber ja Björn Vedder einen sehr philosophischen Essay geschrieben hat) über die der Frauen, die sich schon lange nicht mehr in der Mutterrolle fangen lassen wollen, bis hin zu den Kindern, die nicht wirklich immer unglücklich werden, wenn sich ihre Eltern trennen. Zumindest, wenn die Eltern damit selbst souverän und ehrlich umgehen.

Und auch wenn Mira nun in diesem dritten Band das drängende Bedürfnis verspürt, herauszufinden, wer nun wirklich ihr Vater ist. Immerhin hat sie ja mittlerweile zwei – einmal ihren richtigen Vater, den Architekten Björn, mit dem ihre Mutter damals zusammen war, und Joakim, den aktuellen Freund ihre Mutter, nachdem vorher schon diverse Männer durch das Leben ihrer Mama gerauscht sind. Was nicht ungewöhnlich ist, nicht wirklich. Denn manchmal dauert es ja wirklich lange, bis man wirklich die Partnerin oder den Partner für einen langen Lebensabschnitt gefunden hat.

Dass Miras Mama da durchaus verrückte Typen kennengelernt hat, weiß sie ja schon. Aber in Mira nagt der Zweifel, ob sich Mama mit Björn vielleicht geirrt haben könnte. Waren denn da nicht noch andere Männer in ihrem Leben zu dieser Zeit? Und so wird dieser dritte Band vor allem geprägt von der abenteuerlichen Suche nach den Männern, die womöglich wirklich Miras Väter sein könnten.

Sie findet Björn zwar nicht doof – aber es geht Mira so wie vielen Kindern, wenn sie merken, dass sie ihren Eltern nicht wirklich „aus dem Gesicht geschnitten“ sind und auch sonst irgendwie anders sind. Die meisten Kinder kennen das, dieses Gefühl gerade an der Schwelle zum Erwachsenwerden, dass einem die eigenen Eltern ein bisschen fremd werden, ganz so, als wäre man mit ihnen gar nicht (mehr) verwandt.

Und wo Mira allein sich nicht traut, das Abenteuer zu beginnen, wird sie von ihrer Freundin Liva gestupst. Denn die ganzen Fragen, Befürchtungen und Unsicherheiten rumoren zwar im Kopf. Aber die Kinder, die Sabine Lemire handeln lässt, sind unternehmungslustig und eigentlich auch schon sehr eigenständig. Sie legen einfach los, gründen sogar einen Kunstclub, in dem sie aus Sperrmüll wilde Skulpturen bauen. Das muss dann wirklich Dänemark sein. So viel Gelassenheit haben die Deutschen nicht, soviel Souveränität, Kinder auch einfach mal machen zu lassen.

Ein Effekt, der einem in vielen skandinavischen Büchern begegnet, die einem – wie hier in der Übersetzung von Franziska Gehm – den Spiegel vorhalten. So wirklich modern und souverän ist Deutschland nicht. Diese Chance wurde 1990 gründlich versiebt. Die alten patriarchalischen Familienbilder werden – in gutbürgerlicher Nobellage – immer wieder neu aufgelegt, verkauft wie leckere Diätmargarine.

Nur das richtige Leben findet man in vielen dieser Filme und Jugendbücher nicht. Das Leben von Kindern in Patchworkfamilien, mit alleinerziehenden Müttern und Vätern, mit Abenteuern, die oft nur im Kopf stattfinden oder im geliebten Tagebuch, das Mama nicht lesen soll. Und trotzdem ist Mama neugierig, genauso wie Mira, die Mamas Jugendtagebücher stiebitzt und so den Männern auf die Spur kommt, mit denen ihre Mama damals zu tun hatte. Nur gute Freunde? Oder doch ein paar Seitensprünge?

Natürlich will Mira wissen, wer nun wirklich ihr Vater ist. Und am Ende des Buches weiß sie es auch. Nach lauter Abenteuern, die sich ineinander geknotet haben. Denn – anders als im ersten Band – erfährt sie diesmal tatsächlich ihre erste Liebe. Und all die Schrecken, die Kinder erleben, wenn sie merken, dass ihr Körper sich verändert. Dass da Mama ausgerechnet eine Aufklärungsstunde zelebrieren will, als Miras beste Freundin zu Gast ist, ist natürlich oberpeinlich.

Aber man taucht ja nicht nur mit Mira ein in die Welt der Heranwachsenden, die zusehends selbstbewusster werden. Man sieht auch, mit wie viel Ernsthaftigkeit sich die Erwachsenen bemühen, in ihre Rollen als Vater und Mutter hineinzuwachsen. Dafür gibt es ja auch kein Regelbuch. Und die eigentliche Gelassenheit haben ja immer erst die Großeltern – so wie Miras Oma, wo sich das Kind immer wieder andockt, um über die wirklich rätselhaften Dinge des Lebens zu reden. So etwas kann man ja mit Mama nicht. Und mit Papa auch nicht, weil Brudi immer dazwischenfunkt.

Eigentlich ist das auch eine Geschichte für lernende Väter und Mütter: Es geht allen so. Wer so tut, als wäre das Kindergroßziehen ein Kinderspiel, der schummelt. Vieles weiß man zwar. Aber wenn es mit den aufwallenden Gefühlen konkret wird, ist jeder Umgang mit den kleinen Großen ein neues Abenteuer, lernen alle was dabei. Hofft man zumindest. Die, die nichts dabei lernen, weil sie meinen zu wissen, „wo der Hase läuft“, die werden in der Regel zu unerträglichen Zeitgenossen. Die man auch nicht zum Vater haben möchte.

So gesehen hat Miras Mama einige sehr aufgeschlossene und lebendige Männer kennengelernt, die sich sogar freuen, als Mira bei ihnen aufkreuzt, denn an Miras Mama erinnern sie sich auch nur zu gern. So, wie man sich an wirklich lebenslustige, kluge und herausfordernde Menschen in seinem Leben immer gern erinnert. Man fühlt sich ja nicht ohne Grund zu ihnen hingezogen. Auch weil solche Bekanntschaften dazugehören, wenn man lernen will, die Vielfalt und Unberechenbarkeit des Lebens mit ein bisschen mehr Gelassenheit anzunehmen. Sich selbst was zuzutrauen.

Denn auch wenn Mira einen sehr kritischen Blick auf ihre oft zerstreute Mutter hat. Tatsächlich lernt sie gerade deshalb vieles von ihr, was man im Leben braucht. Und wenn es nur der kleine Funke Ehrgeiz in völlig verkorksten Momenten ist, jetzt doch noch was Ordentliches draus zu machen und sich nicht unterm Tisch zu verstecken. In Mira und ihren Freundinnen und Freunden steckt eine Menge davon.

Das erspart einem zwar keine Peinlichkeit, schon gar nicht mit der Liebe. Aber es macht einen mutiger und unternehmungslustiger. Was dann alle auf Twitter posten, sind Bilder von Stolz auf das Geschaffene. Besonders zum Finale hin, das natürlich auf die Ausstellung der wilden Müllskulpturen hinläuft, auch wenn das allerletzte Bild dann Mira zeigt, wie sie vom Bootsdeck in den Nachthimmel schaut und über das Verliebtsein nachdenkt.

Sabine Lemire Mira #kuss # kunst #familie, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2020, 15 Euro.

Der zweite Mira-Comic: Papa kennengelernt, Brudi gefunden und das Abenteuer der ganz normalen Gefühle

Der zweite Mira-Comic: Papa kennengelernt, Brudi gefunden und das Abenteuer der ganz normalen Gefühle

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