Wie bekommt man eigentlich einmal konkrete Aussagen der Staatsregierung zu so einer elementaren Frage wie den geplanten Studierendenzahlen? Die Frage stellte sich Falk Neubert, Sprecher für Hochschul- und Wissenschaftspolitik der Linksfraktion im Landtag. Im Juli hatte er schon eine Antwort bekommen, die ihn überhaupt nicht befriedigte.

Besonders unzufrieden war er mit dem Teil der Antwort von Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD), in dem es hieß: „Echte Prognosen der Studierendenzahlen an sächsischen Hochschulen, welche maßgebende Faktoren der Entwicklung berücksichtigen, sind nicht bekannt. Seitens der Kultusministerkonferenz gibt es aus dem Jahr 2014 lediglich eine Vorausberechnung der Studienanfängerzahlen bis zum Jahr 2015, welche unter der Annahme gleich bleibender Bedingungen, davon ausgeht, dass es zu den Stichjahren 2020 und 2035 in Sachsen nur ganz unwesentlich mehr Studienanfänger geben wird (2015: 20.257, 2020: 20.423, 2025: 20.559).“

Denn wenn die Studierendenzahlen in der Prognose nicht fallen – warum will dann ausgerechnet der Freistaat Sachsen die Zahl der Studierenden an staatlichen Hochschulen von derzeit 105.000 auf 95.000 absenken?

Die Kultusministerkonferenz sieht auch für die gesamte Bundesrepublik bis 2019 ein gleich bleibend hohes Niveau von fast 500.000 Studienanfängern. Erst danach werden die Zahlen aufgrund der niedrigeren Absolventenjahrgänge im Westen abschmelzen. Aber bis 2025 werden sie auch dort nicht unter den Wert von 2010 fallen.

Aber es lässt sich nicht beziffern, welche Auswirkungen das auf die Studierendenzahlen in Sachsen haben wird.

Studienanfängerzahlen in Deutschland. Grafik: KMK
Studienanfängerzahlen in Deutschland. Grafik: KMK

Die Wissenschaftsministerin ließ zumindest durchblicken, wie die Zahl zustande kam: „Die o. g. Planungsgröße orientiert sich an dem Ziel, das Betreuungsverhältnis an den Hochschulen im Geschäftsbereich des SMWK nach Auslaufen des Hochschulpaktes von Bund und Ländern zu halten und zu verbessern.“

Denn der deutsche Bildungspakt läuft 2020 aus. Gestartet war er 2007, um „bis zu 760.033 zusätzliche Studienmöglichkeiten“ gegenüber dem Basisjahr 2005 zu ermöglichen, wie es das Bundesministerium für Bildung und Forschung formuliert. Der Bund gibt dafür bis einschließlich 2023 rund 18,3 Milliarden Euro, die Länder haben ihrerseits 20,2 Milliarden Euro aufgewendet. Damit hatten beide auf die schlichte Tatsache reagiert, dass der Anteil der Studierwilligen an den Schulabgängern von 37 Prozent im Jahr 2005 auf über 50 Prozent gestiegen war. Eigentlich genau das, was ein hochtechnisiertes Land wie die Bundesrepublik braucht, um im Innovationswettbewerb der entwickelten Länder mithalten zu können. Das wird ja 2020 nicht einfach wieder abreißen.

Aber die Bundesregierung hat bis dato erklärt, dass 2014 nun die letzte Stufe des Hochschulpaktes beschlossen wurde. Basta.

Als wenn die Schüler in der Bundesrepublik 2020 einfach alle zum Altgewohnten zurückkehren und wieder nur jeder Dritte studiert. In Zeiten, da ein ganzes Land über Industrie 4.0 diskutiert, eigentlich ein falsches Signal. Aber derzeit wagt sichtlich noch niemand darüber nachzudenken, wie man ab 2020/2023 die zusätzlichen Studienplätze finanzieren will.

In Sachsen hat man sich auf ein straffes Konsolidierungsprogramm eingerichtet. Das betont Eva-Maria Stange nun auch in der zweiten Antwort auf  Neuberts Nachfrage. „In Umsetzung des Koalitionsvertrages geht die Staatsregierung in der staatlichen Hochschulentwicklungsplanung zur Aufrechterhaltung des Qualitätsanspruches an den 14 staatlichen Hochschulen im Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst bei der Studierendenzahl von einer Zielgröße von 95.000 Studierenden aus. Der entsprechende Ausgangswert war bei Abschluss des Koalitionsvertrages bei 106.532 (Studienjahr 2013/14) und ist gegenwärtig 106.302 (Studienjahr 2015/1 6).“

Aber wie das Ziel erreicht werden soll, das sollen die Hochschulen selbst entscheiden, erklärt die Ministerin: „Die Hochschulen entscheiden eigenständig über die jeweiligen Maßnahmen zur Zielerreichung.“

Womit sie im alten Dilemma bleiben, das seit 2011 für Ärger sorgt: Die Hochschulleitungen müssen selbst Vorschläge machen, welche Studiengänge sie einschränken oder ganz schließen und das dann auch im eigenen Haus durchsetzen.

Neubert hatte auch mal etwas wieder den Stachel gelöckt und gefragt, was die Staatsregierung jetzt täte, um die Abbruchzahlen zu erhöhen und die Abwanderung junger Sachsen zum Studium in andere Bundesländer zu verstärken.

Darauf antworte die Ministerin, solche Maßnahmen gebe es keine, man wolle ja im Gegenteil die Abbruchzahlen senken. „Es ist Ziel der Staatsregierung, den Studienerfolg qualitativ und quantitativ zu verbessern. Sie wirkt durch die Verankerung dieses Ziels in den Zielvereinbarungen mit jeder Hochschule und durch die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln zur Umsetzung konkreter Maßnahmen auf die Hochschulen entsprechend ein“, so Stange. „Es wird davon ausgegangen, dass Verbesserungen beim Studienerfolg sich positiv auf die Einhaltung der Regelstudienzeit und auf den Anteil der Studierenden, welche den Abschluss im gewählten Studiengang erreichen, auswirken. Beide Ziele führen im Ergebnis zu einer verringerten durchschnittlichen Studiendauer.“

Und dabei gibt es nicht einmal belastbare Studien dazu, warum teilweise bis zu 40 Prozent eines Studiengangs das Studium nicht zu Ende bringen und oft über 80 Prozent das Studium nicht in der Regelzeit abschließen. Letzteres hat eine Menge mit dem zum Teil schlechten Betreuungsverhältnis zu tun, oft aber auch mit der radikalen Durchschulung des ganzen Systems, das entscheidende Testate schon zur Entscheidung macht, ob das Studium an dieser Stelle schon erfolglos endet oder weitergeführt werden darf. Nicht nur das sächsische Bildungssystem ähnelt nach Bologna einem Auswahlverfahren für dosengerechtes Gemüse, bei dem all jene, die nicht ins Raster passen, frühzeitig ausgesiebt werden oder – nach Abschluss des Bachelors – bei einer Bewerbung für das eigentlich qualifizierende Master-Studium scheitern.

Wie das mit weniger Dozenten in den Hochschulen geändert werden soll, ist wohl die Rätselaufgabe für alle Politiker, die felsenfest daran glauben, dass 95.000 Studierende eine richtig gute Zielvorgabe für Sachsen sind.

Die erste Antwort auf Falk Neuberts Frage nach den Studierendenzahlen. Drs. 5687

Falk Neuberts Nachfrage zu den sächsischen Studierendenzahlen. Drs. 6055

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