Der Schuldspruch war absehbar – doch über das Tatmotiv und das Strafmaß gab es unterschiedliche Auffassungen. Am Freitag entschied das Landgericht nun: Ein 31-jähriger Ex-Student muss wegen Mordes lebenslang hinter Gitter. Er hatte vor einem Jahr seine Nachbarin in der Südvorstadt brutal getötet. Der Vorsitzende Richter fand dafür deutliche Worte.

Fast auf den Tag genau ein Jahr, nachdem er seine 61-jährige Nachbarin Sylvia G. in der Hardenbergstraße getötet hat, verurteilte das Leipziger Landgericht den 31 Jahre alten Ex-Studenten Ekkehart J. am Freitag wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Haft und den Verfahrenskosten.

Die 16. Strafkammer sah es als erwiesen an, dass der aus gutbürgerlichem Haus stammende Lehrersohn die 61-jährige Frau am 18. September 2020 in ihrer eigenen Wohnung brutal überfiel und ihr dabei tödliche Verletzungen beibrachte. Motiv des Angeklagten war demnach Geldnot.

Lebenslüge eines trickreichen Blenders

Ekkehart J. selbst hatte die Tötung von Sylvia G. bereits am 12. August über seinen Anwalt Dr. Malte Heise eingeräumt, jedoch war in seiner Erklärung von einem spontanen Konflikt die Rede. Danach soll die als verschroben und esoterisch geltende Sylvia G. ihrem jungen Nachbarn im Waschkeller des Mehrfamilienhauses mit der Polizei gedroht haben, weil er dort rauchte.

Er habe dadurch, so die Aussage des Angeklagten, den Zusammenbruch seines jahrelangen Lügengebäudes befürchtet. Schon 2015 brach der damalige Mittzwanziger ein Studium der Mathematik ab, täuschte gegenüber seiner Lebensgefährtin, den Freunden und der Familie jedoch eine erfolgreiche Ausbildung zum IT-Kaufmann und dann einen Job als Software-Entwickler vor.

De facto lebte Ekkehart J. vor allem von Zuwendungen seiner arglosen Eltern, kassierte daneben gelegentliche Aufwandsentschädigungen für eine Beschäftigung als Sporttrainer. Sonst verlebte er viel Zeit an der heimischen Konsole.

Ein Sachverständiger hatte Ekkehart J. als trickreichen Blender bezeichnet und ihm eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert. Auf die volle Schuldfähigkeit hatte das aber keinen Einfluss.

„Abgebrühtes Verhalten, das nur schwer zu ertragen ist“

Seine Darstellung, wonach er Sylvia G. in ihre Wohnung gefolgt sei, wo sie ihn mit einem Messer bedroht und als „Dreckschwein“ beschimpft habe, nahm das Schwurgericht dem Angeklagten nicht ab. Vielmehr habe dieser gezielt einen Raubüberfall geplant, um an Bargeld zu kommen, zumal sich die Schulden bei ihm anhäuften und eine Stromrechnung der Stadtwerke über 900 Euro unbezahlt war. Außerdem stand ein Italienurlaub mit der Freundin bevor, den Ekkehart J. dann einen Tag nach dem Verbrechen auch antrat.

Die Leiche der alleinstehenden Sylvia G. lag währenddessen in der Wohnung und wurde erst am 30. September 2020 entdeckt. Ekkehart J. lebte bis zu seiner Verhaftung am 1. Dezember 2020 weiter, als wäre nichts passiert. „Das ist ein abgebrühtes Verhalten, das nur schwer zu ertragen ist“, sagte der Vorsitzende Richter Hans Weiß in seiner fast anderthalbstündigen Urteilsbegründung. Dabei hob er auch die akribische Arbeit der Spurensicherung hervor, die den Angeklagten letztlich überführte.

Gericht: Aussage des Angeklagten unplausibel

Sylvia G. habe gegen den großgewachsenen und trainierten Mann keine Chance gehabt. Nach Überzeugung der Richter öffnete sie dem 31-Jährigen, obwohl sie als vorsichtig und scheu galt, völlig arglos die Wohnungstür – weil der vorgeblich mit einem Paket klingelte. Die Annahme von Postsendungen für die Nachbarn war im Wohnhaus gängige Praxis.

Trotz ihres seltsamen und manchmal belehrenden Auftretens sei die EU-Rentnerin, eine frühere Lehrerin, nie aggressiv und streitlustig aufgefallen, zudem recherchierte Ekkehart J. kurz vor der Tat im Internet über Barzahlungsmöglichkeiten für eine offene Stromrechnung und vermisste Personen.

Alles spreche für eine gezielte Tatplanung, das Geständnis des Angeklagten sei lückenhaft, lügendurchsetzt und unplausibel. „Wir haben keinen Zweifel, dass Sie aus Habgier und heimtückisch handelten, zur Verdeckung eines Raubes“, betonte der Vorsitzende Richtung Anklagebank.

Verteidiger will Revision prüfen

Die Kammer folgte mit dem Urteil der Argumentation der Staatsanwaltschaft. Eine besondere Schwere der Schuld, die eine Haftentlassung nach fünfzehn Jahren verhindert, wurde jedoch nicht festgestellt. Die Verteidigung wollte dagegen auf zwölf Jahre Haft wegen Totschlags hinaus und kündigte an, Rechtsmittel zu prüfen.

„Diese Strafe bietet Ihnen die Chance, wieder in Freiheit zu gelangen“, schloss der Vorsitzende die Urteilsbegründung ab. Wenn er dem Angeklagten einen Appell mitgeben wolle, sei es der: „Sie denken darüber nach, ob Sie die Strafe akzeptieren und Ihre Lebenslüge beenden.“

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