Wie gefährdet Staaten und der gesamte Wohlstand eines Landes sind, wenn der Staat nicht gegen Korruption und Missbrauch gesichert ist, das zeigt aktuell das Beispiel Südafrika. Südafrikas Wirtschaftskraft schrumpft, Firmen gehen pleite, die Bevölkerung leidet. Grund dafür sind massive und großflächige Stromausfälle, die seit Jahren zunehmen. Und diese Störungen haben direkt mit Korruption bis in die Regierung zu tun.

In der Rangliste der wirtschaftsstärksten Staaten Afrikas belegt Südafrika nur noch Platz 3, hinter Nigeria und Äthiopien. Internationale Kreditrating-Agenturen stufen Südafrika inzwischen als Risikostandort ein. Mafiöse Strukturen und Korruption bis in höchste Regierungskreise sorgen dafür, dass die Energieinfrastruktur zunehmend marode ist. Aussicht auf baldige Besserung gibt es nicht.

„Südafrika droht ein weiterer Verfall des bereits heute arg strapazierten gesellschaftlichen Zusammenhalts“, sagt Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulf Engel von der Universität Leipzig. Er leitet das Forschungsprojekt „Politischer Populismus im Südlichen Afrika: Namibia, Südafrika und Zimbabwe“.

In Südafrika herrscht derzeit ein ungewöhnlich kalter Winter. Zugleich muss das Land mit immer größeren Stromausfällen kämpfen. Welche Auswirkungen haben die Stromausfälle auf das öffentliche Leben derzeit?

Die Stromversorgung in Südafrika ist ein Thema, an dem sich zahlreiche Strukturen der Post-Apartheidgesellschaft paradigmatisch diskutieren lassen. Schon seit 2007 kommt es regelmäßig zu Stromausfällen, die von der Regierung euphemistisch als „load shedding“ (also in etwa „Lastenverteilung“) bezeichnet werden. Dabei wurde der staatliche Stromerzeuger Eskom (die Electricity Supply Commission) noch im Dezember 2001 bei den „Global Energy Awards“ in New York als Energieerzeuger des Jahres ausgezeichnet. Nach der ersten Stromkrise 2007/2008 kam es 2014/2015 zu weiteren Stromabschaltungen – und seit 2019 hat sich dies als Dauerzustand etabliert.

Aktuell gibt es, je nach Landesregion und verteilt über mehrere Zeitabschnitte, täglich zwischen siebeneinhalb und zehn Stunden keinen Strom für Privathaushalte, aber auch für Firmen und beispielsweise die Gastronomie sowie – besonders bedenklich – 80 Prozent des öffentlichen Gesundheitswesens. Ländliche Gebiete und Townships sind meist stärker betroffen als die Vororte der Mittel- und Oberklasse. Im letzten Jahr gab es an 200 Tagen keine stabile Stromversorgung, 2021 waren es 48 Tage. Im Übrigen haben auch fast 30 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen von 1994 gut 15 Prozent der Menschen in Südafrika überhaupt keinen Zugang zur Stromversorgung.

Am 6. März 2023 hat Präsident Cyril Ramaphosa eigens einen Staatsminister für Elektrizität im Präsidialamt ernannt, und am 5. April 2023 hat die Regierung wegen der anhaltenden Stromkrise den Katastrophenfall ausgerufen.

Fragen an Prof. Dr. Ulf Engel

Welche Ursachen haben die Stromausfälle?

Das ist komplex. Es gibt zwei übergeordnete Ursachen: Erstens ist die Energieinfrastruktur überaltert und die notwendigen Reinvestitionen sind über Jahrzehnte verschleppt worden: 14 der 17 Kraftwerke sind vor dem Ende der Apartheid 1994 gebaut worden. Einzelne Kraftwerke sind mittlerweile kollabiert und schlicht ausgefallen. Gleichzeitig schiebt Eskom eine Schuldenlast von mehr als 21 Milliarden Euro vor sich her. Und Südafrika ist immer noch zu mehr als 94 Prozent von fossilen Energieträgern abhängig.

Zweitens, und mindestens genauso gewichtig, ist der Zusammenbruch der Stromversorgung Teil eines größeren Komplexes aus Korruption, Diebstahl und teils aktiver Sabotage. Hier sind oder waren Fraktionen des regierenden African National Congress (ANC), die indisch-stämmigen Gupta-Brüder (die sich mittlerweile ins Ausland abgesetzt haben), mafiöse Syndikate sowie ausländische Firmen verwickelt.

Unter Präsident Jacob Zuma, der das Land zwischen 2009 und 2018 regiert hat, haben sich diese Akteure die staatseigenen Betriebe (Eisenbahn, die nationale Fluggesellschaft SAA, die Transportgesellschaft Transnet, die Stromerzeugung und so weiter) angeeignet, um sie systematisch ausplündern zu können – dies wird allgemein unter dem Schlagwort state capture diskutiert.

Dieser Verbrechenskomplex ist zwischen August 2018 und Juni 2022 von einer Untersuchungskommission unter dem damaligen stellvertretenden Obersten Richter Raymond Zondo in sechs umfangreichen Berichten aufgeklärt worden. Der volkswirtschaftliche Schaden wird auf etwa 25 Milliarden Euro geschätzt. Der im Februar 2023 vorzeitig zurückgetretene Eskom-Chefmanager, André de Ruyter, beziffert den Schaden an der Energie-Infrastruktur, der nach wie vor durch Diebstahl angerichtet wird, auf gut 50 Millionen Euro. In einem Buch behauptet er, dass die vier sich bereichernden Syndikate Verbindungen bis in die Regierung und Präsident Ramaphosa haben. De Ruyter lebt nach einem versuchten Zyanid-Anschlag inzwischen nicht mehr in Südafrika.

