Ab Samstag, 26. September, ist die neue Ausstellung der HALLE 14 geöffnet: „BIG D@T@! BIG MON€Y!“ Sieben Künstlerinnen, Künstler und Kunstkollektive präsentieren sich mit Arbeiten, die sich mit der Ökonomie der Daten- und Finanzindustrie auseinandersetzen. Durch die zunehmende Digitalisierung unseres Alltags, durch unsere digitalen Spuren im Internet und Kryptowährungen beginnen bereits heute, Persönlichkeitsprofile und Geld zu verschmelzen.

Diese Entwicklung wird unsere Welt grundlegend verändern. Es stellt sich unter anderem die Frage, ob sich diese Potentiale als eine geldlose, freie Gesellschaft oder als digitaler Kontrollstaat verwirklichen.

In seinem sehr persönlichen Videoessay „databody“ geht der Leipziger Medienkünstler Francis Hunger anhand von zwei Jahrzehnte auseinanderliegenden Besuchen in Sankt Petersburg der Frage nach, wie sich durch die Digitalisierung die Art und Weise, wie wir Städte und uns in ihnen erleben, verändert hat.

Der Leipziger Fotokünstler Falk Messerschmidt gab in China ein Remake des idyllischen Gemäldes „Adam und Eva im Garten Eden“ (1828) von Thomas Cole in Auftrag, wobei er die Bergkette im Hintergrund dem Volatility Index (VIX) – an der Börse auch Angstbarometer genannt – in den Jahren der Finanzkrise (2007-09) anpasste.

Die in Berlin und Barcelona lebende Künstlerin Joana Moll macht in ihrem Projekt „The Hidden Life of an Amazon User“ (2019) anhand der Onlinebestellung der Autobiografie des reichsten Mannes der Welt, Amazon-Gründer Jeff Bezos, sichtbar, was Amazon-Nutzern verborgen bleibt: Die Unmengen an Code (8.724 Seiten Programmiertext), Daten (87,33 MB) und Energie (30 Watt), die für diesen Prozess aufgewendet werden und unter anderem der Aufzeichnung der Nutzeraktivitäten dienen.

Mit seinen Rechercheprojekten versucht auch der Wiener Autor und Künstler Gerald Nestler Licht ins Dunkel der Black Box zu bringen, als die sich der Finanzmarkt für viele darstellt. In seinen Videos und Aktionen lässt er Finanzmarktexperten und weitere Personen zu Wort kommen oder erläutert anhand des Flashcrashs von Mai 2010 den Hochfrequenzhandel. Seinen spielerischen Umgang mit den Themen setzt er in Textarbeiten, Objekten und Zeichnungen fort.

Das französische Kunstkollektiv RYBN.ORG hat einen Handelsroboter programmiert, der seit 2011 auf Finanzmärkten selbstständig investiert und spekuliert. Seine auf künstlicher Intelligenz basierenden Algorithmen erlauben es ihm, Trends in den Schwankungen des Finanzmarkts zu erkennen und seine Entscheidung auf Basis eigener Vorhersagen zu fällen. Er verfügt über 10.000 USD und operiert bis zu seiner unvermeidlichen Insolvenz.

Die britische Künstlerin Suzanne Treister hat mit ihrem Projekt „HFT – The Gardener“ einen weitläufigen Geschichtenkosmos rund um einen Hochfrequenzhändler geschaffen, der beginnt, mit Drogen zu experimentieren. Nachdem er seinen Job verliert, entwickelt er sich erst zum erfolgreichen Außenseiterkünstler, der mittels Zahlenmystik Parallelen zwischen psychoaktiven Pflanzen und börsendotierten Unternehmen herstellt, und dann zu einem Techno-Schamanen, der mithilfe von Algorithmen das Universum beeinflussen will.

