Nachtigall, ick hör dir trapsen. Die Wirtschaftsberatungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PWC) hat ein neues Ranking erstellt. Oder besser: erstellen lassen. Man hat ein Marktforschungsinstitut beauftragt und die Uni Bonn den ganzen Bembel auswerten lassen. Punkte wurden vergeben. Und am Ende gab es so eine Art Prozentwertung. Leipzig taucht auch drin auf - auf Platz 6. Hinter Bonn und Düsseldorf.

Dass das Thema drängt – keine Frage. Städte, die nicht auf der digitalen Höhe der Zeit sind, haben ganz schlechte Karten im Standortwettbewerb. Nicht nur bei Bürgern, sondern vor allem bei Unternehmen.

Aber solche Dinge wie Gläserne Verwaltung und E-Government sind nun seit Jahren Thema. Sie sind eng verquickt mit den Erwartungen der Bürger, verstärkt an Stadtpolitik teilhaben zu können.

“Neue Technologien ermöglichen bereits heute eine effizientere Verwaltung und helfen dabei, die Kosten zu senken. Sie versprechen auch, die Bürger besser zu informieren und verstärkt in kommunalpolitische Entscheidungsprozesse einzubinden. Eine strategische und konsequente Digitalisierung erscheint als das Mittel, um den großen Herausforderungen der Kommunen zu begegnen. Noch haben nicht alle Kommunen damit begonnen, sich auf den Weg in die digitale Zukunft zu machen. Der digitale Graben zwischen den erfolgreichen, digitalen und den analogen Kommunen droht sich weiter zu vertiefen”, meint PWC. “Die Top-10-Städte unserer Rankings verfügen durchschnittlich über deutlich bessere Kennzahlen als die übrigen Städte. In den Top-10-Städten werden mehr Gewerbe angemeldet, sie können ein höheres Gewerbesteueraufkommen erzielen und die Zahl der Beschäftigten wächst schneller. Digitale Städte ziehen neue Einwohner an und es leben mehr Hochqualifizierte in ihnen.”

Tatsächlich aber ist Digitalisierung ein Flickenteppich. Jede Stadt handhabt die Sache anders, benutzt andere Begriffe, wählt andere technische Lösungen.

Klare Strategien fehlen

Und PWC vermisst auch so etwas wie klare Strategien: “In Sachen Digitalisierung hapert es in den Kommunen oft an der Umsetzung, da klare Ziele und integrierte Konzepte kaum vorhanden sind. Als ein eigenständiger strategischer Sachbereich von herausragender Bedeutung für die Gesamtentwicklung der Kommune wird Digitalisierung von den Kommunen oft jedoch nicht verstanden. Würde die Digitalisierung als strategische Aufgabe begriffen und entsprechend koordiniert, könnten die bislang oft nebeneinander betriebenen Anstrengungen zur Digitalisierung gebündelt und enger verzahnt werden.”

Ein bisschen lamentieren die Wirtschaftsberater auch über den “schleppenden und lückenhaften Ausbau eines leistungsfähigen Breitbandnetzes. Der sogenannte Ausbaukorridor der Bundesregierung, an dem sich viele Städte orientieren, gilt heute bereits als nicht ausreichende Zielvorgabe. Nur zwei der im Ranking untersuchten Städte haben die Bedeutung eines leistungsfähigen Netzes erkannt und übertreffen bereits die Ziele der Bundesregierung.”

Dabei ist gerade in den Großstädten der Breitbandausbau eher nicht das Problem. Hier lohnt er sich für die Telekommunikationsanbieter. Die Probleme fangen beim Sprung in die dünner besiedelten Räume an. Die Kommunen selbst haben hier kaum Einfluss. Anders als bei den digitalen Angeboten der Stadtverwaltung.

Drei Felder fanden die Ranking-Ersteller für Leipzig hervorhebenswert.

