Man muss sie suchen. Aber man kann sie finden: Frauen, die sich in Wissenschaft und Forschung hervorgetan haben, die ebenso geniale Erfindungen gemacht haben oder ganze Forschungsfelder revolutioniert haben. Das Problem ist nur: In der Wissenschaftsgeschichte wurde über Jahrhunderte genauso einäugig geschaut und berichtet, wie es auch in den anderen Geschichtsfeldern der Fall war.

Man war auf (rauschebärtige) Männer fixiert. Und nicht nur das: Auch bei Nobelpreisen bewies die Jury immer wieder, wie blind sie für die wissenschaftlichen Leistungen von Frauen war – und ist.

Denn das ändert sich ganz offensichtlich viel langsamer, als man es in der nun 200-jährigen Emanzipationsbewegung der Frauen eigentlich erwartet hätte. Akademische Klüngelkreise sind noch viel konservativer und betriebsblinder, was die Forschung von Frauen betrifft, als politische Gremien.

Was mit Strukturen zu tun hat. Wenn man patriarchalische Strukturen nicht mal erkennt, ändert sich an ihnen auch nichts, bekommen Frauen nicht die Forschungsbudgets, die sie eigentlich brauchen, werden sie an Universitäten und Instituten nicht in leitende Positionen gewählt.

Und wenn sie dann dennoch auf ihrem Forschungsgebiet Hervorragendes leisten, nehmen die einschlägigen Gremien dann doch wieder nur die Herren der Schöpfung war, die auf dem Gebiet geforscht haben.

Sodass selbst Frauen, die Überragendes geleistet haben, weder die großen Wissenschaftspreise bekommen, noch in Nachschlagewerken erwähnt werden – oder eben nur so nebenbei.

So wie bei der Entdeckung der Doppelhelix, aus der die DNA besteht, vor allem James Watson und Francis Crick genannt werden, während die die Chemikerin Rosalind Franklin, die überhaupt als erste die Form der DNA fotografierte, nur am Rande erwähnt wird. Und so ähnlich ging es ja in der Atomforschung auch der Physikerin Lise Meitner.

Nix für Mädchen?

Beide Frauen haben in diesem Buch ein Porträt bekommen – mit liebevoller Zeichnung von Nur Ventura und kleinen Info-Kästen, in denen Francis Durkin sowohl die wissenschaftliche Laufbahn der porträtierten Frauen kurz schildert als auch ihre besonderen Entdeckungen.

Es ist ein richtiges Ermutigungsbuch gerade für Mädchen, die ja schon in der Schule erfahren, wie sehr gerade Naturwissenschaften als „männliche“ Domäne verstanden werden, wie Jungen ermutigt werden, sich hier zu betätigen, und Mädchen im Grunde nur zugemutet wird, in „Blümchenfächern“ ihren Weg zu suchen.

Obwohl nichts, aber auch wirklich nichts dafür spricht, dass Frauen in den Naturwissenschaften weniger begabt sein sollten als Männer. Weshalb Frances Durkin den Bogen weiter spannt als nur übers männerdominierte 20. Jahrhundert.

Sie geht zurück bis zu Tapputi-Belatekallim, deren Name tatsächlich auf einer mesopotamischen Tontafel überliefert ist – genau wie ihre Rolle als Herstellerin eines Parfüms, das sogar dem König gefiel. Und wenn man weiß, dass auch vor 3.000 Jahren die Herstellung von Parfüm technisch aufwendig war, ahnt man, welche Rolle Tapputi damals gespielt haben muss.

Und gleichzeitig merkt man, welch ein Zufall es ist, dass ihr Name samt ihrer Profession überdauert hat. Denn vielleicht war man in Mesopotamien aufgeschlossener Frauen gegenüber, die technisch versiert waren. Aber spätestens vor 2.000 Jahren etablierte sich in Europa eine regelrechte Verachtung für talentierte Frauen, die den von sich so überzeugten Männern in Forschung und Technik in die Quere kamen.

Maria die Jüdin, die im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in Alexandria wirkte und Destillation-Apparate erfand, die die folgenden Jahrhunderte prägten, ist eine regelrechte Ausnahme in dieser Geschichte. Der Sprung ist unübersehbar.

Gegen alle (männlichen) Widerstände

Erst mit Maria Sibylla Merian im 17. und Sarah Guppy im 18. Jahrhundert kommen wieder zwei Frauen ins Bild, die es sich einfach nicht nehmen ließen, die Welt um sich naturwissenschaftlich zu erkunden. Die eine reiste für botanische Forschungen extra nach Südamerika, die andere ließ sich Brückenkonstruktionen patentieren.

Und spätestens im 20. Jahrhundert staunt die Leserin (oder der Leser), weil hier hochkarätige Frauen ins Bild kommen, die Spitzenforschung betrieben und in ganz zentralen Bereichen der modernen Forschung aktiv waren – in der Astronomie, der Seuchenforschung, der Materialkunde, der Astrophysik – und man kennt sie einfach nicht.

Obwohl ihre Forschungsergebnisse publiziert sind, unser Wissen über den Kosmos bereichert haben. Aber sie bekamen eben nicht die großen Artikel in Magazinen und Zeitungen. Sie tauchen nicht in Schulbüchern auf, und auch nicht auf den Listen der Nobelpreisträger.

Als gäbe es sie nicht. Als würde sich bei den Wächtern der Wissenschaft jedes Mal ein regelrechter Blackout einstellen, wenn der Name einer Frau in Forschungsberichten auftaucht.

Und so erzählt Frances Durkin im Grunde eine Parallelgeschichte zur rein männlich betrachteten Wissenschaft, zeigt die Frauen, die oft neben den großen Koryphäen forschten, die Nächte durcharbeiteten, die richtigen Einfälle hatten und kniffligste Fragen klärten.

Und bei den meisten kann Frances Durkin eben auch eine Geschichte von Beharrlichkeit und Nicht-Aufgeben erzählen. Denn vielen dieser Frauen wurden von Männern eben auch bewusst Steine in den Weg gelegt, sie galten nicht als ebenbürtig.

Aber sie ließen sich nicht einschüchtern, entwickelten, wie die in Kenia geborene Physikerin Nzambi Matee neue Baumaterialien aus Kunststoff oder neue Biosensoren wie die nigerianische Chemikerin Omowunmi Sadik.

Mit diesen Frauen öffnet Frances Durkin auch den Blick auf die Länder in Regionen, die in der Wahrnehmung moderner Wissenschaft oft einfach ignoriert werden, weil auch hier Stereotype in unseren Köpfen sitzen. Das ganze Buch ist eine einzige Ermunterung, sich nicht immer nur von den berühmten Herren im Doktorkittel blenden zu lassen, sondern auch die Frauen wahrzunehmen, die in der modernen Forschung Großes geleistet haben und leisten.

Und damit eben auch Vorbild sind für jedes Mädchen, das sich nicht auf die tradierten „weiblichen Rollenbilder“ festnageln lassen will, sondern selbst die Welt erforschen will und sich für Naturwissenschaften mindestens genauso begeistert wie die Männer, mit denen moderne Forschung meist immer noch (und ausschließlich) in Verbindung gebracht wird.

Frances Durkin; Ute Löwenberg Geniale Frauen, geniale Forschung E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2025, 22 Euro.

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