News Deserts, also Nachrichtenwüsten – so werden in den USA mittlerweile Gebiete genannt, in denen es keine Lokalzeitung mehr gibt. Weder digital noch gedruckt. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) malt eben solch ein düsteres Bild auch für Deutschland. 2025 sollen rund 4.400 Kommunen von keiner Lokalzeitung mehr beliefert werden können. Damit würden 40 Prozent aller deutschen Gemeinden zur Nachrichtenwüste werden.

Vier von fünf Verlagen verzeichnen Verluste

Doch wo nun ein Ende zu sein scheint, gab es auch mal einen Anfang: In den 1950er Jahren wurden in Deutschland unzählige Lokalzeitungen gegründet. Während es 1960 noch 482 regionale Blätter gab, sank die Zahl bis heute drastisch. Allein in den vergangenen zehn Jahren verschwanden zwanzig Zeitungen von der Bildfläche.

Zwar ist das unter anderem auf Zusammenschlüsse und Aufkäufe großer Verlage zurückzuführen. Doch ein Blick auf die Auflagen offenbart, dass die gedruckte Zeitung in eine enorme Schieflage geraten ist: 1995 wurden noch insgesamt 18,1 Millionen Exemplare aller Lokalzeitungen gedruckt.

Mittlerweile ist es ungefähr die Hälfte (9,5 Millionen). Anlass dafür sind vor allem die hohen Energie-, Kraftstoff- und Papierkosten, was die Zeitungszustellung in weiten Teilen des Landes und insbesondere im ländlichen Raum unwirtschaftlich macht.

Eine neulich veröffentlichte Umfrage des Bundesverbands der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) offenbart, dass 2022 vier von fünf Verlagen Verluste bei gedruckten Zeitungen nicht ausgleichen konnten. Das Fazit der Verleger: Fast zwei Drittel spielen mit dem Gedanken, die Zustellung in unwirtschaftlichen Bereichen einzustellen; fast die Hälfte will nötigenfalls die Zustellqualität reduzieren.

Und der „Umstieg ins Digitale“ ist leider auch nicht das Allheilmittel.

4.400 Kommunen ohne lokale Berichterstattung

Zwar bemühen sich derzeit viele Verlagshäuser bereits, digitale Angebote zu entwickeln. Hier tun sich laut dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) aber zwei gravierende Probleme auf.

Zum einen ist durch die gleichzeitig sinkende Zahl der Abonnent/-innen auch dieses Modell oft nicht wirtschaftlich. Vor allem in Zeiten vermehrter Krisen, der Inflation und steigender Energiepreise weichen viele Leser/-innen auf kostenfreie Angebote im Internet aus. Genau wie in der Gastronomie und Tourismusbranche verzichten sie hier im Zweifel auf den Konsum und damit auf eine lokale Berichterstattung.

Außerdem rechnet der BDZV vor, wie langwierig der digitale Umstieg ist. Mit Blick auf digitale Bezahlangebote gebe es eine Übergangslücke von mindestens fünf Jahren. Frühestens fünf Jahre nach der Umstellung greife das Geschäftsmodell. Eine Zeit, die viele Verlage und Redaktionen nicht überstehen würden, sagt der Verband.

Das zweite Problem: Ältere Leser/-innen haben oft weder die Kompetenz noch den Willen, von der gedruckten auf die digitale Version umzustellen. Hinzu kommt, dass es bis heute in Deutschland vielerorts „an der notwendigen Netzabdeckung mangele“, so der BDZV.

Wurden 2014 noch alle 11.000 deutschen Gemeinden von einer Lokalzeitung abgedeckt, war dies 2020 schon in 720 Kommunen nicht mehr möglich. Dieser Versorgungsengpass soll bis 2025 rund 4.400 Kommunen betreffen – mit verheerenden Auswirkungen.

Was passiert, wenn niemand hinschaut

Denn mit der Lokalzeitung verschwindet mehr als ein Stück Kultur. Medien- und Politikwissenschaftler/-innen gehen so weit und sehen in dieser Entwicklung eine Gefahr für die Demokratie. Wer soll noch über Wahlkampf und Kommunalpolitik berichten?

