Ein heute 48-jähriger Mann soll kurz vor Heiligabend 2015 auf die Teilnehmer einer Hartz-IV-kritischen Demonstration losgegangen sein – mit Naziparolen und Hitlergruß. Er selbst kann sich angeblich an nichts erinnern. Ein hinzugerufener Polizist ist sich jedoch sicher: Der Mann hat die Tat noch vor Ort gestanden – und sich dabei auf die Meinungsfreiheit berufen.

„Ich bin eigentlich nicht so ein Typ“, sagt Andre S., als er sich am Amtsgericht mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, Ende vergangenen Jahres verbotene Naziparolen gerufen und den Hitlergruß gezeigt zu haben. Doch ausschließen kann er es nicht. „Ich weiß nicht mehr, was passiert ist.“

Grund für den angeblichen Gedächtnisverlust des heute 48-jährigen Mannes soll eine ausschweifende Weihnachtsfeier unter Arbeitskollegen gewesen sein. Drei Tage vor Heiligabend hätten sie sich gegen Mittag im Hauptbahnhof getroffen und seien später in ein Irish Pub gezogen. Zunächst floss viel Bier, später kamen andere Getränke hinzu. „Wir haben viel Alkohol durcheinander getrunken“, gibt S. vor Gericht an. Ein am Abend durchgeführter Alkoholtest ergibt 1,67 Promille.

Nach eigenen Angaben setzte das Erinnerungsvermögen im Laufe des Tages aus. Laut Anklage soll sich S. am Abend Richtung Willy-Brandt-Platz begeben haben, wo eine Demonstration gegen Hartz IV stattfand, und mehrmals „Heil Hitler“ sowie „Sieg Heil“ gerufen haben. Außerdem habe er den Hitlergruß gezeigt. Der Angeklagte und sein Strafverteidiger Steven Stötzner behaupten, dass sich S. für Politik nicht sonderlich interessiere. Die Schilderungen eines geladenen Polizeibeamten widersprechen dieser Darstellung jedoch.

Der 32-jährige Florian S. ist eigenen Angaben zufolge an jenem Abend als Streife auf dem Weihnachtsmarkt im Einsatz gewesen und wegen einer Beschwerde zur Kundgebung auf dem Willy-Brandt-Platz gerufen worden. Auf Nachfrage hätte S. die Tat vor Ort gestanden: „Der Angeklagte sagte zu mir, dass das keinesfalls als Scherz gemeint war, sondern seine Meinung sei. Er trat vehement dafür ein, diese äußern zu dürfen.“

Ein ehemaliger Arbeitskollege von S. war ebenfalls vor Gericht erschienen. Doch auch ihn plagten angeblich massive Erinnerungslücken. Der Prozess soll deshalb Anfang August mit weiteren Zeugen fortgesetzt werden. Die Polizei verfügt eigentlich über Videoaufnahmen einer Überwachungskamera. Wegen einer technischen Panne sei jedoch die falsche Zeitspanne gespeichert worden. Aufnahmen, die zur Klärung des Sachverhalts beitragen könnten, existieren nun wohl nicht mehr.

In eigener Sache

Dein Leipzig. Deine Zeitung. Deine Entscheidung. Werde Unterstützer!
Viele gute Gründe gibt es hier.
Überzeugt? Dann hier lang zum Kombi-Abo „LZ & L-IZ.de“ für 59,50 EUR/Jahr

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

René Loch über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar