Macht das neue Bertelsmann-Monitoring zur "Frühkindlichen Bildung" klüger? - Nicht wirklich. Aber gutes Futter für politische Statements ist es. Denn die Kita-Betreuung kostet nun einmal Geld, qualitativ gute Betreuung noch mehr Geld. Und das Monitoring staunt natürlich zu unrecht über die schlechteren Betreuungsschlüssel im Osten, oder?

Auch wenn es für die Opposition im Landtag wieder Munition für Kritik ist. So für Annekatrin Klepsch, die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag: “Das soeben erschienene  Ländermonitoring ‘Frühkindliche Bildung’ der Bertelsmannstiftung hat das einstige Musterland frühkindlicher Bildung Sachsen heute auf dem letzten (Krippe) bzw. vorletzten Platz (Kindergarten) hinsichtlich der Erzieher-Kind-Relation verortet. Dies ist ein bildungspolitischer Abstieg um mindestens zwei Spielklassen.”

Sie nahm auch den Ball aus dem sächsischen Kultusministerium auf, das just am 24. August vermeldete, was man so ja auch schon im Koalitionsvertrag von CDU und SPD vereinbart hatte: “Der Betreuungsschlüssel in den Kindergärten und Kinderkrippen wird schrittweise verbessert. Darauf macht das Kultusministerium angesichts des heute veröffentlichten bundesweiten Vergleichs ‘Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme’ der Bertelsmann Stiftung aufmerksam. So wird im Kindergarten der Personalschlüssel ab dem 1. September 2015 von 1:13 auf 1:12,5 und ab dem 1. September 2016 von 1:12,5 auf 1:12 verbessert. Auch in Kinderkrippen wird sich der Personalschlüssel verändern – zunächst ab  dem 1. September 2017 von 1:6 auf 1:5,5 und ein Jahr später auf 1:5.”

Damit kleckert Sachsen bei der Betreuungsrelation noch immer ganz hinten im Feld herum. Nur Mecklenburg-Vorpommern hat mit einem Verhältnis von einer Erzieherin auf 14,4 Kinder eine noch schlechtere Betreuungsrelation im Kindergarten. Sachsen hat sich seit 2012 nur leicht verbessert von 13,7 : 1 auf 13,6 :1. Eigentlich hat es sich gar nicht verbessert, denn seit 2006 hat das Land seine Zuweisungen für die Kita-Betreuung ja bekanntlich bei 1.800 Euro pro Kind eingefroren.

Die Kommunen sind überfordert

Übrigens nicht das einzige Politikfeld, wo man einfach mal den Sack zugemacht hat in der freudigen Erwartung, jetzt finden die betroffenen Kommunen irgendwo ganz viele schöne Geldquellen, um die aufklaffenden Lücken zu schließen. Haben sie natürlich nicht gefunden. Im Gegenteil: Viele Kommunen sind in dieser gnadenlosen Sparpolitik an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geschlittert. Erst die 2014 neu implementierte CDU/SPD-Regierung hat die Kita-Pauschale wieder angehoben. Nur reicht das Geld bei weitem nicht, um die über zehn Jahre aufgebauten Lücken zu schließen.

Da können Kommunen zwar träumen von einer Verbesserung der Qualität: Aber woher das Geld nehmen, wenn es nicht da ist? Mal ganz zu schweigen davon, dass Städte wie Leipzig und Dresden auch den Kita-Ausbau erst einmal irgendwie grundfinanzieren mussten. Der Bund hat dafür zwar Gelder bereitgestellt. Aber die sind irgendwie – wie so oft – auf Landesebene hängengeblieben.

Zehn Jahre Stillstand aber bedeuten, wie die Bertelsmann-Zahlen (die ja reineweg Zahlen aus den statistischen Ämtern sind) zeigen, dass Sachsen einfach nach hinten durchgereicht wurde.

Wo kommen die benötigten Erzieher/Innen her?

“Die nunmehr erfolgte Veränderung der gesetzlichen Betreuungsschlüssel ist das eine, die ausbildungsseitige Absicherung der vorgesehenen Verbesserungen ist das andere. Daher ist es zu begrüßen, dass endlich eingefahrene Wege verlassen werden, um mehr Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern eine Perspektive im Erzieherberuf zu geben. Die ESF-Finanzierung für 141 neue Ausbildungsplätze ist ein erster, aber viel zu kleiner Schritt”, begrüßte Klepsch die verstärkte Ausbildung von Erzieherinnen. Aber auch da knausert das Land, als wäre das Geld bei der Bank besser aufgehoben. Klepsch: “Angesichts der Größe der Aufgabe ist nicht mehr nachvollziehbar, dass der weit überwiegende Teil der zum Erzieherberuf umgeschulten Personen dies nach wie vor aus eigener Tasche, bestenfalls mit teilweiser BAföG-Unterstützung, finanzieren muss. Diese finanzielle Hürde ist für viele interessierte und geeignete arbeitslose Personen nicht zu überspringen. ”

Für die Grünen kommt die neue Ausbildungswelle sowieso zu spät.

“In sächsischen Kindertageseinrichtungen fehlt es nach wie vor an Personal. Das geht auf Kosten der Qualität der Bildung, Betreuung und Erziehung und auf Kosten der Gesundheit der Erzieherinnen und Erzieher. Zu lange hat sich die Staatsregierung auf einer bundesweit vergleichsweise hohen Betreuungsquote und einem guten Ausbaustand ausgeruht. Dabei fehlen auch im Freistaat nach wie vor Kita-Plätze. Und beim qualitativen Ausbau steht Sachsen noch ganz am Anfang”, sagt dazu Petra Zais, Landtagsabgeordnete der Grünen.

Die Bertelsmann Stiftung spreche im Länderprofil von nur geringfügigen Verbesserungen. Insgesamt sei Sachsen in den vergangenen Jahren im Ländervergleich abgerutscht, da andere Länder, etwa Sachsen-Anhalt, ihre Betreuungsschlüssel für beide Altersgruppen deutlich verbessert hätten.

“In den Haushaltsverhandlungen konnten sich CDU und SPD nur zu einer Tippel-Tappel-Tour zur Verbesserung des Betreuungsschlüssels aufraffen. Spürbare Verbesserungen für das Kita-Personal und die Betreuungssituation vor Ort wird es auf lange Sicht damit nicht geben. Unsere Forderung, den Schlüssel sowohl in der Krippe als auch in der Kita in einem Schritt um eins zu senken, wird nach Plänen von Koalition und Staatsregierung auf eine ganze Legislatur ausgedehnt. Erst Ende 2018 soll der – rechnerische – Betreuungsschlüssel bei 1:5 in der Krippe und bei 1:12 in der Kita liegen”, kritisiert Zais das zaghafte Tempo der Regierungskoalition. “Damit wird Sachsen die Bewertung des jetzigen Ländermonitors der Bertelsmann Stiftung wohl erhalten bleiben: Der Freistaat ist von den Empfehlungen für kindgerechte Betreuungsverhältnisse weit entfernt. Ich fordere die Staatsregierung auf, deutlich mehr als bisher in die frühkindliche Bildung zu investieren. Wenn Sachsen nicht bald den frühkindlichen Bildungsbereich stärkt, wird es mittelfristig auch im schulischen Bereich schlechter abschneiden.”

Folgen der schlechten Betreuungsschlüssel

Wobei zu ergänzen wäre, dass nicht nur die Kinder unter der schlechten Betreuungsrelation leiden. Die Bertelsmann-Stiftung kommentiert es so: “Ungünstige Personalschlüssel wirken sich nicht nur für die Kinder negativ aus, sondern erhöhen auch die Belastung der Kita-Fachkräfte. Das haben kürzlich Wissenschaftlerinnen der Alice Salomon Hochschule Berlin nachgewiesen. Folge sind hohe gesundheitliche Risiken für diese Berufsgruppe. Die Bertelsmann Stiftung hat deshalb in ihrem diesjährigen “Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme” die strukturellen Arbeitsbedingungen analysiert.”

