Auf die Idee muss man erst mal kommen: Die Reichweiten westdeutscher Fernsehprogramme im Osten zu erfassen und das mit der Bereitschaft, Unternehmen zu gründen, zu vergleichen. Der Ansatz, den Viktor Slavtchev, Ökonom am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), und sein Co-Autor Michael Wyrwich für eine Studie gewählt haben, ist pfiffig. Aber was sagt das Ergebnis wirklich aus? Dass Fernsehen Unternehmer macht? Nicht wirklich.

Die Meldung dazu veröffentlichte am Dienstag, 20. Februar, das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Der Ansatz: Unternehmensgründungen schaffen Arbeitsplätze und treiben die Entwicklung einer Marktwirtschaft voran. Über welche Kanäle der Unternehmergeist in den Menschen aber überhaupt geweckt wird, damit beschäftigten sich Slavtchev und Wyrwich in ihrer Studie. Ihr Ergebnis: Auch das Fernsehen kann die dafür passenden Werte vermitteln.

Mit Betonung auf kann: Nämlich dann, wenn es im Informationskosmos eine Ausnahmerolle spielt.

Das Forschungsfeld: Für ihre Analyse verglichen die Ökonomen die Unternehmensaktivität in ostdeutschen Regionen, die West-Fernsehen empfangen konnten, mit solchen, die diese Möglichkeit nicht hatten.

Die These: „Menschen schöpfen Nutzen nicht nur aus messbaren Faktoren, wie beispielsweise dem Einkommen, sondern auch aus ihrem eigenen Verhalten. Sie fragen sich beispielsweise, ob ihr Verhalten zur eigenen (idealen) Selbstwahrnehmung passt. Anders formuliert: Wie ein Mensch sich selbst wahrnimmt, beeinflusst dessen Verhalten und entsprechend auch die Wahl seines Berufs. Andererseits kann das Fernsehen die eigene Identität beeinflussen, indem es Bilder mit bestimmten Verhaltensweisen, Werten und Präferenzen vermittelt.“

Die besondere Ausgangslage: „Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland in die marktwirtschaftliche BRD und die sozialistische, planwirtschaftlich organisierte DDR geteilt. In einigen ostdeutschen Regionen konnten die Menschen aber Westfernsehen empfangen, das seinerseits Werte, Verhaltens- und Sichtweisen transportierte, die zum Bild eines ideologisch und wirtschaftlich freien, sich selbst bestimmenden Individuums passten und entsprechend in Einklang mit einem der Hauptmotive für Unternehmertum standen.“

Die besondere Situation: Während in größeren Teilen der DDR Westfernsehen empfangbar war, war der Zugang zu Printprodukten radikal eingeschränkt. „Spiegel“ und F.A.Z. hatten also nicht viele Möglichkeiten, im Osten den Unternehmergeist anzuregen. Oder gar ein Gegengewicht gegen die propagierte Verachtung des Unternehmertums herzustellen. Oder gar Bilder zu schaffen, die Menschen als selbstbestimmte Individuen zeigen, die mit eigenem Engagement ein Unternehmen auf die Beine stellen.

Man hat es also mit erlebbaren Vor-Bildern zu tun.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass für den Zeitraum nach der deutschen Vereinigung 1990 und der Wiederherstellung der freien Marktwirtschaft in Ostdeutschland, die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, ein Unternehmen zu gründen, 9 bis 10 Prozent höher unter denjenigen Einwohnern von Regionen ist, die Westfernsehen empfangen konnten gegenüber denen, die diese Option nicht hatten“, interpretiert Slavtchev die Ergebnisse. Darüber hinaus sei erstaunlich, „dass dieser Unterschied mit der Zeit nicht zu verschwinden scheint. Junge Menschen, die nach 1980 in ostdeutschen Regionen mit Zugang zu Westfernsehen geboren wurden, sind gründungsfreudiger als gleichaltrige Kohorten in anderen ostdeutschen Regionen. Das weist darauf hin, dass das Fernsehen eine Kultur nachhaltig formen kann.“

Man merkt schon: Die Studie hat ihre kleinen Schwachstellen. Denn die Regionen, in denen in DDR-Zeiten Westfernsehen nicht empfangbar war, sind auch heute noch großenteils strukturschwache Regionen. Was auch wieder mit der Entfernung und der logistischen Anbindung zu den westlichen Bundesländern zu tun hat.

Aber zumindest legt die Studie wieder den Finger auf einen Aspekt, der bei Unternehmensförderung heute meist vergessen wird.

Denn: Die aktuelle Unternehmenspolitik ist typischerweise darauf ausgerichtet, Jungunternehmer durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen zu unterstützen, indem sie zum Beispiel die physische, finanzielle oder rechtliche Infrastruktur bereitstellt und verbessert.

„Aber unsere Ergebnisse zeigen, dass auch die kulturellen Dimensionen inklusive transportierter Vorbilder große Auswirkungen auf menschliches Verhalten haben können“, so Slavtchev. „Politiker, die ein positives Image für Unternehmer aufbauen und das Bewusstsein für Unternehmertum fördern wollen, müssen diese Dimension mitberücksichtigen.“

Medien können also durchaus dazu beitragen, ein positives und erstrebenswertes Bild von Unternehmern zu zeichnen und junge Menschen dazu animieren, sich mit einer Gründung auch selbst zu bestätigen.

Aber auch hier liegt ein Problem, denn Medien allein können die Rahmenbedingungen nicht verändern, die das Gründen in Deutschland zu einem Risiko-Unternehmen macht, weil finanzielle Rücklagen oder Risiko-Kapital fehlen oder nur für Unternehmensgründungen zur Verfügung stehen, die von den Fördergeldverwaltern begriffen werden können. Da hilft auch das Fernsehen nicht weiter, wenn ein ganzes Land mitsamt seiner verängstigten Bürokratie jedes Risiko scheut und neue Geschäftsideen eher als Gefahr betrachtet.

Das Ergebnis kennen die heutigen Berufsberater: Junge, gut ausgebildete Menschen bevorzugen lieber sichere Jobs, auch wenn sie nur scheinbar sicher sind und für Kreativität und Unternehmergeist dort kein Platz ist. Die meisten wollen in den „sicheren“ öffentlichen Dienst.

Und was natürlich auch als Ergänzung fehlt: Welches Unternehmerbild vermitteln Fernsehsender heute eigentlich? Und warum wirkt das schlechter als das aus DDR-Zeiten?

Die Sache ist ein bisschen komplexer. Aber bestimmt lohnt es sich auch für Fernsehmacher, darüber einmal etwas intensiver nachzudenken.

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