Wie weiter mit dem Lichtfest? Hingehen oder zu Hause bleiben, weil man nicht mehr davon berührt ist? Die Frage stand ja auch für die Initiativgruppe, die seit Anfang an für dieses Fest auf dem Augustusplatz den inhaltlichen Rahmen setzt. Und dass nicht nur Uwe Schwabe das flaue Gefühl hatte, dass das Fest seinen emotionalen Bezug zu 1989 verlor, hat zumindest schon mal einiges in Bewegung gebracht. Es hat auch schon ein wenig mit der Entscheidung zu tun, 2018 den Frauen die Sache in die Hand zu geben.

Das steckt zwar nicht ursächlich drin in dem Motto für das Lichtfest 2018 „ich. die. wir.“, das natürlich unübersehbar die ganzen Streitereien der Gegenwart aufnimmt, die vielen Egoismen, das falsche Wir von Leuten, die sich nun qua Proklamation zum Volk erheben und gegen „die da oben“, die sogenannte Elite wettern. Aber wenn man will, kann man das auch auf die Revolution projizieren, die sich jetzt zum 100. Mal jährt: die Novemberrevolution von 1918, wo ein falsches Wir sich auf einmal als Phantom entpuppte und jeder einzelne sich neu positionieren musste – entweder gegen die alten Machthaber, die so kläglich abdankten („die da“) oder in einem neuen, unübersichtlicheren Wir, das sich Demokratie und Republik nannte.

Und mit dieser ersten erfolgreichen Revolution in der deutschen Geschichte gab es auch erstmals das allgemeine und gleiche Wahlrecht für alle Staatsbürger ab 20 Jahren – auch die Frauen. Womit ein wichtiger Aspekt von „ich. die. wir.“ benannt wird: die Teilhabe. Was 1989 genauso Thema war wie 1918. Wie viel Teilhabe haben eigentlich Frauen in diesen beiden Revolutionen errungen?

Und so mogelte sich augenscheinlich schon frühzeitig die Sache mit dem Frauenwahlrecht in die Diskussionen der Initiativgruppe. Aber wie bringt man so etwas auf die Bühne, damit das die auf dem Platz Lauschenden auch emotional berührt?

Man merkt schon, dass so ein Gedanke, wenn er erst mal da ist, auch mehrere Ecken und Kurven nimmt, bevor er zum Bild wird. Das Ergebnis: Die Bühne gehört diesmal wirklich den Frauen.

Oder mit den Worten der Veranstalter: „Das Programm des Lichtfestes wird 2018 komplett von Frauen gestaltet. Szenischer Mittelpunkt ist ein Ensemble aus Musikerinnen und Schauspielerinnen. Fünf Darstellerinnen rezitieren kurze Texte, in denen der subjektive Bezug Teilhabe und Demokratie in den Mittelpunkt rückt.

Als Recherchegrundlage für diese Passagen dienten Gespräche mit Zeitzeuginnen aus der Bürgerrechtsbewegung ebenso wie bereits dokumentierte Aussagen sowie die Auswertung von Stasi-Unterlagen. Daraus entstanden literarisierte ‚Wortfetzen‘ und Textfragmente, die wahlweise als störende oder verbindende Elemente mit Musik und Video interagieren.“

Kurz Luft holen, denn nicht nur die fünf Schauspielerinnen werden auf der Bühne stehen, sondern auch das frisch gegründete „Freie Orchester Leipzig“. Das besteht aus 24 Musikerinnen, die sich extra für das Leipziger Lichtfest zusammengeschlossen haben. Schon das ein echtes Novum, das bei der sehr männerlastigen Szene der klassischen Orchester sicher für großes Hallo sorgen wird. Geleitet wird das Orchester von Eva Meitner, die seit 2015 Chefdirigentin des Sinfonischen Orchesters Hoyerswerda ist und „von der Gründung eines reinen Frauenorchesters immer geträumt hat“, wie sie am Mittwoch, 28. August, zur Vorstellung des Lichtfest-Programms sagte.

Den Wunsch hat sie sich erfüllt. Und sie wird dem Publikum noch viel mehr bieten. Denn gespielt werden die Kompositionen berühmter Komponistinnen.

Wenn man ihre Kurzbiografien gelesen hat, weiß man, dass sie eigentlich berühmt sein müssten. Aber im üblichen Sinn sind sie es nicht. Denn Männerorchester spielen fast nur Männerkompositionen, von Bach bis Händel, von Schostakowitsch bis Mussorgski.

Und auch Meitner glaubte noch vor drei, vier Jahren, als sie mit der Recherche begann, dass es von weiblichen Komponisten nur wenige große Werke zu finden geben würde. Das Gegenteil war der Fall: Sie fand hunderte großer Kompositionen, die dann, wenn sie mal irgendwo aufgeführt wurden, in der Regel Erstaunen und Bewunderung ausgelöst haben und sich hinter den Kompositionen der männlichen Zeitgenossen nicht verstecken müssen.

Was eigentlich 1840 schon bekannt war. Eingeweihte wussten, dass Fanny Hensel, die berühmte Schwester Felix Mendelssohn Bartholdys, genauso begabt war wie ihr Bruder. Nur war es zu ihrer Zeit undenkbar, als Frau komponierend und dirigierend in der Öffentlichkeit zu erscheinen.