Und wer die aktuelle Stimmungsumfrage in der Leipziger Verwaltung wahrgenommen hat, der weiß, dass die Erzieherinnen in den städtischen Kitas richtig sauer sind, weil die miserable Personalausstattung zu ungeregelten Pausenzeiten, Überlastungen und zu wachsender Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen führt. Das Sparmodell der sächsischen Regierung ist zehn Jahre lang immer zulasten des Personals gegangen. Und der Kommune, das muss erwähnt werden, denn überall, wo die Landesregierung die Taschen zunäht, müssen Kommunen tiefer in ihren Etat greifen – und weigern sich in den aktiven Tarifkonflikten aus nachvollziehbaren Gründen, den nächsten Einkommenszuwachs der Erzieherinnen mitzumachen. Es ist ein Spiel über Bande, das in Sachsen mit besonders harten Bandagen geführt wird.

Sachsen – das Land der unerledigten Aufgaben

Was aber auch zeigt, wie ernst es den verantwortlichen Politikern mit der so gern gefeierten Bildung tatsächlich ist. Tatsächlich verweigert man, das Thema wie versprochen anzugehen, die Mittelzuweisungen deutlich zu erhöhen und damit auch die Basis zu schaffen für ein chancengerechtes Bildungssystem. Denn darum geht es bei all den Diskussionen um Kitas, Schulen und Hochschulen.

Doch so lange in Sachsen die Ansicht dominiert, dass Bildungssysteme Auslesesysteme sind, so lange werden auch solche grundlegenden Entscheidungen nur mit der Kneifzange angepackt, widerwillig geradezu.

Und eine Passage der Bertelsmann-Mitteilung ist natürlich geschrieben, als wäre sie extra für die sächsische Kultusministerin verfasst: “Einer der Befunde lautet: In kaum einem Bundesland ist derzeit klar geregelt, wie viel Arbeitszeit für Aufgaben neben der eigentlichen pädagogischen Arbeit mit den Kindern reserviert ist. Team- und Elterngespräche, Dokumentation und Fortbildung machen in der Praxis mindestens ein Viertel der Aufgaben einer Erzieherin aus. Während Vollzeitkräfte hierfür in der Regel ausreichend Zeit einplanen können, geraten die Teilzeitkräfte unter Druck. Immerhin 41 Prozent des Kita-Personals arbeitet weniger als 32 Stunden wöchentlich. Deren Arbeitszeit wird in den Kitas häufig komplett für die eigentliche Kinderbetreuung eingeplant, trotzdem warten die anderen Aufgaben auf Erledigung.”

Und die bleiben dann oft genug unerledigt.

Vielleicht wäre das nach all den Fehlstellen, die in diesem Sommer in der sächsischen Politik zum Vorschein kamen, ein gutes Label für den Freistaat: Das Land der unerledigten Aufgaben.

Die Bertelsmann-Stiftung: “Auf eine vollzeitbeschäftigte Kita-Fachkraft kommen in Sachsen durchschnittlich 6,5 ganztags betreute Krippen- oder 13,6 Kindergartenkinder. Damit bieten die sächsischen Kitas den unter Dreijährigen die bundesweit ungünstigsten und den Kindern ab drei Jahren die bundesweit zweitungünstigsten Betreuungsverhältnisse. Zwei Jahre zuvor war eine Erzieherin in Sachsen durchschnittlich für 6,6 Krippenkinder oder 13,7 Kindergartenkinder zuständig. – Weil andere Bundesländer wie etwa Sachsen-Anhalt ihre Betreuungsschlüssel für beide Altersgruppen deutlicher verbessert haben, ist Sachsen innerhalb der vergangenen zwei Jahre im Ländervergleich abgerutscht. Während im Krippenbereich Sachsen von Brandenburg und Sachsen-Anhalt überholt wurde und Sachsen nun das Schlusslicht bildet, landet im Kindergartenbereich einzig Mecklenburg-Vorpommern mit einem Personalschlüssel von 1 zu 14,4 für Kinder ab drei Jahren noch hinter Sachsen. Neben Sachsen-Anhalt haben auch Baden-Württemberg, Hamburg und Rheinland-Pfalz im Ländervergleich ihre Personalschlüssel für beide Altersgruppen deutlicher verbessert. Dadurch sind die Qualitätsunterschiede zwischen den drei genannten westdeutschen Bundesländern und Sachsen noch größer geworden.”

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