Hat das überhaupt noch etwas mit vorausschauender, nachhaltiger Politik zu tun, was der Freistaat in den letzten Jahren im Umgang mit seiner Lehrerschaft praktiziert hat? Sei es bei der Vergütung, sei es bei der Einstellung von neuen Lehrern? Nicht wirklich. Fünf Jahre predigte die Regierung, man hätte genug Lehrer und hätte auch vorgesorgt. Doch am Freitag, 6. März, startete das Kultusministerium eine Werbeaktion für Lehrer aus anderen Bundesländern.

Zwar verteilte die sächsische Regierung zum Schuljahresstart allerlei Beruhigungspillen, die tatsächlich die Kritik am Umgang mit dem Lehrerpersonal vorerst verstummen ließen.

Doch in den Schulen hat sich augenscheinlich nichts geändert. Es reißen überall ganz ähnliche Lücken auf, wie sie schon die vergangenen beiden Schuljahre geprägt haben. Was den Landesschülerrat (LSR) jetzt dazu bringt, zum dritten Mal eine Erhebung zum Stundenausfall in sächsischen Schulen zu machen.

Vom 9. bis zum 20. März will er wieder eine eigene Erhebung in Sachen Unterrichtsausfall an den weiterführenden Schulen im Freistaat durchführen.

„Nachdem bereits die Verschickung der Elternbescheide letztes Schuljahr haperte, war klar, dass mit der Lehrerversorgung schon wieder etwas nicht stimmte“, erklärt der Vorsitzende Patrick Tanzer hierzu.

Viele Einzelfälle seien an den LSR herangetragen worden, die wieder – wie in den Jahren zuvor – ein erschreckendes Bild zeichnen. Über mehrere Monate fallen in einigen Schulen Fächer komplett aus, einige Klassenstufen hätten in verschiedenen Fächern keinen Unterricht, weil Kapazitäten aus Krankheitsgründen fehlen.

Die Koalition habe zwar angekündigt, hier mit 6.100 neuen Lehrern bis 2019 gegenzusteuern. Gerade mit Hinblick auf die kommenden Haushaltsverhandlungen sei den Schülern nun wichtig, dass keine Luft an die Versprechungen der neuen Landesregierung gelassen werde. Nach den bereits erfolgreich durchgeführten Statistiken seit dem Jahr 2012 soll dieses Mal auch der fächerspezifische Ausfall im Fokus stehen. So sollen auch die Ausfallkriterien überprüft werden. Konkret sollen die Schüler feststellen, wieso eine Stunde ausfällt und das festhalten.

Der Vorsitzende des LSR Patrick Tanzer: „Wir müssen überprüfen, wie es um die Schulen wirklich steht, ob die 2012 getroffenen Vereinbarungen am ‚Runden Tisch‘ wirklich Früchte getragen haben. Und die Aufmerksamkeit für das Problem muss bleiben. Der Generationswechsel im Lehrerzimmer und die Bekämpfung des Unterrichtsausfalls dürfen nicht den Kürzungen durch das realpolitischen Geschäft anheimfallen.“

Dass das Kultusministerium jetzt für das Schuljahr 2015/2016 eine große Werbeaktion um Lehramtsabsolventen aus anderen Bundesländern startet, zeigt zumindest, dass man sich dort schon jetzt nicht mehr sicher ist, ob man die notwendigen 734 jungen Pädagogen bekommt, die allein durch Altersabgänge frei werden. Tatsächlich  gebraucht werden ja mehr – auch schon, um die gestiegenen Schülerzahlen aufzufangen.

Nur ein sächsisches Problem?

Dumm nur, dass sich viele Bundesländer so kurzsichtig benommen haben wie Sachsen. Schon für 2015 rechnet die Kultusministerkonferenz bundesweit mit 3.200 fehlenden Junglehrern. Linke und SPD hatten im Landtag seit Jahren gewarnt, dass es schlicht eine Geisterfahrt ist, mit Lehrereinstellungen zu warten, bis auch die anderen Bundesländer mitkriegen, dass die Löcher nicht mehr zu stopfen sind. Aber Sachsen hat gewartet, hat noch im Sommer 2014 lieber kleine Flicken gesetzt, als sich den eigenen Nachwuchs auch zu sichern.

Mit der Werbeaktion läuft das sächsische Kultusministerium nun mitten hinein in den bundesweiten Kampf um die angehenden Pädagogen. Und hat mit seinem Vergütungssystem auch noch ausgesprochen schlechte Karten.

Auch wenn sich das Ministerium ganz optimistisch gibt: “Mit Start des Bewerbungsverfahrens für die Lehrereinstellungen zum neuen Schuljahr 2015/2016 wirbt Sachsen jetzt erstmals mit Informationspäckchen um Lehramtsabsolventen aus anderen Bundesländern. Die Päckchen gehen in diesen Tagen an Referendare in Rheinland Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und in den Freistaat Bayern. In Absprache mit den jeweiligen Kultusministerien werden gezielt angehende Lehrer für die Schularten Grundschule und Realschule angeschrieben und über die Einstellungsmöglichkeiten in Sachsen informiert.” Realschule – das ist für Sachsen die Oberschule (was vorher Mittelschule hieß) mit dem Abschluss 10. Klasse.

„Für diese Schularten ist der Bedarf an Lehrern in Sachsen besonders groß, währenddessen andere Bundesländer über ihren eigenen Bedarf ausgebildet haben und demzufolge die Einstellungsmöglichkeiten dort geringer sind“, erklärt Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth dazu.

Neben dem Informationspäckchen gibt es noch ein spezielles Onlineanschreiben an die Referendare auf www.lehrer-werden-in-sachsen.de.

Für das Einstellungsverfahren in Vorbereitung auf das Schuljahr 2014/2015 hatten sich 580 Lehrer aus anderen Bundesländern beworben. Insgesamt wurden, so teilt das Kultusmnisterium mit, 775 Lehrkräfte eingestellt, davon 207 aus anderen Bundesländern.

Noch bis zum 10. April 2015 können sich jetzt Lehrerinnen und Lehrer für die Einstellung in den sächsischen Schuldienst zum 1. August 2015 für das Schuljahr 2015/16 bewerben. Da in den kommenden Jahren viele Lehrkräfte altersbedingt aus dem Schuldienst ausscheiden, werde sich der Einstellungsbedarf deutlich erhöhen.

Ein besonderer Bedarf bestehe bei den Lehrkräften für Grund-, Ober- und Förderschulen (hier insbesondere an Schulen zur Lernförderung und Schulen für Erziehungshilfe) sowie an allen weiterführenden Schularten in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Für die berufsbildenden Schulen gebe es Einstellungsbedarf in den gewerblich-technischen Fachrichtungen, wie Metall- und Maschinentechnik sowie Elektrotechnik und Informationstechnik.

Das Anschreiben für die Lehramtsabsolventen in den anderen Bundesländern.

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