Rund 93 Millionen Selfies entstehen täglich rund um den Globus. Kritiker deuten sie als Indiz für die zunehmende Selbstverliebtheit vor allem der jüngeren Generation. Befürworter hingegen bewerten sie sogar als „neue Phase der Kulturgeschichte“. Und dazwischen stehen Millionen Nutzerinnen und Nutzer, die einfach nur Spaß an ihren Selfies haben. Eine Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum beschäftigt sich jetzt mit dem Thema.

Die neue Ausstellung präsentiert rund 600 Objekte, Fotos und Filme aus aller Welt. Dazu gehören etwa das 1999 in Japan hergestellte erste Mobiltelefon mit integrierter Kamera oder die Ausrüstung des jungen Filmemachers Adolf Winkelmann, der 1967 in Kassel größere Irritationen auslöste, als er sich bei einem Spaziergang durch die Stadt selbst filmte.

Universell, allgegenwärtig, überraschend vielschichtig, faszinierend und extrem
polarisierend zugleich, haben digitale Selbstporträts längst unseren Alltag erobert. Sich selbst vor aller Augen für ein Foto in Szene zu setzen, sorgt längst nicht mehr für Aufsehen.

Selfie-Szenen gibt es auf Werbeplakaten, spezifische Produkte sind zu einer marktwirtschaftlichen Größe geworden. Für die Tourismusbranche sind Selfie-Hype und „Instagramability“ von Reisezielen Fluch und Segen zugleich. Politikerinnen und Politiker signalisieren mit ihren Selfies Volksnähe, nutzen sie für Wahlkampagnen.

Der Siegeszug des digitalen Selbstporträts hängt eng mit der rasanten Entwicklung von Smartphone-Technik und sozialen Netzwerken zusammen. Der Begriff „Selfie“ taucht erstmals 2002 auf, gelangt rasch in den globalen Wortschatz und macht 2013 als „Wort des Jahres“ Karriere.

Selfies ergänzen herkömmliche Kommunikationsmittel und althergebrachte Erinnerungsmedien, sorgen für vermeintliche oder echte Nähe. Ihre Bildsprache
funktioniert über geografische und kulturelle Grenzen hinweg. Um in der allgegenwärtigen Bilderflut wahrgenommen zu werden, müssen sie besonders witzig, schön, aufregend, einzigartig sein.

Plakat zur Ausstellung "Immer Ich". Gestaltung: Robert Matzke Design, Dresden
Plakat zur Ausstellung „Immer Ich“. Gestaltung: Robert Matzke Design, Dresden

Selfies veröffentlicht man, um sich darzustellen, und hofft dabei auf positive Reaktionen. Sind Selfies deshalb ein Anzeichen für Narzissmus? Journalisten,
Künstler, Kultur- und Sozialwissenschaftler wie Psychologen diskutieren darüber höchst widersprüchlich. Jedenfalls sind die Fotos Ausdruck einer selbstbestimmten Inszenierung ihrer Urheber.

Das können auch die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung erleben: Zwei interaktive Selfie-Points mit abwechslungsreichen Hintergrundszenarien laden zum Fotoshooting ein. Wer möchte, kann sein Selfie am Ende der Präsentation wiederfinden.

Die Ausstellung zeigt technische Voraussetzungen, fragt nach individuellen Motivationen und geht gesamtgesellschaftlichen Folgen des weltweiten Selfie-Booms nach. Es geht um Kommunikation und vor allem um die Wirkungsmacht der digitalen Selbstporträts.

Die Ausstellung wird im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig am 17. März eröffnet und wird bis Januar 2022 zu sehen sein. Der Eintritt ist frei. Es gelten die pandemiebedingten Sicherheitsregeln.

Ausstellung „Immer ich. Faszination Selfie“ (17. März 2021 bis Januar 2022)
Geänderte Öffnungszeiten bis auf Weiteres: Dienstag–Sonntag/Feiertage 10–18 Uhr. Besuch nur nach telefonischer Voranmeldung unter Tel. (0341) 2220-445. Eintritt frei.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar