Das Amtsgericht Leipzig hat einen 42-jährigen Mann zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er in seiner Wohnung ein halb so altes Fotomodel sexuell belästigt haben soll. Die mutmaßlichen Täter und Opfer widersprachen sich in zahlreichen Punkten, jedoch schenkten Richter und Staatsanwaltschaft der 23-jährigen Frau mehr Glauben. Selbst im Gerichtssaal äußerte sich der Angeklagte sexistisch, obwohl er immer wieder betonte, wie vielen Frauen er bereits geholfen habe.

Häufig stehen Gerichte bei Sexualstraftaten vor dem Problem, dass sich die Aussagen der Beteiligten erheblich widersprechen und Zeug/-innen nicht vorhanden sind. Während die einen dann auf die Unschuldsvermutung pochen, fordern andere, Betroffenen solcher Taten grundsätzlich zu glauben. Auch bei einem Prozess, der Ende Juni am Amtsgericht Leipzig stattfand, stand zunächst Aussage gegen Aussage.

Unerwünschte Berührung

Jana Wirth* behauptete dort, im Mai 2020 von Patrick Saenger* sexuell belästigt worden zu sein. Der Vorfall soll sich im Rahmen eines Fotoshootings in der Wohnung von Saenger ereignet haben. Der damals 40-Jährige soll erst versucht haben, das halb so alte Model zu küssen, und anschließend ihr Bein gestreichelt und ihr unter den Rock an den Po gefasst haben. Saenger bezeichnete die komplette Darstellung als Lüge.

Laut seiner Aussage war es so: Nach Wirths Ankunft in Leipzig habe er ihr bei einem Essen mitgeteilt, dass das Shooting nicht stattfinden könne. Der Grund: Ausschlag und „schlechter Zahnstatus“ des Models. In die Wohnung sei man nur gegangen, weil Wirth die Schuhe anprobieren wollte, die Saenger gekauft hatte. Diese Darstellung wiederum wies die junge Frau zurück. Es sei nie davon die Rede gewesen, dass das Shooting nicht stattfinden könne.

Saenger behauptete in der Gerichtsverhandlung, dass sich Wirth möglicherweise dafür rächen wollte, die vereinbarte Aufwandsentschädigung in Höhe von 100 Euro nicht erhalten zu haben. Wirth behauptete, dass überhaupt keine Aufwandsentschädigung vereinbart worden sei. Es habe sich um ein sogenanntes Time-for-Prints-Shooting gehandelt. Das Model erhält dabei zwar kein Geld, aber Bildmaterial, das es für die weitere Karriere nutzen kann.

Ungewisser Gesundheitszustand

Widersprüchliche Angaben bekamen die Prozessbeteiligten auch zum Gesundheitszustand des Angeklagten zu hören. Dieser war im Rollstuhl und mit FFP3-Maske vor Gericht erschienen. Er sei zu 100 Prozent schwerbehindert und auch am Tag des angeblichen Vorfalls ausschließlich im Rollstuhl unterwegs gewesen. Nein, er sei die ganze Zeit gelaufen, entgegnete Wirth.

Dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Amtsrichter Lange am Ende der jungen Frau glaubten, hatte vor allem zwei Gründe: das Verhalten des Angeklagten im Saal und Wirths Entscheidung, wenige Minuten nach dem Vorfall schon Beweise für die Belästigung zu sammeln.

Wichtig war dabei vor allem eine Nachricht, die sie Saenger kurz nach der Abfahrt aus Leipzig geschickt hat: „Ich mag es nicht, wenn man mir unter den Rock fasst.“ Saengers zwei Minuten später verschickte Antwort lautete: „Ich habe keine Berührungsängste.“ Er wisse, was „Frauen wie sie“ bräuchten, um Ablenkung zu bekommen.

Unwahrscheinliche Verurteilung

Vor Gericht erklärte Wirth ihre Nachricht damit, dass ihr schnell klar gewesen sei, dass im Falle einer Anzeige ihre Aussage gegen die des Fotografen stehen würde und eine Verurteilung damit unwahrscheinlich sei. Deshalb habe sie versucht, ein schriftliches Geständnis von ihm zu erhalten. Der Chatverlauf kam schließlich zu den Gerichtsakten.

Saenger rechtfertigte sein „Geständnis“ damit, dass er nur den Beginn ihrer Nachricht gelesen und deren kompletten Inhalt gar nicht richtig erfasst habe. In seinen teilweise weit vom eigentlichen Thema abschweifenden Ausführungen versuchte er angebliche Lücken in der Darstellung der Frau zu finden.

So sei beispielsweise nicht plausibel, dass sie die Wohnung nicht bei der erstbesten Gelegenheit verlassen habe, sondern sich stattdessen sogar noch von ihm zum Bahnhof fahren ließ. „Ich war wie in einem Tunnel, konnte nichts sagen und hatte Angst“, begründete Wirth ihr Verhalten. Saengers „Ich fahre dich zum Bahnhof“ habe damals sehr „bestimmend“ geklungen.

Unangenehme Kommentare

Wirth behauptete außerdem, dass Saenger erwähnt hätte, Kampfsport zu beherrschen. Auch das habe sie eingeschüchtert. Dass der mittlerweile 42-Jährige trotz Behinderung eine solche Wirkung gehabt haben könnte, legt sein Auftritt in der mündlichen Verhandlung nahe. Immer wieder kommentierte er die Aussagen der kleinen, schmächtigen Frau abfällig und potenziell einschüchternd. Zwischendurch musste ihn Richter Lange dazu ermahnen, das zu unterlassen.

Im Laufe der Verhandlung wurde zudem bekannt, dass Wirth von Saenger einen Brief erhalten hatte. Darin habe er sie dazu aufgefordert, über ihre Aussage nachzudenken. „Dieser Brief hat mir Angst gemacht“, gab Wirth zu Protokoll. Richter Lange bezeichnete den Brief später als „Versuch der Einschüchterung“.

Auch sein sonstiges Verhalten im Prozess dürfte Saenger nicht geholfen haben. In gefühlt jedem zweiten Satz wies er auf seinen Gesundheitszustand hin; mehrmals erwähnte er auch, dass er Frauen schon oft geholfen habe – etwa indem er ihnen Pfefferspray gegeben habe. Vor 20 Jahren sei er sogar verprügelt worden, als er eine Vergewaltigung verhindert habe.

Unangemessene Äußerung

Im Großen und Ganzen präsentierte sich Saenger jedoch nicht als ein Mann, der Frauen sonderlich wertschätzt. Besonders deutlich wurde das, als er abstritt, zu Wirth gesagt zu haben, dass sie einen „Knackarsch“ habe. Im Gerichtssaal sagte er wörtlich: „Sie hat keinen Knackarsch. Das haben Sie ja gerade gesehen.“ Möglicherweise – so deutete es Richter Lange später an – war diese Aussage eine strafbare Beleidigung.

Lange und die Staatsanwaltschaft betonten, dass sich Wirth als deutlich glaubwürdiger präsentiert habe. Zudem sei es nicht unplausibel, dass sie beispielsweise nicht sofort die Flucht ergriffen oder die Polizei gerufen habe. Anders als vom Angeklagten behauptet, gebe es in solchen Momenten kein „normales“ Verhalten. Jede Person reagiere anders.

Saenger, der monatlich eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 1.200 Euro erhält, wurde zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Er ist nicht vorbestraft. Rechtskräftig ist das Urteil allerdings noch nicht. Der Verurteilte hat noch im Gerichtssaal angedeutet, Rechtsmittel einzulegen.

*Namen geändert

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