Mit Gedichten kann man ja alles Mögliche anstellen. Man kann sie zu Wortklamauk machen, in fremden Sprachen baden lassen, an Litfaßsäulen kleben oder an Hauswände malen, was ja schiefgehen kann, wie wir seit dem Eiertanz um Eugen Gomringers Gedicht „Avenidas“ in Berlin alle wissen.

Man kann auch eine ganze Stadt damit verzieren, wie man in der niederländischen Stadt Leiden sehen kann, in der Benedikt Feiten sein Buch „Leiden Centraal“ enden ließ – mit immer wieder verstörend auftauchenden Gedichtzeilen.

Aber man kann Gedichte auch in Kunstwerke verwandeln, wie nun eine Ausstellung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum ab Donnerstag, 7. April, zeigen wird.

Denn wenngleich Texte vornehmlich zwischen zwei Buchdeckeln oder auf Bildschirmen gelesen werden, so gibt es doch zahlreiche weitere Formate und Materialien für die Präsentation von Texten, lädt die Deutsche Nationalbibliothek zu dieser Ausstellung ein.

„Unsere neue Ausstellung wird Sie unter dem Titel ‚Dichtung in 3D. Textskulpturen und Gedichtobjekte seit 1960‘ mit einer großen Vielfalt gestalterischer Ausdrucksformen für Geschriebenes überraschen. Dabei sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt: Ob Konkrete oder Akustische Poesie, ob Textfilme, Papierarbeiten oder Beispiele früher digitaler Poesie – gezeigt werden radikale Ansätze renommierter Vertreter/-innen der experimentellen Poesie, die die facettenreichen Verbindungen von linearem Text und raumgreifender Form zeigen.

Augusto de Campos / Julio Plaza: Poemobiles, 1974. Foto: Archiv Zentrum für Künstlerpublikationen, Weserburg Museum für moderne Kunst, Bremen
Augusto de Campos / Julio Plaza: Poemobiles, 1974. Foto: Archiv Zentrum für Künstlerpublikationen, Weserburg Museum für moderne Kunst, Bremen

Die 1960er Jahre waren eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche. Soziale Normen und bürgerliche Konventionen wurden genauso auf den Prüfstand gestellt wie politische Autoritäten. Bildende Künstler/-innen hinterfragten tradierte Produktionsprozesse und etablierte Werkbegriffe.

Aus Europa und Übersee trafen sich Künstler/-innen bei Ausstellungen und auf Festivals. Avantgardistische Publikationen trugen zu einer Verbreitung von Ideen, Werken und Konzepten bei.

In der Literatur waren mit Visueller, Konkreter und Akustischer Poesie, mit Textfilmen und digitaler Poesie vergleichsweise radikale Ansätze zu verzeichnen. Großen Einfluss auf die Entwicklung der Gedichtobjekte hatten vor allem die Konkrete und Visuelle Poesie.

Die neu geschaffenen Textskulpturen überwanden Grenzen zwischen den künstlerischen Disziplinen. Sie lösten den Text von der Fläche des Papiers und verleihen ihm eine räumliche Dimension. Die Dichtung in 3D stellt eine wichtige Facette der Erweiterung und Entgrenzung der Literatur dar, die in ihrer internationalen Dimension bisher nur wenig Beachtung gefunden hat.

Die rund 80 in der Ausstellung gezeigten Objekte zeigen die vielfältigen Möglichkeiten der Verbindungen von Text und skulpturaler Form. Besonders kommen Medien, Materialien und Techniken zum Einsatz, die gerade für die Literatur neu und ungewohnt sind: Transparentes Acryl ermöglicht Effekte von Überlagerungen unterschiedlicher Textebenen sowie Spiegelungen und Reflektionen.

Holografien lassen Verse schweben. Fotografie und Film dienen der Aufzeichnung von ephemeren Aktionen und Performances, bei denen skulpturale Buchstaben in Stadträumen und Landschaften inszeniert werden. Mitunter wird auch der menschliche Körper zur Textskulptur. Nur wenige Objekte wie Klappkarten, deren Texte sich beim Öffnen wie die Figuren eines Pop-Up-Buchs aufstellen, erinnern noch an aufgeschlagene Bücher.

„Meditationsgünstige Objekte“ nennt der Dichter Eugen Gomringer die Werke der Konkreten Poesie. Als dreidimensionale Arbeiten erschließen sie sich oft erst durch den Wechsel von Perspektiven oder das „Begreifen“.

Die Ausstellung lädt zum Nachdenken ein: Was kann ein Text jenseits von auf Papier gedruckten Zeilen sein? Welche sinnlichen Eindrücke kann das Lesen über die sprachlichen Inhalte hinaus vermitteln? Welche Rolle spielen Materialien und Techniken? Wie lässt sich die Welt mit abstrakten Zeichen beschreiben?

Die Ausstellung wird kuratiert vom Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker Christoph Benjamin Schulz (Wuppertal) und unterstützt durch das Zentrum für Künstlerpublikationen an der Weserburg Museum für moderne Kunst, Bremen.

Dabei sind unter anderem John Cage, Carlfriedrich Claus, Peter Downsbrough, Valie Export, Carlos Ginzburg, Ferdinand Kriwet, Franz Mon, Ewa Partum, Octavio Paz, Timm Ulrichs und Peter Weibel. Mit überraschend moderner Haltung und klaren Statements zur Entgrenzung des Mediums bereichern die ca. 80 internationalen Arbeiten den aktuellen Feuilleton-Diskurs um das sogenannte ‚Ende des Buches‘.“

Ausstellungsbegleitend erscheint bei Grass Publishers die 5-teilige Edition „paper poem objects“, herausgegeben von Ausstellungskurator Christoph Benjamin Schulz. Erhältlich im Museum.

Eröffnet wird die Ausstellung am Donnerstag, 7. April. Gezeigt wird sie vom 8. April bis zum 30. Oktober. Und wer schon einmal einen kleinen Eindruck der Ausstellung gewinnen möchte, findet erste Eindrücke auf einer Website zur 3D-Ausstellung.

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