Das eine ist die E-Partizipation. Da gibt es für Leipzig zumindest ein Projekt, bei dem man recht erfolgreich gezeigt hat, dass es geht: Das war der Online-Dialog zum Lärmaktionsplan 2011. Ein Projekt, das wie ein Solitär im Raum steht, denn es hat auch gezeigt, wieviele Ressourcen es bindet (Personal, Zeit, Geld), wenn eine Stadt so einen Dialog ernsthaft betreiben will. Leipzig will solche Partizipations-Formen trotzdem zum dauerhaften Instrument der Bürgerarbeit machen. Die Frage wird sein: Wie kann man es einfacher und stetiger machen, ohne dazu jedesmal neue Projektgelder zu binden?

Verwaltungslogik beißt sich mit Bürgerlogik

Was eine Frage antippt, die PWC überhaupt nicht hat untersuchen lassen: Die logische Barrierefreiheit und Nutzungs-Simplizität der digitalen Angebote. Denn tatsächlich haben fast alle Großstädte auch fast alle digitalen Angebote irgendwo da. Nur dummerweise haben Programmierer eine völlig andere Logik als Verwaltungsbeamte, die wieder völlig anders ticken als gewählte Stadträte oder gar der durchschnittliche Bürger. Das Ergebnis sind mit Informationen und falschen Strukturen überladene Homepages, auf denen das Wichtigste nicht zu finden ist und das Unwichtige dominiert. Auch in Leipzig.

Das fällt selbst in diesem PWC-Ranking auf, denn seltsamerweise wird just das “Online Ratsinformationssystem” als Minus gewertet, obwohl Leipzig seit 2014 schon mit dem der 2. Generation, dem ALLRIS, arbeitet, in dem jeder, der sucht, mehr findet als auf der ganzen überladenen Homepage der Stadtverwaltung selbst. Nur: Die Ersteller der Studie haben das Ratsinformationssystem augenscheinlich nicht gefunden, obwohl es auf der Startseite verlinkt ist.

Die Studie zeigt eher, wie die PWC-Leute und die beauftragten Studienersteller der Uni Bonn sich digitale Verwaltungen denken. Sie schreiben zum Beispiel gern E-Mails. Und wenn sie darauf schnell eine schöne Antwort bekommen, sind sie happy. Deswegen gab’s für Leipzig auch ein Plus für “Digitale Willkommenskultur”. In der Beschreibung von PWC: “Die ‘Digitale Willkommenskultur’ ist ein Indikator für den Stellenwert der Digitalisierung der Kommune in ihrer Kommunikation mit den Bürgern. Sie zeigt die digitale Auskunftsbereitschaft. Im Idealfall muss der Bürger zur Klärung von Fragen nicht mehr in das Bürgerbüro, sondern erhält online Rückmeldung. Zur Ermittlung der digitalen Willkommenskultur wurde an die untersuchten Städte eine identische Informationsanfrage per E-Mail gestellt. Dabei wurden die bürokratische Abwicklung sowie die Angebote bei einem Neuzuzug in die jeweilige Stadt erfragt. – Die gesandte E-Mail wurde von der Stadt Leipzig zeitnah und hilfreich beantwortet.”

Da hätten sie auch ins Bürgeramt gehen können.

Denn normalerweise bietet eine gute Homepage alle Fakten, Kontakte und Formulare für eine digitale Begrüßung schon online. Da muss man doch nicht erst eine E-Mail schreiben.

Aber nicht nur hier wirkt das Prüfmuster irgendwie altbacken.

Social Media wird nie ein funktionierendes Verwaltungsinstrument

Ganz ähnlich ist die seltsame Vernarrtheit in die “Social Media”. Auch da findet man Leipzigs Auftritt positiv, auch wenn man da einfach mal ein paar Städte durcheinanderschmeißt, was schon ahnen lässt, wie oberflächlich die Prüfung war: “Die Existenz von verschiedensten Social Media Accounts der Stadt ist ein Indikator für die Offenheit und Transparenz der Stadt bezüglich politischen Entscheidungen und Neuerungen. Durch Social Media Accounts kann die Stadt sog. ‘digital natives’, also im digitalen Zeitalter geborene Bürger, stärker miteinbeziehen. Hierzu haben wir untersucht, ob die Stadt Hamburg und ihr Bürgermeister öffentliche Profile bei Twitter, Facebook und YouTube besitzen. – Abgesehen von einem YouTube Bürgermeisteraccount verfügen die Stadt Bonn und der Bürgermeister über alle vorher genannten Social Media Accounts. – Bewertung des Indikators für das Ranking: Ist die Stadt Leipzig und der Bürgermeister der Stadt Leipzig im Bereich Social Media digitalisiert? Abfrage von Twitter, Facebook und YouTube Profilen.”