Auch ausländische Firmen sind an der Ausplünderung der staatseigenen Betriebe beteiligt, wie der Fall Asea Brown Boveri (ABB) Ltd. zeigt. Der Schweizer Anlagenbauer hat massiv bestochen, um an Aufträge in Südafrika zu gelangen – vor allem den Bau des Kusile-Kohlekraftwerks in der Provinz Mpumalanga (2015) – und später mit Hilfe von gewaltig überhöhten Rechnungen zum Ausbluten des Staats beigetragen. Im Dezember 2020 einigten ABB und Eskom sich auf die Rückzahlung von etwa 100 Millionen Euro an den südafrikanischen Stromerzeuger; zwei Jahre später stimmte ABB einem weiteren Vergleich und der Zahlung einer Strafe in Höhe von 150 Millionen Euro an die Staatskasse zu.

Wie wirken sich die Stromausfälle auf die Wirtschaft aus?

Die Auswirkungen der Stromausfälle sind vielschichtig. Sie reichen von Produktionseinbußen und sinkenden Einnahmen in der Privatwirtschaft zum Verlust von Arbeitsplätzen (2021: minus 350.000), aber auch zu erhöhten Diebstahls- und Einbruchsraten, weil zum Beispiel die allgegenwärtigen Überwachungskameras und andere elektronischen Sicherheitssysteme zeitweilig nicht funktionieren.

Außerdem drohen andere Grundversorgungssysteme Schaden zu nehmen: Im Frühjahr 2023 kollabierten mancherorts Wasseraufbereitungs- und Filteranlagen; die Wasserversorgung des zentralen Hochplateaus des Landes mit dem Industriegürtel um Johannesburg ist davon abhängig, dass große, elektrisch betriebene Pumpsysteme funktionieren. Im Juli 2023 musste die Wasserversorgung in weiten Teilen dieser Provinz für mehrere Tage wegen Wartungs- und Reparaturarbeiten stark reduziert beziehungsweise sogar ganz eingestellt werden.

Wirtschaftlich hat Südafrika mittlerweile fast allen Kredit verspielt: Im März 2023 zog mit Standard & Poor’s auch die dritte der großen Kreditrating-Agenturen nach und stufte die Bonität des Landes, ähnlich wie Fitch bereits im Dezember 2021, nur noch mit BB- ein: Südafrika gilt damit für ausländische Investoren als Risikostandort.

Mit welchen langfristigen Folgen rechnen Sie für Südafrika infolge der Stromausfälle beziehungsweise der mafiösen Strukturen?

Nach Auskunft des Africa Organized Crime Index (Pretoria, Paris) ist Südafrika fest im Griff einer überschaubaren Anzahl von Mafia-Syndikaten, die eng mit der Lokal- und Landespolitik verflochten sind. Gleichzeitig verläuft die gerichtliche Aufarbeitung des state capture nur sehr zäh. Die meisten der in den Berichten der Zondo-Kommission beschuldigten Politiker und Manager sind noch immer auf freiem Fuße. Immerhin befindet sich der ehemalige geschäftsführende Direktor von Eskom, Matshela Koko, seit August letzten Jahres in Haft. Und gegen ehemalige südafrikanische ABB-Manager und deren engste Familienangehörige ist jüngst eine einstweilige Verfügung in Höhe von 29 Millionen Euro erlassen worden.

Wie immer gibt es in Südafrika auch in dieser Frage viel Schatten, aber eben auch Licht – nämlich die Hoffnung, dass die unabhängige Justiz, die sehr resiliente Zivilgesellschaft und die wachsame Qualitätspresse den moralischen Kompass im Auge behalten, der dem ANC längst verloren gegangen ist. Wirtschaftlich wird das Land sich auf absehbare Zeit allerdings auf sehr schwierige Herausforderungen einstellen müssen.

Und politisch droht Südafrika ein weiterer Verfall des bereits heute arg strapazierten gesellschaftlichen Zusammenhalts. Angesichts multipler Krisen gelingt es den diversen (sich meist links gerierenden) politischen Populisten immer häufiger, destruktive und auch xenophobe Stimmungen zu mobilisieren. Zudem stehen im Frühjahr 2024 Wahlen an, bei denen der ANC erstmals seit 1994 seine absolute Mehrheit einbüßen könnte. Die möglichen Folgen einer Koalitionsregierung oder einer tolerierten Minderheitsregierung werden bereits heute sehr kontrovers diskutiert.

Prof. Dr. Ulf Engel ist Professor für „Politik in Afrika“ am Institut für Afrikastudien an der Universität Leipzig, außerdem Professor extraordinary im Department of Political Science an der Stellenbosch University Südafrika; Gastprofessor am Institute for Peace and Security Studies an der Addis Ababa University. Im Rahmen des vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) leitet Engel ein Projekt zum Thema „Politischer Populismus im Südlichen Afrika: Namibia, Südafrika und Zimbabwe“ (2021–2024).

Er ist zugleich am Forschungsvorhaben New Global Dynamics im Rahmen der zweiten Wettbewerbsphase der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern beteiligt.

Die Fragen stellte die Medienredaktion der Universität Leipzig.

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