Jahrzehnte galt es als gesetzt, dass die fruchtbaren Böden in der Aue der Weißen Elster durch menschliches Handeln entstanden sind – Folge zunehmend intensivierter Landwirtschaft und Waldrodung seit der Jungsteinzeit, bei denen die Böden erodierten und der wertvolle Löß in die Flüsse gespült wurde und sich in den Auen ablagerte. Aber diese Interpretation ist wohl zu einfach, stellt nun eine Forschergruppe der Universität Leipzig fest.

Die Wissenschaft ist sich zwar darin einig, dass der Mensch seine Umwelt signifikant beeinflusst und verändert. Doch seit wann? Darüber herrscht noch Uneinigkeit. Bislang galt der Auelehm, der unter anderem an der Weißen Elster zu finden ist, als Indiz für menschengemachte Landschaftsentwicklung seit der Steinzeit. Doch dies stellen Wissenschaftler/-innen um Prof. Dr. Christoph Zielhofer von der Universität Leipzig nun infrage.

Flussablagerungen: Beweisen sie den menschlichen Einfluss?

Die Suche der Wissenschaft fokussiert sich auf das sogenannte Holozän, eine Epoche, die am Ende des Eiszeitalters vor ca. 11.700 Jahren begann und bis in die Gegenwart reicht. Deren erste Jahrtausende wiederum fällt mit den Spätphasen des von der Archäologie als Steinzeit bezeichneten ältesten Abschnitts der Menschheitsgeschichte zusammen.

Als eines der markantesten Merkmale für die Geowissenschaft, an denen sehr früher menschlicher Einfluss auf die Entwicklung der Landschaft in Mitteleuropa erkannt werden konnte, galt bisher der Auelehm. Dabei handelt es sich um Flussablagerungen, welche nach dem Verständnis jahrzehntelanger Auenforschung aus Rodungen im Einzugsgebiet der Flüsse und dem anschließenden Abtrag der blanken Böden durch Spülprozesse resultieren.

In allen landwirtschaftlich genutzten Einzugsgebieten Mitteleuropas gilt der Auelehm bislang als zuverlässiges Indiz für einen solchen teils bis in die Jungsteinzeit zurückreichenden menschlichen Einfluss auf die Umwelt.

Die wahrscheinliche Herkunft des Auelehms

„Internationale Berühmtheit in der Forschung hat der Auelehm der Weißen Elster. Er gilt bislang als einer der ältesten Auelehme überhaupt“, erklärt Prof. Dr. Christoph Zielhofer, physischer Geograf an der Universität Leipzig. „Wir haben jedoch Zweifel an dieser Hypothese, da unsere neuen Ergebnisse eher auf eine Herkunft der Auelehme aus Gebieten schließen lassen, welche nicht von jungsteinzeitlichen Rodungen beeinflusst waren, nämlich von den damals bewaldeten Oberläufen des Flusses.“

Ein geografisch, archäologisch und geophysikalisch ausgerichtetes Team aus Leipzig, Jena, Tübingen und Magdeburg stellt damit die grundsätzliche Frage erneut: Seit wann greift der Mensch in die Landschaftsentwicklung ein?

Zielhofer sagt dazu: „Es gibt in der Tat deutliche naturwissenschaftliche Hinweise, dass wir die vormals formulierten Hypothesen überdenken müssen, aber ein abschließender Beweis steht aus meiner Sicht noch aus.“

Sachsen: Waldlandschaft bis weit ins Mittelalter

Der Co-Autor und Archäologe Prof. Dr. Ulrich Veit von der Universität Leipzig ordnet die neuen Erkenntnisse ein: „Wir haben überzeugende Daten, aber diese stehen im Kontrast zum bisherigen Forschungsstand. Es wird auch in der Archäologie weitere Diskussionen über diese Frage geben, davon müssen wir aktuell ausgehen.“

Frühe Besiedlungsspuren in Sachsen gibt es seit ungefähr 6.000 vor unserer Zeitrechnung. Damals wanderten die ersten Bauern aus dem böhmischen Raum in das Gebiet ein und besiedelten vor allem die fruchtbaren Gebiete rund um die Flüsse. Entsprechende Siedlungsspuren wurden ja auch bei Zwenkau gefunden.

Bis weit ins Mittelalter hinein beschränkten sich die Siedlungsflächen auf die fruchtbaren Gebiete an den Flüssen. Jenseits davon war Sachsen noch weit bis in die Zeit der Markgrafschaft Meißen (965 bis 1423) dicht bewaldet.

Klimatische Ursachen für die Auenablagerungen

Neben der chemischen Zusammensetzung der Tonablagerungen deuten auch die gefundenen Partikelgrößen darauf hin, dass man es großenteils mit feinkörnigen Ablagerungen zu tun hat, die der Fluss aus höheren Berglagen mitgebracht hat.

In der Studie heißt es: „Dies deutet darauf hin, dass das geochemische Signal der Auenablagerungen höchstwahrscheinlich primär durch die geochemischen Voraussetzungen in den Quellgebieten der Weißen Elster getrieben wird und nicht durch einen Sortierprozess beim fluviatilen Transport.“

Die Studie zeigt, „dass der anthropogene Einfluss offensichtlich nicht der Hauptgrund“ für die gewaltigen Tonablagerungen im damaligen Mittellauf der Weißen Elster war. „Weitere archäologische und paläobotanische Untersuchungen im flussaufwärts gelegenen Bereich sind jedoch lohnenswert, um eine neolithische Nutzung mit hohen geomorphologischen Auswirkungen deutlich auszuschließen.“

Aber damit ist die Forschung natürlich nicht beendet. Jetzt muss die neue These untermauert werden: „Die vorliegende Studie liefert keine abschließende Erklärung dafür, warum diese frühe und höchstwahrscheinlich nicht überwiegend anthropogene Überschwemmungs-Tonablagerung in der Weißen Elster stattgefunden hat. Ein Faktor können klimatische Kräfte sein.“

Viele Fragen sind noch offen

Die Frage könnte also lauten: Was führte zu diesen doch ziemlich mächtigen Ausschwemmungen aus den Quellgebieten der Weißen Elster?  Hat man es mit besonderen klimatischen Extremereignissen zu tun?

Die Studie entstand im Rahmen des DFG-Projektes „Auswirkungen von Rapid Climate Changes und menschlicher Aktivität auf die holozäne hydro-sedimentäre Dynamik Mitteleuropas (Modellregion lössbedecktes Weiße Elster-Einzugsgebiet)“.

An dem Projekt sind Wissenschaftler/-innen der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, der Eberhard-Karls-Universität Tübingen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig (UFZ) und der Universität Leipzig beteiligt.

Originaltitel der Veröffentlichung in „Science of the Total Environment“: „Overbank silt-clay deposition and intensive Neolithic land use in a Central European catchment – Coupled or decoupled?”

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Dieser neue Forschungsansatz ist letztendlich auch deswegen interessant weil die Aulehmablagerungen im Bereich der Mittleren Mulde bei weitem nich so stark sind wie der Weißen Elster obwohl die Erossionssitation am Oberlauf vergleichbar ist.

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