Und welchen Nutzen hat das? Welche Begeisterung glauben Verwaltungen eigentlich bei “digital natives” auszulösen, wenn sie das Datum der nächsten Ratsversammlung, die Qualität der Badeseen oder den Fachtag “Leseförderung” twittern oder die Nachrichten, die schon die Homepage dominieren, auch noch bei Facebook schnattern lassen?

Die Frage ist doch eher: Wie kann eine Kommune im digitalen Zeitalter tatsächlich digital mit ihren Bürgern kommunizieren? Und zwar so, dass die relevanten Informationen nicht untergehen und die unwichtigen nicht alles verstopfen?

PWC ist eindeutig über das simple technische Denken noch nicht hinausgekommen und bei Inhalten noch nicht angelangt.

Braucht Leipzig einen Digitalisierungsbeauftragten?

Dass Leipzig keine Digitalisierungsstrategie und auch keinen Digitalisierungsmanager hat, wird von PWC wieder mit Minus angekreidet: “Ein Digitalisierungsprozess ist ohne Strategie und Beauftragten zwar denkbar, doch werden dabei weder Ressourcen geplant noch die richtigen Projekte durchgeführt. Dies birgt die Gefahr des ‘Verzettelns’ und steht im Widerspruch zur notwendigen ganzheitlichen Herangehensweise für die Digitalisierung.”

Klingt einfach, kann aber auch dazu führen, dass alle 200 untersuchten Kommunen 200 verschiedene Digitalisierungsstrategien entwickeln. Es gibt tatsächlich noch kein überzeugendes Modell einer digitalen Kommune auf dem Markt. Und die schwerfälligen Aushandlungsprozesse in einer Stadtverwaltung lassen auch nicht vermuten, dass das Wunder hier von allein entsteht.

Die Prozente, die in der PWC-Studie verteilt wurden, kann man in den Wind pusten. Dazu sind die untersuchten Bausteine zu willkürlich gewählt und ergeben auch kein Ganzes. Womit PWC selbst deutlich macht, wo das Problem steckt – selbst die Wirtschaftsprüfer denken in den gerade opportunen Mode-Attributen der digitalen Entwicklung und in Versatzstücken.

Wie könnte ein echter digitaler Bürgerkontakt aussehen?

Wie könnte aber eine digitale Verwaltung für den Bürger tatsächlich aussehen? Müsste sie nicht wie ein freundlicher Empfangstresen sein, der in wenigen Schritten klärt, welche Wünsche der Besucher hat, was er tatsächlich braucht und wie er es auf schnellste und einfachste Art und möglichst digital gleich bekommt?

Und müsste nicht auch gleich bei Eintritt sichtbar werden, welche Bürgerbeteiligungen gerade geöffnet sind, wo und wie er mitmachen kann?

Das hat jetzt mit dem von PWC abgefragten Klimbim mal nichts zu tun. Wenn es um technischen Kram geht, ist Leipzig unter den deutschen Großstädten ganz gut dabei, verschnattert sich aber mit bunten Bildchen und Social-Media-Trallala viel zu sehr und vertut dabei eine Menge Zeit und Energie, die für einen wirklich ernsthaften Bürgerdialog fehlen. Und dass man die Facebook-Besucher über Himmelfahrt mit einem Gose-Spruch und einem schlafenden Affen beglückt, macht eigentlich eher deutlich, dass die “Social Media” zu allem Möglichen gut sind – nur nicht für einen ernsthaften Bürgerdialog.

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