Logisch, dass Eva Meitner von Fanny Hensel genau so eine Komposition mit ins Programm genommen hat wie von Ethel Smyth, die Leipziger Musikkenner ebenfalls kennen, denn sie studierte in Leipzig nicht nur Komposition, sondern suchte auch die Bekanntschaft mit den Leipziger Musikgrößen. Und in Leipzig wurde ihre Oper „The Wreckers“ erstmals aufgeführt. In England wurde sie als Frauenrechtlerin berühmt und komponierte dort die Hymne der englischen Frauenbewegung: „The March of Women“. „Natürlich wird das zum Lichtfest auch zu hören sein“, verspricht Meitner, sichtlich voller Vorfreude auf den Abend, an dem die Gäste miterleben dürfen, was für mitreißende Musik Frauen komponiert haben.

Man merkt schon: Auch die Revolution von 1989 ist noch nicht ganz fertig. Selbst OBM Burkhard Jung weiß es, wenn er in sein Rathaus schaut und sieht, wie wenige Frauen auf entscheidenden Posten sind.

Also Frauen-Power am 9. Oktober

Zu den klassischen Komponistinnen, die man hören wird, gehören auch noch Amy Beach und Alice Smith. Es wird lebhaft und spritzig auf der Bühne, verspricht Meitner. Und eingerahmt werden die vier Klassikerinnen von einer jungen sächsischen Komponistin, Susanne Hardt, die die Jahreszahl 1918 in eine Tonfolge verwandelt und damit gewissermaßen Geschichte vertont, und (als männlicher Teil der Emanzipation) dem Komponisten Moritz Eggert, dessen Komposition „Masse“ gewissermaßen als Stör-Element zwischen den Kompositionen der Frauen auftaucht.

Im Hintergrund werden wieder Video-Reminiszenzen zu sehen sein, erklärt der künstlerische Leiter des Lichtfests, Jürgen Meier. Diesmal das ganze Jahrhundert umfassend. Und so entsteht dann wieder eine große Collage aus (Frauen-)Musik, Erinnerungen von Frauen an den Herbst 1989, gesprochen von fünf Schauspielerinnen, und den Videosequenzen auf der Wand.

Das klingt schon mal deutlich aufregender als in den Vorjahren. Und da die Musik der ausgewählten Komponistinnen sonst so selten zu hören ist, kann man gespannt sein, wie sie so geballt und von einem reinen Frauenorchester vorgetragen wirkt.

Da fällt es dann schon ein bisschen schwerer zu sagen: „Da geh ich nicht hin.“

Vor allem auch, weil die Neuorganisation in der Initiativgruppe auch künftig wieder mehr Wert darauf legen soll, dass der 9. Oktober die Leipziger wieder berührt.

Weitere wichtige Höhepunkte: Friedensgebet und Rede zur Demokratie

Am 9. Oktober erinnert die Nikolaigemeinde wieder mit einem besonderen Friedensgebet an die Ereignisse von 1989, als die Nikolaikirche für viele Menschen ein wichtiges Symbol für die Friedliche Revolution und damit für Hoffnung auf Veränderung wurde. Von hier gingen im September 1989 die Montagsdemonstrationen aus. Die Predigt hält Pfarrer Markus Meckel, Außenminister a. D. Für die musikalische Begleitung mit Werken von Martin Palmeri und Kurt Grahl sorgen das Festivalorchester Leipzig und der BachChor an der Nikolaikirche unter Leitung von Nikolaikantor Jürgen Wolf.

Die diesjährige Rede zur Demokratie am 9. Oktober in der Nikolaikirche wird die ehemalige Bundesjustizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin halten, die als stellvertretende Vorsitzende des Gesamtdeutschen Einheitsausschusses versuchte, Regeln für ein gutes Zusammenleben von Ost und West einzubringen.

Heute lehrt sie an zahlreichen Hochschulen im In- und Ausland, berät insbesondere in Afrika und Asien zu Fragen des Völkerrechts, der EU, sowie zu Demokratie- und weiteren Verfassungsfragen. In Deutschland ist die Anwältin als Schlichterin in Tarifstreitigkeiten und bei der Beratung in Fragen von Datenschutz- und Arbeitsrecht gesucht. Frau Däubler-Gmelin fördert seit Jahrzehnten als Schirmherrin die Deutsche Hospizbewegung.

Die 2001 begonnene Veranstaltungsreihe der Reden zur Demokratie gehört zu den Höhepunkten am Tag der Friedlichen Revolution. Neben Vertretern der bundesdeutschen Verfassungsorgane sprachen in der Vergangenheit vor allem Persönlichkeiten in der Nikolaikirche, die sich um die Demokratie in Europa verdient gemacht haben. Sowohl die Rede zur Demokratie als auch das Friedensgebet werden in Gebärdensprache übersetzt.

Die neue Leipziger Zeitung Nr. 58 ist da: Ein Mann mit dem Deutschlandhütchen, beharrliche Radfahrer, ein nachdenklicher Richter und ein hungriges Leipzig im Sommer 1918

Ein Mann mit dem Deutschlandhütchen, beharrliche Radfahrer, ein nachdenklicher Richter und ein hungriges Leipzig im Sommer 1918

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