LeserclubDabei wusste doch Herr L. nur zu gut, dass in drei Monaten kein Mensch mehr über die Panama-Papers reden würde. Das Thema würde einfach nur abmoderiert werden. Ein neuer Skandal würde die Leute beschäftigen. Panama? Nie gehört. Liegt das in Afrika? „Morgen, Herr L.“, knarrte eine Stimme am Telefon, als L. abnahm. Kannte er die?

Natürlich erkannte er sie. Eine Stimme, die in vielen Jahren in schäbigen Büros mit schäbigen Fällen und schäbigen Verdächtigen die ganze Bissigkeit eines alten, müden Beamten angenommen hatte, der früher mal zu viel geraucht hatte und später zu viel hinuntergeschluckt. Wenn er sich in die Haut des alten Kommissars zu versetzen versuchte, fühlte er sich sofort unbehaglich, dann zerrte es ihn zwischen den Schultern und ein leichter Grimm klopfte in seiner Brust. So einen Job hätte L. wohl nie bis zur Rente durchgestanden, ohne vorher so richtig auszurasten.

„Freut mich …“, wollte er sagen. Weil er sich wirklich freute. Der alte Knopf war ihm irgendwie sympathisch. Vielleicht auch nur, weil er sich genauso nicht zufrieden geben wollte mit den Dingen, wie sie da waren.

„Hören Sie auf mit dem Honig. Sie hätten meinen Kollegen nicht verärgern sollen.“

„Hab ich nich …“

„Haben Sie wohl. Das merken Sie nur nicht, Sie Sonntagspolizist, Sie.“

„Danke.“

„Nichts zu danken. Ich hab den ganzen Plunder aus der Asservatenkammer geholt.“

Schweigen. Schnaufen am anderen Ende.

„Sollten wir uns wieder treffen?“

„Gibt keinen Grund, junger Mann. Der Tote ist wirklich der Typ von Ihrem Foto. Und wenn Sie …“

„War doch nur so eine Vermutung.“

„Ihre Vermutung können Sie sich. Offiziell ist der Mann nämlich nicht tot.“

„Das heißt?“

„Er wohnt noch immer in einer schönen alten Villa an der Straße der Völkerfreundschaft, gießt seine Blumen und hat seit 25 Jahren keinen Eintrag im Polizeiregister, beachtet also eifrig alle Verkehrsregeln, gefährdet niemanden im Straßenverkehr, fällt nicht mit Drogen auf. Und so weiter.“

„Das schaffen nur Tote, Herr Kommissar.“

„Und ordentliche Staatsbürger, Herr L. Ich weiß nicht, ob Sie einer sind?“

„Haben Sie nicht nachgeschaut?“

„Es gibt auch noch Bürger, die sich an die Gesetze halten“, sagte der knurrige Alte. Und es klang genau so, als würde er sogar noch einen kennen. L. kannte keinen.

„August Miller? So ein Quatsch, Herr Kommissar. In der Villa wohnt kein Mensch mehr, der so heißt. Ich war extra dort.“

„Sie wissen selbst, was das heißt.“

„Ich ahne es zumindest: offizielle Anfragen nach Schwaben und St. Petersburg …“

„Wieso Schwaben?“

„Da ist zumindest seine hübsche kleine Firma registriert, die in den Panama-Papieren erwähnt wird. Sie erinnern sich?“

„Wollen Sie mich veräppeln?“

„Nicht im Traum, Herr Kommissar.“

„Er ist also in so ein schnuckeliges kleines Städtchen in Schwaben umgezogen? Warum haben sie das nicht gleich …“

„Weil es zwar die offizielle Firmenadresse gibt, aber man mir dort keine Auskunft gibt, wo Herr August Miller abgeblieben ist.“

„Und Sie glauben, er ist dort registriert?“

„Glaub ich nicht. Nur seine Firma führt dort ein beschauliches Dasein – irgendwie jedenfalls. Aber Genaueres will man mir dazu auch nicht sagen. Oder uns. Wir haben eine ziemlich lange Latte Fragen hingeschickt.“

„Wann? Heute früh?“

„Nein, das war schon letzte Woche, als das Ding mit den Panama-Papieren aufploppte.“

„Was für eine besch …“

„Nicht fluchen, Herr Kommissar. Ich kann Sie zu einem Kaffee …“

„Ich kann keinen Kaffee mehr sehn. Von meinem stinksauren Kollegen soll ich Sie jedenfalls grüßen.“

„Also freut er sich doch?“

„Vergessen Sie’s. Der hat jetzt die ganze Sache auf dem Tisch. Haben Sie schon mal bei russischen Behörden um Auskunft ersucht?“

„Och, dazu ist mein Russisch zu schlecht.“

„Ja, damit fängt’s an …“

„Und nun?“

„Nun schicken Sie alles, was Sie zu Artur Miller und seiner seltsamen Firma haben an meinen jungen, zornigen Kollegen im Revier. Ich gab Ihnen seine Telef…“

„Hab ich doch alles, Herr Kommissar. Und …“

„Kein und. Wenn er das Zeug nicht kriegt, schickt er Ihnen ein Rollkommando ins Büro.“

„Darf er gar nicht.“

„Wenn Sie wüssten …“

Und dann knackte es. Und wenn L. richtig zugehört hatte, war der alte pensionierte Polizist wirklich wütend. Aber auf eine vertrackte Art, weil einer seiner alten, unfertigen Fälle endlich auf eine Lösung zustolperte. Auf die er damals nie gekommen wäre, als er den jungen Reporter L. am Löwengehege zusammenstauchte. L. natürlich auch nicht. Wenn die Puzzle-Teile fehlen, ist man einfach aufgeschmissen, steht blöd da und kann einfach keine Geschichte erzählen. Aber weil er gerade selbst ein bisschen unter Dampf war, rief er gleich im Polizeipräsidium an und bekam den genannten Kollegen auch gleich an den Hörer.

„Schicken Sie das Zeug einfach per Mail. Bis Zehn, sollten Sie ja schaffen, ich …“

„Haltomomento, Herr Kollege!“

„Wollen Sie …“

„Natürlich will ich. Ich hab eine klitzekleine Bitte.“

„Ich bin nicht der Weihnachtsmann.“

„Och, bittebitte. Für mich dürfen Sie es sein. Ich bin auch ganz lieb.“

„Hab ich’s doch geahnt. Sie sind ein Honigkuchenpferd, hat er gesagt.“

„Wer, ihr alter Kollege?“

„Sagen Sie ihm nie, dass er alt ist. Da legt er sie aber übers Knie. Ich brauch aber den ganzen Kladderadatsch zu Basel …“

„Eher Schwaben. Ich schick das durch. Aber meine Bitte …“

„Ich werde hier keine Deals machen, das wissen Sie selbst.“

„Das ist kein Deal. Nur eine Bitte.“

„Und die wäre?“

„Ich brauche das Fahndungsbild von damals.“

„Das wurde nie veröffentlicht.“

„Weiß ich. Deshalb brauche ich es ja.“

„Und wozu?“

„Für die Titelseite natürlich.“

„Sie wollen damit …?“

„Natürlich. Oder wollen Sie nicht nach Zeugen suchen, die ihn vielleicht noch gekannt haben? Möglicherweise? Leute, die Ihnen noch ein bisschen mehr erzählen können?“

„Wissen Sie, dass die Akte im Archiv schön ruhig gelegen hat und niemanden gestört hat und kein Mensch danach gefragt hat?“

„Ich liebe solche Akten.“

„Schicken Sie das Zeug, aber ärgern Sie mich nicht.“

Zum zweiten Mal an diesem Morgen wurde aufgelegt, zischte wieder diese kleine, blaue Wut durch die Leitungen, die eigentlich eine traurige Wut ist, eine, die sich am liebsten in den Hintern beißen möchte. Weil jede neue Erkenntnis wieder neue zeit- und nervenraubende Arbeit bedeutete.

Aber solche Wut kannte L. Die ganze Stadt schien darin zu baden, als würde sie immerfort im gestrigen Tag festkleben, obwohl der morgige schon „Nun aber Galopp!“ rief. In Galopp geriet er dann selbst, als er schon einmal den Artikel für die nächste Ausgabe begann.

Wer war August Miller?

Polizei rollt den Fall des Toten im Löwengehege wieder auf

Ein Toter hat endlich einen Namen. Niemand kannte ihn, als sein Leichnam am x.x. im Freilaufgehege des schönen Tierparks unserer Stadt gefunden wurde, der damals noch längst nicht wieder so schön war wie heute. Daran erinnern sich ja die meisten Bürger dieser Stadt, aber auch einige jener Menschen, die damals als Kind an einem schönen Sommermorgen zu den Löwen gehen wollten und dann von einem Kordon strenger Polizisten aufgehalten wurden. Denn im Gehege lag ein Toter. Regelrecht zerfleischt, kaum noch erkennbar, dass er eigentlich in teure Markenware gekleidet war, drei echte Goldzähne im Mund hatte und womöglich ein Geschäftsmann war, den die Goldgräberzeiten in das L, dieser frühen und manchmal so kriminellren Jahre gelockt hatte.

