Großes kündigt sich an im Leipziger Stadtmuseum zum Jubiläumsjahr 2015: Am 20. Mai soll im Alten Rathaus die neue Ausstellung "1015. Leipzig von Anfang an" eröffnen und endlich auch die archäologische Geschichte der Stadt zeigen. Ein Kleinod aber ist ab heute schon in alter neuer Schönheit zu besichtigen: das Stadtmodell von 1822.

Für knapp 100.000 Euro wurde das von Johann Christoph Merzdorf geschaffene Stadtmodell im vergangenen Jahr restauriert, tiefergelegt, mit Strahlern und Touchscreens versehen. Und selbst die Mitarbeiter des Stadtgeschichtlichen Museums hatten nicht damit gerechnet, was dabei alles zum Vorschein kommen würde.

Immerhin hat das Modell seit 1909 im Stadtmuseum gestanden, die Blicke der Neugierigen und jede Menge Staub gesammelt. Zwischendurch gab’s auch noch das Drama des 2. Weltkrieges. Dabei erlitt das Modell Wasserschäden, etliche der winzigen Pappdächer hatten sich verzogen. Aber auch vorher schon war das 25 Quadratmeter große Kunstwerk vielen Strapazen ausgesetzt. Für die ersten hatte es Tapezierer und Möbeltischler Johann Christop Merzdorf (1778 – 1843) auch gebaut. 1816 schon hatte er ein in Arbeit befindliches Modell der Stadt gekauft, war aber mit den Proportionen völlig unzufrieden. Er hatte wirklich vor, ein originalgetreues Modell seiner Heimatstadt zu schaffen, an dem jedes Detail stimmte. Na ja, fast jedes.

Dafür beauftragte er extra einen Geodäten aus Wien, Michael Putz, der für ihn die komplette Innenstadt, sämtliche Häuser, Höfe und Straßen vermaß – und so nebenbei die Leipziger Hausbesitzer erschreckte, die nun glaubten, der hohe Magistrat plane die Einführung einer Fenstersteuer.

Das Alte Rathaus im Stadtmodell. Foto: Christoph Sandig, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Foto: Christoph Sandig, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Drei Jahre dauerte die Arbeit an diesem einmaligen Modell, für das Merzdorf und seine Helfer vor allem Naturmaterialien verwendeten: Moose, Hölzer, Gräser und – für die Gebäude – selbstgefertigte Pappen. Denn das Modell sollte so leicht wie möglich und transportabel sein. Deswegen besteht es auch aus sechs einzelnen Teilen, so dass es auseinandergenommen und kompakt transportiert werden konnte. 1820 konnte zum ersten Mal ein Teil des Modells gezeigt werden. 1822 war es fertig und wurde zur Michaelismesse im Herbst 1822 erstmals präsentiert. Gegen Eintritt natürlich. Merzdorf, der sich das Projekt hatte 5.000 Taler kosten lassen, wollte Geld damit verdienen, hoffte auf üppige Einnahmen bei Ausstellungen auf Messen. 1824 reiste das Modell nach Berlin und danach noch in andere Städte Deutschlands. Später war es in einer Dauerausstellung am Rossplatz zu sehen. Aber schon 1825 verkaufte Merzdorf das Modell für 2.500 Taler. Es hatte nicht die Einnahmen gebracht, die er sich versprach. Später war das Kunstwerk mit Schaustellern auf Achse. 1874 fand es der Verein für Geschichte Leipzigs, konnte es für 50 Taler auslösen, ließ es restaurieren und in den ersten Ausstellungsräumen des Vereins im Alten Johannishospital ausstellen, bevor es 1909 ins Alte Rathaus kam.

All das hat natürlich seine Spuren hinterlassen. Aber das Stadtgeschichtliche Museum hatte Glück. Sybille Thiel von Modellbau Henschel (Leipzig) hielt eine Restaurierung des Modells für möglich. Trotz aller Skepsis. So bekam das Mini-Leipzig von 1822 nach fast 200 Jahren zum ersten Mal eine umfassende Restaurierung, wurden alle Straßen und Häuser von jahrhundertealtem Staub befreit, wurden Dächer abgehoben und Strukturen freigelegt, die unter der Staubschicht schon nicht mehr zu erkennen waren. “Und die kleine Überraschung dabei war, dass uns die Modellbauer von damals lauter kleine Botschaften hinterlassen haben”, verrät Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp. “Als die Modellbauer einige Dächer abnahmen, kamen lauter kleine Zettelchen zum Vorschein.”

Von Westen über das restaurierte Stadtmodell von 1822 geschaut. Foto: Ralf Julke
Foto: Ralf Julke

Es tauchten aber auch Schornsteine und Erker wieder auf, die im Lauf der Zeit abgefallen waren. Restaurierungsversuche aus DDR-Zeiten konnten wieder beseitigt werden, Dächer wurden geflickt und Bäume gepflanzt. “Über 500 Stück”, verrät Rodekamp. Die waren im Model schon lange nicht mehr zu sehen. “Wahrscheinlich haben sich ein paar Leute zur Erinnerung immer mal so ein Bäumchen mitgenommen.” Deswegen waren die großen Gärten rund um die Stadt regelrecht kahl. Das fällt auf, wenn man jetzt das Stadtmodell sieht, eingebettet in die Pracht der baumbestandenen Gärten.

