Enrico Böhm (31) im Glück: Weil die Staatsanwaltschaft nicht zweifelsfrei nachweisen konnte, dass der NPD-Stadtrat am 18. Dezember 2013 in der Löbauer Straße eine Kundgebung unter dem Motto "Kinderrecht vor Asylrecht" auf die Beine gestellt hat, ohne diese zuvor anzumelden, marschierte der Kommunalpolitiker am Dienstag mit einem Freispruch aus dem Amtsgericht.

Im Dezember 2013 trat in Leipzig-Schönefeld eine ominöse Elterninitiative auf den Plan. In einem offenen Brief wandte sich diese gegen das Vorhaben der Astrid-Lindgren-Schule, mit Schülern Besuche in einem benachbarten Flüchtlingsheim zu veranstalten. Die lapidare Begründung lautete, dies gehöre nicht zum Schulunterricht und die Bewohner würden eine Gefahr für die Kinder darstellen.

Eine “Willkommensinitiative” veranstaltete am 18. Dezember, als das Schreiben auftauchte, eine ganztägige Kundgebung, um mit den Anwohnern ins Gespräch zu kommen und bestehende Ängste und Vorurteile abzubauen. Um ihren Protest Ausdruck zu verleihen, zogen am gleichen Tag 49 Asyl-Gegner in die Nähe des Flüchtlingsheims, um hinter einem Transparent mit der Losung “Kinderrecht vor Asylrecht” rechte Parolen zu skandieren.

Polizeihauptkommissar Mike J. (49) zeichnete bei Gericht ein Bild der unangemeldeten Demonstration: “Großväter mit ihren Enkeln, Mütter mit ihren Kindern” seien damals anwesend gewesen. Der Ordnungshüter machte eine Handvoll bekannter NPD-Anhänger aus. Weil die Teilnehmer keine Straftaten begingen, löste der Einsatzleiter die Veranstaltung nicht auf, sondern suchte einen Verantwortlichen. Mit Böhm kam J. schnell in Kontakt.

Der Leipziger NPD-Vorsitzende, der nach eigenen Angaben derzeit eine Ausbildung im Zusammenhang mit digitalen und gedruckten Medien absolviert, ist in Polizeikreisen kein Unbekannter. Böhms Auszug aus dem Bundeszentralregister zählt 13 Einträge, die sich binnen sieben Jahren angesammelt haben: Darunter Körperverletzung, Sachbeschädigung, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.

An jenem Abend stellte sich Böhm den Beamten vor Ort als Anmelder zur Verfügung. Als Begründung für die Demonstration sollte eine Elternversammlung am Abend herhalten. Diese hatte in der Form, wie Böhm sie dem Polizisten beschrieben haben soll, gar nicht stattgefunden. Das Schulsekretariat konnte dem Ordnungsamt nur von einer Weihnachtsfeierlichkeit berichten.

Dennoch kam Böhm diesmal straffrei davon. “Ich bin nicht zweifelsfrei überzeugt davon, dass Sie Leiter der Versammlung waren”, begründete Amtsrichterin Marion Weißenfels ihre Zweifel. Denkbar wäre ebenso eine spontane Übereinkunft der Teilnehmer an dem Abend gewesen.

Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz hatte zuvor die Verhängung von 60 Tagessätzen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz gefordert. Diese sollten mit einer anderen Verurteilung vom Januar 2014 wegen einer unerlaubten Veröffentlichung des Videos einer Frau im Internet zu einer Gesamtstrafe von 80 Tagessätzen zusammengefasst werden.

Enrico Böhm selbst gab sich zu den Vorwürfen wortkarg. Seine Anschrift überreichte der Neonazi nur zögerlich dem Gericht, aufgekritzelt auf ein Blatt Papier. “Sie müssten doch wissen, welches Anschläge auf meine Mandanten verübt worden”, erläuterte sein Verteidiger das seltsame Gebahren. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

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