Bei ihm wurden keine Papiere gefunden, kein persönlicher Gegenstand, die auch nur andeutungsweise verrieten, wer er war und was er in L. getan hatte. Geschweige denn irgendeine verwertbare Spur, die auf seine möglichen Mörder hinwies. Denn die geliebten, alterströgen Wappentiere unserer Stadt waren es nicht. Das war schon damals klar, als Kommissar X. vor dieser rätselhaften Leiche stand, nicht ahnend, dass er erst 25 Jahre später erfahren sollte, wie der Mann hieß.

Seit gestern hat der Mann einen Namen und ein Gesicht …

„Geht’s noch“, brummte Kollege Stachelschwein in seinem linken Ohr. Er hatte schon mitgelesen, als L. in seinen Text vertieft drauflos gerattert hatte. Seine Hose hatte der Kollege tatsächlich gewechselt, hatte sogar extra den gehätschelten Anzug angezogen, den er „für alle Fälle“ immer im Büroschrank hängen hatte, sah also – für seine Verhältnisse – recht schnieke aus.

„Was willst du …“

„Ich hab jetzt Termin beim Bürgermeister. Ich zieh ihm die Geschichte aus der Nase, das versprech’ ich dir.“

„Und das Problem?“

„Wer von uns, glaubst du, kriegt jetzt die Titelseite?“

„Wir können ja würfeln.“

„Ich würfle nicht mit dir“, brummte Stachelschwein. Aber den Spruch „Wer ist hier der Boss?“ hatte er sich schon vor Jahren verkniffen. Und auch da hatte er es eher nur als kleine Bosheit betrachtet, den jüngeren Kollegen noch zu ein wenig mehr Eifer im Beruf anzustacheln. „Ohne Ehrgeiz wirste hier nix“, war noch so ein Spruch aus vergangenen Zeiten, als sie sich tatsächlich zuweilen um den Platz auf der Titelseite gestritten hatten.

Mittlerweile aber waren recht trübe Zeiten, wie ja jeder wusste. Der Platz auf der Titelseite war knapper geworden und die großen Tiere in dieser Stadt hatten eine Menge lässiger Ausreden erfunden, warum sie mit den Herren von dieser Zeitung nicht wirklich gern einen Termin finden wollten. Wer nahm denn Zeitung noch ernst heutzutage? Musste man das?

Das war der Punkt, an dem sich L. mit seinem bärbeißigen Kollegen irgendwann ziemlich einig war: Sie würden alles dafür tun, dass ihre Zeitung noch ernst genommen würde, egal, mit wie viel Verachtung die Herren in den schönen Büros auf sie herabschauten. Sie hatten das Blatt allesamt noch im Abonnement. Und immer noch kamen regelmäßig Schreiben diverser Justiziare, die darum baten, dies und jenes bitte sofort zu korrigieren und eine entsprechende Richtigstellung abzudrucken, sonst werde man sich diverse juristische Schritte vorbehalten.

Meist war es dann Kollege Stachelschwein, der den Justiziar anrief und anfragte, ob er die Schriftstücke bekommen könne, die belegten, dass etwas an ihrem Bericht falsch gewesen sei.

Die bekam er nie.

Nur anfangs mehrere Vorladungen vor Gericht. Das war dann teuer geworden. Und endete jedes Mal damit, dass keine Richtigstellung erschien, weil alles stimmte. Und dann rief meist der Justiziar an und bat darum, dass keine Richtigstellung geschrieben wurde.

Seitdem war der gegenseitige Respekt zwar nicht gewachsen. Es gab auch kein freundlicheres Entgegenkommen bei Anfragen und Terminwünschen.

Man belauerte sich eher. Und wartete ab.

„Die Titelseite kriegst du nur, wenn du einen richtig hungrigen Löwen als Bild hast …“

„Aber die Löwen haben damit doch nichts zu tun!“

„Wissen das die Leute? Die kaufen blutrünstige Löwen, aber doch keine armen Kerle, die kein Schwein kennt …“

„Und du willst einen hungrigen Bürgermeister mitbringen?“

„Eher einen, der grinst wie ein Streuselkuchen.“

„Du glaubst nicht, dass er wütend ist wie ein Walross?“

„Das kann schon sein. Aber das kommt diesmal ganz schlecht an. Ich wette eher, dass er ganz treuherzig guckt. Wie ein Dackel. Und von nichts was gewusst.“

„Kann ich auch.“

„Kannst du nicht. Gib dir keine Mühe.“

Aber da war Kollege Stachelschwein schon aus der Tür. Nur Streuselkuchen gab’s keinen im Büro. Dafür ein liebevoll garniertes Brötchen mit Radieschen obendrauf. In Herzform geschnitten. Werde einer schlau aus diesen Frauen.

Die ganze Geschichte zum Nachlesen.

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