Ein Verfahren, das sich äußerst zäh durch die letzten Jahre zog, endete am Mittwoch wieder mit einem Schuldspruch wegen Landfriedensbruchs: Über neun Jahre nach dem Überfall Rechtsextremer und Hooligans auf Connewitz wurde ein damals mutmaßlich beteiligter JVA-Beamter zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt. Mit dem Urteil könnte er seinen Beamtenstatus eventuell behalten.

Kersten H. ist schuldig des Landfriedensbruchs: Dieses Urteil verkündete eine Berufungskammer des Leipziger Landgerichts am Mittwochmittag. Der 39-jährige Familienvater aus Leipzig erhielt dafür elf Monate Haft auf Bewährung. Drei Monate gelten wegen des langen Verfahrens als vollstreckt. Für die Richter war im neuerlichen Prozess erwiesen, dass sich der JVA-Schließer am Überfall von etwa 250 rechtsgerichteten Personen auf den Connewitzer Szenekiez vor über neun Jahren beteiligt hatte, indem er zumindest, wenn auch ohne nachweisbare Gewaltausübung, bewusst Teil der Menge war.

Der Überfall auf Connewitz bleibt im Gedächtnis

Am Abend des 11. Januar 2016, dem ersten Legida-Jahrestag, hatten die Aggressoren im linksalternativen Viertel entlang der Wolfgang-Heinze-Straße eine Schneise der Verwüstung hinterlassen, Passanten bedroht, parkende PKW und Geschäfte zertrümmert. Auf etwa 113.000 Euro wurde der Sachschaden später geschätzt.

Auch Kersten H. befand sich unter der Masse an über 200 meist ortsunkundigen Personen, die herbeigeeilte Polizisten an jenem kalten Januarabend schnell einkesseln und in einer Seitenstraße festsetzen konnten. Der frühere Bundeswehrsoldat und Afghanistan-Veteran war zu dieser Zeit als Beamter im Strafvollzug tätig. Obwohl seine Personalien aufgenommen wurden, fiel der damals 30-Jährige durch das Behördenraster, konnte weiter Dienst tun und bewachte offenbar sogar inhaftierte Neonazis. Erst Anfang 2019 wurde er suspendiert, als er sich wegen einer Gerichtsvorladung bei seinem Chef outen musste.

Was wird aus dem Beamtenstatus?

Dem heutigen Urteilsspruch war seit 2019 ein Justizmarathon vorausgegangen. Ein erstes Urteil des Amtsgerichts vom Februar 2022, ein Jahr und drei Monate auf Bewährung, wurde ein Fall für die nächsthöhere Instanz, weil der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung einlegten.

Das Urteil des Landgerichts vom Juni 2023, ein Jahr und fünf Monate Haft auf Bewährung, focht der Angeklagte erfolgreich an: Das Oberlandesgericht hob die Entscheidung wegen mangelnder Beweiswürdigung auf und wies einen neuen Prozess vor einer anderen Kammer des Landgerichts Leipzig an. Ende 2024 fiel der Termin krankheitsbedingt aus. Erst ab 27. März 2025 schließlich wurde der Fall wieder neu aufgerollt.

Für Kersten H. ging es vor allem um die berufliche Zukunft: Eine Verurteilung zu über einem Jahr Freiheitsstrafe würde laut Gesetz für ihn zwingend den Verlust seines Beamtenstatus bedeuten. Dies wäre mit dem jetzigen Strafmaß, sollte es Bestand haben, wieder offen.

Die Sache mit dem Meteoriten

Der Streitpunkt, ob Kersten H. Teil der Gruppierung war, die am Tatabend durch Connewitz zog, wurde auch im jetzigen Prozess mit einem klaren „Ja“ beantwortet: „Wir hatten keine Anhaltspunkte, dass sie zufällig in dieses Geschehen geraten sind“, sagte der Vorsitzende Richter Berthold Pfuhl am Mittwoch zum Angeklagten.

Die Wahrscheinlichkeit dafür wurde durch Polizeibeamte, die am Einsatz beteiligt waren, als äußerst gering eingeschätzt, zumal allein wegen der kalten Witterung nur wenig los war. Niemand habe geltend gemacht, dass er als Unbeteiligter in den Kessel geriet, so hieß es. Dazu ergäbe die Annahme, dass sich Außenstehende überhaupt einem laut grölenden und aggressiven, teils bewaffneten Mob annähern, wenig Sinn.

Wenn zwei in einen Wald gingen, einer am Ende erschlagen daliegt und der andere sich entfernt, wäre es auch möglich, dass das Opfer von einem Meteorit getroffen wurde. Naheliegender sei aber ein anderer Schluss: Ebenso wie in diesem Bild könne auch ein Gericht nicht die für den Angeklagten günstigste Version annehmen, solange sie lebensfern scheint und es für sie keinen Hinweis gibt, argumentierte Richter Pfuhl.

Gericht geht von günstiger Sozialprognose aus

Für Kersten H. der sich nicht zum Tatvorwurf äußern wollte, sprach aus Sicht der Kammer gleichwohl, dass er keine Vorstrafen hat, das Verfahren schon sehr lange andauert und von einer günstigen Sozialprognose auszugehen sei. „Wir erwarten nicht, dass sie im Laufe der Bewährungszeit nochmal straffällig werden.“

Außerdem habe er bereits disziplinarische Folgen zu spüren bekommen und sei wohl auch keine Führungsfigur gewesen. Die Kammer ging in der Summe von keinem besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs aus.

Mit der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung blieb das Gericht jetzt unterhalb von einem Jahr und fünf Monaten – so die Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung wollte auf einen Freispruch hinaus.

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