Der „Data Shop“ des spanisch-estländischen Duos Varvara & Mar veranschaulicht den virtuellen Handel mit personenbezogen Daten als Supermarkt. In kleinen Konservendosen kann man hier Datensalat, Datenerdnüsse, Datensahne und vieles mehr erhalten.

Bereits im Vorfeld der Ausstellung hatte die HALLE 14 ein Arbeitsstipendium ausgeschrieben, auf das sich insgesamt 27 Künstlerinnen und Künstler aus 15 Ländern bewarben. Eine unabhängige Jury hat Magali Desbazeille und Yonlay Cabrera ausgewählt, ihre Projekte weiterzuentwickeln.

RYBN.ORG, ADM8. Foto: RYBN.ORG
RYBN.ORG, ADM8. Foto: RYBN.ORG

Die französische Performancekünstlerin Magali Desbazeille interessiert sich für die Sprache und Zeichen wie Sterne, Likes, Smileys, Daumen und Skalen, mit denen Inhalte und Informationen im Internet bewertet und eingestuft werden. Dabei stellt sie die Frage, wer diese scheinbar objektiven Systeme entwickelt und wem sie nützen? Als Ergebnis ihres Projekts sollen eine Installation und eine Performance entstehen.

Der in Japan lebende kubanische Medienkünstler und -designer Yonlay Cabrera möchte in seinem Projekt testen, wie viel Kontrolle über unser Leben wir bereit sind, an Systeme künstlerischer Intelligenz abzugeben. Er schlägt vor, dafür u. a. die vorhandene Infrastruktur einer Crowdfunding-Plattform zu nutzen.

Im Rahmen der Ausstellung finden unterschiedliche Kunstvermittlungsworkshops und -projekte für Schulklassen, Kinder und Jugendliche statt. In spielerischen Formaten erleben die Teilnehmenden, wie wir über unsere Datenspuren im Netz zur Ware werden und welchen Einfluss die Informationsgesellschaft auch auf unser analoges Leben hat. Interessierte Schulklassen können sich unter kunstvermittlung@halle14.org anmelden.

Außerdem lädt das Kollektiv gruppe tag vom 26. bis 28. November zur Performance „Überwachen und Strafen“ ein, in der die Gäste einen interaktiven Parcours aus Bewertung und Belohnung durchlaufen. Die Daten treten auf, die Gäste treten an: Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Freiheit, mal unanständig zu sein.

Die Ausstellung wird gefördert von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und der PwC-Stiftung und erhält freundliche Unterstützung durch das Bureau des arts plastiques des Institut français und des französischen Kulturministeriums sowie das Österreichische Kulturforum Berlin.

Gerald Nestler, CONTINGENT ETHICS. Portraits of a Philosophy Series II. Haim Bodek, 2014. Filmstill: Gerald Nestler
Gerald Nestler, CONTINGENT ETHICS. Portraits of a Philosophy Series II. Haim Bodek, 2014. Filmstill: Gerald Nestler

Zu sehen sein wird „BIG D@T@! BIG MON€Y!“ in der HALLE 14 – Zentrum für zeitgenössische Kunst (Leipziger Baumwollspinnerei, Spinnereistr. 7) vom 26. September bis zum 5. Dezember 2020.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr (ab November: Dienstag bis Samstag, 11 bis 18 Uhr). Eintritt: 4 Euro/ermäßigt 2 Euro (Mittwoch freier Eintritt).

Wichtiger Hinweis: Zum Schutz vor der Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) und Covid-19 gelten für den Besuch der HALLE 14 die aktuell gültigen Schutzmaßnahmen. Zurzeit ist das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sowie Abstandhalten verpflichtend. Außerdem ist die Anzahl der Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung begrenzt, wodurch es zu Wartezeiten kommen kann. Personen mit Krankheitssymptomen und Covid-19-Verdacht ist der Zutritt untersagt.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten unter anderem alle Artikel der LEIPZIGER ZEITUNG aus den letzten Jahren zusätzlich auf L-IZ.de über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall zu entdecken.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

 

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar