Wer sich mit der Kirchengeschichte des Ostens beschäftigt wie Holger Zürch, der stößt auch auf all die Fälle, in denen die Kirchenpolitik der SED mit der Realität kollidierte. Auf vielerlei Weise. Denn so recht wollte der Versuch, den Menschen ihren Glauben auszutreiben, nicht glücken, auch wenn die Kirchengemeinden schrumpften.
Und während die Funktionäre gerade in der Nachkriegszeit jede Gelegenheit nutzten, unliebsame Kirchengebäude sprengen zu lassen, ist gerade die Spätphase der DDR geprägt von neuen Kirchenbauten – gebaut mit Geld aus Westdeutschland.
LZ-Leser kennen Holger Zürch schon durch seine Serie „Sonntagskirche“, in der er mittlerweile über 150 Kirchen in Ostdeutschland, ihre Baugeschichte und ihre architektonischen Besonderheiten vorgestellt hat. Darunter auch etliche der Kirchen, die er jetzt in diesem Doppel-Buch vorstellt. Denn es ist ein Buch zum Umdrehen – mit einer traurigen und einer frohen Botschaft. Die traurige steckt in jenem Teil, den Zürch „Sakraler Phantomschmerz“ genannt hat.
Denn hier hat er die Erinnerungen an all jene Kirchen gesammelt, die in der DDR zerstört wurden – 63 an der Zahl. Plus eine Kirche, die erst in jüngerer Zeit verschwand – die zweite Leipziger Trinitatiskirche. Aber es sind auch die Beispiele dabei, die für richtig Aufsehen sorgten – die Garnisonskirche in Potsdam und die Paulinerkirche in Leipzig, beide gegen den stillen Protest aus der Bürgerschaft gesprengt.
Aber die meisten Sprengungen erfolgten schon in den 1950er Jahren. Oft waren die Kirche während der Bombardements im Zweiten Weltkrieg teilweise oder ganz geschädigt worden. Geld für einen Wiederaufbau war oft nicht da. Was nicht heißt, dass einige Kirchgemeinden ihre Kirche nicht doch mit eigenen Mitteln repariert hatten. Was die Kirche dann eben doch nicht vor dem rigiden Zugriff der neue Stadtplaner schützte.
Oft ging es um richtig stadtbildprägende Kirchen, wie die Ulrichskirche in Magdeburg. Vielfach gab es vor Ort auch noch Kompromisse, die Teile der Kirche konservierten, um vielleicht später an den Wiederaufbau zu gehen – so wie bei der Johanniskirche in Leipzig oder der Markuskirche in Reudnitz. Die Markuskirche wurde 1978 gesprengt, der noch verbliebene Turm der Johanniskirche 1963. Oft erinnern nur noch Grünflächen an den einstigen Standort der Kirche, manchmal halten Bürgerinitiativen die Erinnerung wach.
West-Geld für Ost-Kirchen
Und dann dreht man das Buch um. Und manch Leser wird verblüfft sein, dass in der DDR tatsächlich auch neue Kirchen gebaut wurden. In der Regel am Rand der neu entstehenden Wohnquartiere. „Sonderbauprogramm“ nannte sich dieses Programm, mit dem die DDR-Staatsführung den beiden großen Kirchen ab den 1970er Jahren die Möglichkeit einräumte, mit Geld aus Westdeutschland ihre Kirchen zu sanieren oder gar neue zu bauen, aber auch in Wohnungen und Kindergärten zu investieren.
Für die DDR ein gutes Geschäft, denn die Baukosten wurden 1:1 in D-Mark verrechnet. Gebaut wurde mit Material und Firmen aus dem Osten. Auf diese Weise flossen über eine halbe Milliarde an D-Mark an die DDR.
Aber im Gegenzug entstanden eben auch neue Kirchen, oft viel schneller als die für die Großwohnsiedlungen geplanten Gaststätten, Kulturhäuser usw. So entstand 1983 die Pauluskirche in Grünau und 1985 die Kirche St. Martin ebenfalls in Grünau, sodass dort wieder beide Konfessionen vertreten waren.
Aber auch die zweite Trinitatiskirche in Leipzig wurde aus diesem Programm finanziert. Sie entstand 1982 an der Emil-Fuchs-Straße – und ist heute wieder verschwunden, 2018 bis auf den Glockenturm abgerissen, denn sie war auf unsicherem Grund gebaut. Die Gemeinde errichtete dafür ihre dritte Trinitatiskirche, nun wieder im Herzen der Stadt am Martin-Luther-Ring.
Die neu entstandenen Kirchen porträtiert Holger Zürch in diesem Band nicht gesondert. Er erläutert nur, wie das Sonderbauprogramn funktionierte und wie spendenbereit die westdeutschen Partnergemeinden waren, die mit ihrem Geld den Gemeinden im Osten unter die Arme griffen. Die Liste der umgesetzten Projekte ist dann doch erstaunlich lang. Allein 117 Bauprojekte verzeichnete die Evangelische Kirche, die Katholische Kirche verzeichnete 34 Kirchen und Gemeindezentren – dazu 106 Sozial- und Verwaltungsbauten.
Das Sonderbauprogramm erzählt aber auch davon, dass in den 1970er Jahren der harsche Konfrontationskurs der SED gegen die Kirchen beendet war. Jetzt setzte der auch zunehmend unter Geldnot leidende Staat doch lieber auf Kompromissse und eine „friedliche“ Koexistenz. Was natürlich einst prägende Kirchenbauen nicht zurückbrachte.
Und dass deren Wiederaufbau auch nach 1990 nicht zwangsläufig war, auch wenn sich Bürgerinitiativen ernsthaft dafür einsetzten, erlebten die Leipziger am Beispiel der Paulinerkirche. An ihrer Stelle gibt es heute im Uni-Campus das Paulinum in seiner modernen Interpretation von Erick van Egeraat.
Holger Zürch „West-Geld für Ost-Kirchen“ / „Sakraler Phantomschmerz“, Holger Zürch, Leipzig 2025, 20 Euro, Bestellungen unter sapha@posteo.de.
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