„Mir ist aufgefallen, dass Sie so aufgekratzt wirken“, stellte der Vorsitzende Richter Norbert Göbel in Richtung des Angeklagten Mohammad A. (22) fest. Der junge Mann muss sich seit über einem Jahr mit zwei Komplizinnen wegen Mordes an einem afghanischen Dolmetscher verantworten. Am Freitag schien er entgegen sonstiger Verhaltensweisen heiter und ausgelassen. Eine Erklärung war rasch gefunden – und sie war nicht der einzige Knalleffekt.

Ein 30-Jähriger Dolmetscher aus Afghanistan verschwindet spurlos, ein junges Mädchen (17) sowie ihr Freund (22) und ihre Mutter (39) werden aufgrund von Indizien wegen Mordes verhaftet, während des Strafverfahrens taucht überraschend die Leiche des Opfers auf. Es folgen Geständnisse – doch nun scheint der spektakuläre Prozess, der schon vorher mit Juristenkrach und Winkelzügen aller Art nicht geizte, noch einmal so richtig an Fahrt zu gewinnen. In dieser knappen Fassung lässt sich das Geschehen bündeln, mit dem die 3. Strafkammer des Leipziger Landgerichts nunmehr seit Ende August 2016 beschäftigt ist. Im Kern geht es um den Tod des Dolmetschers Farhad S., der Ende November 2015 im Leipziger Gerichtsweg einem brutalen Mord zum Opfer fiel.

Mohammad A. hat inzwischen eingeräumt, den Afghanen mit einer Vielzahl von Messerstichen getötet zu haben, während sich die mitangeklagten Santa A. (18) und deren Mutter Entessar A. (39) in einem Nebenzimmer aufhielten. Laut Anklage hatte der Getötete die Nähe der Teenagerin gesucht, die vor einigen Jahren aus Syrien geflohen war, und wurde daraufhin unter dem Vorwand einer Aussprache in die Wohnung von Mutter und Tochter gelockt.

Anschließend soll das Trio die Leiche des Mannes in Sachsen-Anhalt verscharrt, sein Konto geplündert und eines seiner Autos verkauft haben. Mohammad A. geriet dabei in eine Radarfalle. Dieses Indiz und weitere brachte die Angeklagten im Februar 2016 in Untersuchungshaft. Der Leichnam des Toten tauchte erst über ein Jahr später auf.

Zum Sitzungstermin am Freitag war eigentlich die Berichterstattung zu einem psychiatrischen Gutachten über Mohammad A. vorgesehen, der bereits 2014 wegen Verdachts auf paranoide Schizophrenie in Behandlung war. Doch der Sachverständige kam nicht weit. Mohammad A., der im bisherigen Prozessverlauf ruhig und introvertiert gewirkt hatte, gab sich ungewohnt fröhlich, roch laut Auskunft von Justizwachtmeistern nach Alkohol, hatte Probleme, sich auf den Beinen zu halten und zu konzentrieren. Trotz seiner Beteuerung „Alles gut, wir machen weiter“ ordnete der Vorsitzende Richter Norbert Göbel schließlich den Abbruch des Prozesstages an, da die Verhandlungsfähigkeit des mutmaßlichen Haupttäters infrage stand.

Zudem sind offenbar unerwartet Dokumente zum Vorschein gekommen, nach denen der in Saudi-Arabien aufgewachsene Mohammad A. nicht wie bisher angegeben im Jahr 1994 zur Welt kam, sondern genau ein Jahr später. Brisant wäre das nicht allein wegen der Frage nach womöglich unzureichenden Nachforschungen, sondern auch, weil er zum Zeitpunkt des Verbrechens ein Heranwachsender gewesen wäre.

In diesem Fall käme eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht in Betracht. Die höchstmögliche Sanktion läge dann bei 15 Jahren Haft statt lebenslang.

Der ungewöhnliche Prozess, der Ende Juli 2017 bereits auf der Zielgeraden schien, ist damit offenbar noch nicht ausgestanden. Die Fortsetzung folgt am 20. Oktober, weitere Termine sind aktuell vorsorglich bis November reserviert.

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