Es ist ja das Leipzig kurz nach der Völkerschlacht. Die mittelalterlichen Mauern und Gräben sind weitgehend verschwunden, doch die Stadt ist noch nicht wirklich über ihr altes, mittelalterliches Ursprungsgelände hinausgewachsen. Die Kerne der Vorstädte im Süden und Osten aber existieren schon. Die Stadt setzt gerade an, über ihre alten Grundmauern hinauszuwachsen. Auch die alten bürgerlichen Prachtgärten existieren noch. Merzdorf hat einen geradezu idealen Moment der Stadtgeschichte erwischt, als er dieses Stadtmodell mit modernen Vermessungsmethoden erschuf.

Manche Entdeckung hat jetzt auch wieder die Stadthistoriker bereichert. Denn in fast allen Teilen ist das Modell die verlässlichste Quelle zur Leipziger Bausituation im Jahr 1822. Eine Ausnahme stellt freilich die Funkenburg dar, die weder dort lag, wo sie im Modell zu sehen ist, noch so aussah. “Da haben wir schon diskutiert, ob wir den Fehler beheben sollen. Aber wir befanden: Das steht uns einfach nicht zu”, sagt Rodekamp.

Die Funkenburg, die normalerweise weit außerhalb des Modells zu suchen wäre, blieb drin. Vielleicht hat Merzdorf damit auch seinen ganz eigenen kleinen Spaß mit ins Modell gebaut. Quasi als Rätsel für all die Leute, die glauben, Leipzig zu kennen wie ihre Westentasche.

Blick ins Modell durch eine derf Glasscheiben von Süden her. Foto: Ralf Julke
Foto: Ralf Julke

Welche Arbeit Merzdorf und seine Helfer da geleistet haben, hat Rodekamp seine heutigen Projektauftragnehmer einmal schätzen lassen. Sie kamen auf 12.000 bis 15.000 Arbeitsstunden. Für heutige Zeiten also ein praktisch unbezahlbares Projekt.

Jetzt ist es für Besucher des Alten Rathauses noch besser zu sehen. Es ist jetzt wesentlich tiefer gelegt, so dass man deutlich mehr von den Strukturen der kompakten Stadt sehen kann. Die Farben wirken frischer, auch wenn man vermieden hat, die Häuser neu zu tünchen. Das Präsentationsmöbel, in dem das Modell nun steht, besitzt zudem rundum auch Glasscheiben, durch die man auch aus Kinderperspektive in die Stadt hineinschauen kann. Zudem sind 48 Leuchtstrahler in das Möbel integriert, die man mit einzelnen Tasten aktivieren kann: Sie beleuchten gezielt wichtige Bauwerke in der Stadt. Und per Touchscreen kann man dann auch noch vertiefende Informationen zu dem, was man da sieht, abrufen.

In der nächsten Zeit bekommt das Modell auch noch einen abhebbaren Überzug, unter dem es künftig immer dann verschwindet, wenn die Ausstellung nicht geöffnet ist.

Noch nicht fertig ist das Angebot für Blinde und Sehbehinderte. Das soll am “Tag des weißen Stockes” am 15. Oktober fertig sein: eine taktile Möglichkeit, die alte Stadtstruktur von 1822 tastend zu erkunden. Vier Tastreliefs sollen diese Stadterkundung mit den Fingerspitzen ermöglichen. Außerdem soll es auch noch einen zweisprachigen Audioguide geben (deutsch und englisch). Und natürlich ein Buch, eine Publikation, die alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, die man in der einjährigen Arbeit am Modell gewonnen hat, umfasst. Das Buch soll in den nächsten Wochen fertig sein, vielleicht sogar rechtzeitig zur neu gestalteten Ausstellung im ersten Geschoss des Alten Rathauses, der Beletage, wie es Rodekamp nennt.

Ganz offiziell wird das restaurierte Stadtmodell, das nun wieder 200 Jahre seinen Dienst tun soll, am heutigen Donnerstag, 2. April, im Alten Rathaus präsentiert.

Um 17 Uhr laden das Stadtgeschichtliche Museum und sein Förderverein, die Hieronymus-Lotter-Gesellschaft, die die Hälfte der Kosten für das Modell übernommen hat, ein zur öffentlichen Präsentation.

Es sprechen Museumsdirektor Dr. Voker Rodekamp, Finanzbürgermeister Torsten Bonew (der ja auch 2015-Beauftragter der Stadt Leipzig ist), und Dr. Jutta Kreitz als stellvertretende Vorsitzende der Hironymus-Lotter-Gesellschaft. Anschließend stellen alle beteiligten Gewerke ihre Arbeit am Projekt “Restaurierung Stadtmodell” vor. Und Musik gibt es auch noch.

Termine:

2. April, 17 Uhr Präsentation des restaurierten Stadtmodells

6. Mai, 25. Juni, 16. Juli, 13. August und 17. September, jeweils 17 Uhr, öffentliche Führung “Erlebnis Stadtmodell”

15. Oktober, 17 Uhr: Die Tastreliefs am Stadtmodell werden vorgestellt.

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