Im Januar 2022 verkündete die Südwestdeutsche Medienholding, dass sie bei der Stuttgarter Zeitungsgruppe rund 20 Prozent der Redakteur/-innen entlassen muss. Wenig später erreicht die Medienholding ein dreiseitiger Brief; unterschrieben von fünf Landrät/-innen der Region, die Bedenken und Bitten äußern:

„Auf kommunaler Ebene entscheidet sich, was Bürgerinnen und Bürger in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld betrifft. Damit die Bevölkerung begreift, was vor Ort geschieht und sich darüber eine fundierte Meinung bilden kann, benötigt es eine umfassende, sorgfältige und ausgewogene Berichterstattung.“ Das können laut Schreiben weder Pressemitteilungen noch Behörden-Webseiten ersetzen.

Das Titelblatt der 111. und letzten Printausgabe der LZ, März 2023. Foto: LZ
Das Titelblatt der 111. und letzten Printausgabe der LZ, März 2023. Foto: LZ

Wendet man den Blick noch weiter westlich als Stuttgart, zeigen Studien, dass die Schließung von Lokalblättern das Leben der Bürger/-innen auch teurer und gefährlicher machen kann. Die Ökonomen Jonas Heese, Gerardo Pérez Cavazos und Caspar David Peter untersuchten, wie sich Kommunen entwickeln, wenn die Journalist/-innen die Stadt verlassen haben.

Das Ergebnis: Betrugsfälle und Finanzvergehen nahmen zu, genauso Verstöße gegen das Arbeitsschutzrecht und Umweltauflagen. Die von Behörden verhängten Bußgelder gegen Firmen stiegen um durchschnittlich 36 Prozent. Das lässt auch die Kosten der öffentlichen Verwaltung steigen.

Auch in Sachsen ist das Problem mittlerweile auf dem Tisch des Medienministers angekommen. Nach einem Treffen mit Vertreter/-innen von Branchenverbänden und -verlagen sagte Oliver Schenk (CDU):

„Ein Blick ins Ausland zeigt, was passiert, wenn es in weiten Teilen des Landes überhaupt keine regionale Zeitung mehr gibt. Die Folgen sind ein Nachlassen der politischen Bürgerbeteiligung, ein Rückgang der öffentlichen Kontrolle von Verwaltungen und Unternehmen, die Radikalisierung des öffentlichen Diskurses durch die Bildung von Filterblasen und damit verbunden die Manipulation der politischen Willensbildung – dem Herzstück jeder Demokratie.“

Keine Hilfe aus der Politik

Gemeinsam mit seinem nordrhein-westfälischen Amtskollegen Nathanael Liminski (CDU) forderte Schenk den Bund auf, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um das Sterben der Lokalzeitungen zu verhindern.

Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung vereinbart, sich dafür einzusetzen, die flächendeckende Versorgung mit Lokalzeitungen zu gewährleisten. Seither ist vonseiten des Bundes aber wenig unternommen worden.

Eine Ende 2021 vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie zur „Erforderlichkeit und Möglichkeit einer Bundesförderung der Pressewirtschaft“ wurde bislang nicht veröffentlicht. Auch die Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung ist nicht geklärt und im Bundeshaushalt wurden bislang keine Mittel eingestellt.

Das Problem mit den Daten

Welche Gemeinden am ehesten bedroht sind und wo gerade schon „News Deserts“ entstehen, weiß niemand so genau. Wie in vielen Bereichen gibt es auch hierzu in Deutschland keine Daten. Der Zeitungswissenschaftler Horst Röper hat jahrelang die Medienkonzentration in Deutschland analysiert, vor Monopolstellungen von Verlagen und dem Verlust der Medienvielfalt gewarnt.

Mit seinem Team stellte er mehrere Anfragen an die Bundesländer, um Entwicklungen der Zeitungslandschaft abbilden zu können. Diese Daten oder gar eine systematische Analyse über das Zeitungssterben in Deutschland gibt es laut Röper nicht. Man muss ein Problem bekämpfen, dessen Ausmaße man nicht kennt.

Der Artikel „Prognose: Nachrichtenwüsten – bis 2025 sind rund 40 Prozent der deutschen Gemeinden ohne Lokalzeitung“ erschien erstmals am 31. März 2023 in der aktuellen Printausgabe 111 der Leipziger Zeitung (LZ) und letztmals in dieser Form.

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