Natürlich war vorher ordentlich Alarm und die Schüler wussten, welche Prominenz zum Gespräch kommen würde. Mit Friedrich Schorlemmer fand „der intellektuelle Kopf der Opposition der DDR“ nach Leipzig, genauer in ein Gymnasium. Die „Schiller Akademie“der gleichnamigen Schule an der Sasstraße in Leipzig Gohlis hatte eingeladen und der Saal füllte sich rasch. Trotz ungewöhnlicher Zeit mussten für das Publikum Schorlemmers und seinen Gesprächspartner und Veranstalter Jens-Uwe Jopp gegen 13:30 Uhr weitere Stühle hineingetragen werden, bevor eine politische Bildungsveranstaltung in den Ferien starten konnte.

Zwei Plakate und die Mundpropaganda hatten genügt, um am Freitag, 6. April 2018, die Aula einer Schule mit gut 250 Schülern, Lehrern und Eltern zu (über)füllen. Bereits zum zweiten Mal hatten das Schillergymnasium und der veranstaltende Deutsch- und Geschichtslehrer Jens Uwe-Jopp zu einer öffentlichen Bildungsveranstaltung namens “Schiller-Akademie” geladen und erneut breiten Zuspruch gefunden. Debattierten vor der Bundestagswahl 2017 noch Vertreter von Parteien über politischen Extremismus und parlamentarische Demokratie mit den Schülern, gab es dieses Mal Geschichte und Haltungen zu aktuellpolitischen Themen von einem der wegweisenden Bürgerrechtler, Theologen und Friedenspreisträger (Wiki) zu hören.

Bevor die Schüler ihre Fragen stellen konnten, lieferte Schorlemmer einen Einblick in sein Verhältnis zum Sturm- und Drangdichter sowie Namensgeber der Schule, Friedrich Schiller. So gab der Wittenberger grundlegende humanistische Aufklärung zum Besten, führte Dichtung und eigene Erkenntnisse aus DDR-Geschichte, Begegnungen mit unzähligen Menschen und aktuellpolitischen Beobachtungen zusammen.

„Lest Schiller“, liebt und werdet in Wertschätzung und Respekt geliebt, könnte man das Credo des knapp zweistündigen Nachmittages wohl zusammenfassen. Eine Richtung, die der Theologe nicht mehr verließ: Auch Demokratie, welche bei jedem Einzelnen beginnt, Liebe und Zuneigung gelten ihm als höhere Werte als Geld, Macht und Karriere.

Ein Parforceritt des 74-Jährigen vom Staunen über die Welt und der Kraft der Dankbarkeit über das Gute in ihr, bis hinein in Machtentscheidungen und Kriege, welche für Schorlemmer immer – wie im Irak – mit Lügen beginnen. Konkret wurde der stets aus der Friedensperspektive Argumentierende vor allem bei Kriegen, Geheimdiensterkenntnissen und derzeit bei der skeptischen Hinterfragung des Giftanschlags in Großbritannien und die eilige Verurteilung Russlands.

Überhaupt: Russland. Für den 1944 geborenen Sohn eines Vaters ohne Vater ein Grund energisch zu werden und auch seiner Liebe zum weiten Land am Ostrand Europas Ausdruck zu verleihen. Gegen Russland sei kein Frieden möglich in Europa, so die Erkenntnis in der Aula des Schillers.

Video der Veranstaltung – Teil 1

Vorstellung Schorlemmers durch Jens-Uwe Jopp, erste Gedanken und Beginn der Fragerunde am 6.4.2018. Video: L-IZ.de

Die Schüler-Fragen aus dem Saal zeugten unter den Augen des manchmal verschmitzt lächelnden Lehrers Jopp von einer guten Vorbereitung auf die Themen des Gastes. Was für ihre Generation anstehe, nun, da es wohl doch keine so klar erkennbaren Schuldigen wie einst die SED mehr gäbe, wie er die AfD sähe und ob er für ein Verbot wäre, bis hin zur für Schorlemmer wichtigsten Frage nach der Zukunft der Ökologie, der Welt und dem „Homo Ökonomikus“ in ihr.

Ob „Coffee to go“-Becher, Smartphones und die neurologischen Veränderungen durch diese gerade bei ganz jungen Menschen, Plastik in den Gewässern – Schorlemmer konnte doch stets auf ein Fundament zurückgreifen, welches die Bewahrung der Schöpfung im Zentrum seines Denkens weiß. Und so wunderte sich so mancher Schüler anschließend vor der Tür vielleicht, dass nicht alle gestellten Fragen erwartet klare, einfache Antworten fanden, wie diese, welche sie nun für die anstehenden Abiturprüfungen parat haben müssen. Und dann doch – bei näherem Hinhören – ungewohnt klar waren.

Was letztlich darauf deutete, dass das Leben eben nicht Schule im engeren Sinne, sondern lebenslanges Verstehen und Lernen bedeutet. Haltung, das Wissen um ein stetiges Ringen für Demokratie und Frieden sowie rote Linien dafür hatten sie knapp zwei Stunden von einem der Großen heutiger Zeit bekommen: Konkrete Antworten werden sie wie jede Generation vor ihnen selbst suchen und finden müssen.

Video der Veranstaltung – Teil 2

Die Fragerunde am 6.4.2018 (Fortsetzung). Video: L-IZ.de

Anmerkung der Redaktion: Ein Schorlemmer-Spezial zu seiner Biografie und Werk gibt es von LZ-Autor Jens-Uwe Jopp in der kommenden LEIPZIGER ZEITUNG, VÖ. am 27. April 2018.

„Extremismus. Links, rechts – alles gleich?“ Wie war das mit politischer Bildung? + Audio

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