Mehr als sieben Jahre ist es her: Anfang 2016 überfielen über 250 Hooligans und Neonazis den linken Szenekiez in Leipzig-Connewitz, richteten eine Schneise der Verwüstung an. Auch ein Beamter des Strafvollzugs soll sich damals an den Krawallen beteiligt haben. Gegen das Urteil aus 2022 wehren sich sowohl der inzwischen 37-Jährige als auch die Staatsanwaltschaft. Am Dienstag startete der Berufungsprozess.

Er soll unter den rund 250 Neonazis und Hooligans gewesen sein, die am Abend des 11. Januar 2016 grölend und bewaffnet durch die Wolfgang-Heinze-Straße in Connewitz gezogen waren: Der heute 37-jährige Kersten H. befand sich in der Masse, die durch Einsatzkräfte der Polizei in der Auerbachstraße eingekesselt worden war, nachdem der Mob 25 Schaufenster und Ladengeschäfte attackiert hatte, dazu zig Autos demoliert, Passanten eingeschüchtert und bedroht. Der Sachschaden betrug mindestens 110.000 Euro.

Dass Kersten H. als Beamter im sächsischen Strafvollzug arbeitete und seinen Dienst bis Anfang 2019 unbehelligt weiter versehen konnte, war ein Grund, weshalb sich die Behörden des Freistaats unangenehmen Fragen ausgesetzt sahen. Dabei wiegen die Vorwürfe schwer, nicht nur unter dem Gesichtspunkt, dass von einem Beamten besondere Treue zu Staat und Verfassung verlangt wird: „Dem Angeklagten kam es darauf an, mit anderen Personen gewalttätig zu handeln und möglichst großen Schaden anzurichten“, heißt es im erstinstanzlichen Urteil, das der Vorsitzende Richter Klaus Kühlborn am Dienstag im Landgericht verlas.

Verdächtiger JVA-Beamter schweigt weiter

Das Amtsgericht hatte Familienvater Kersten H. Anfang Februar 2022 zu 15 Monaten Haft auf Bewährung wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt. Sowohl der 37-Jährige als auch die Staatsanwaltschaft legten dagegen Berufung ein: Während Kersten H. schon in erster Instanz um einen Freispruch kämpfte, will die Staatsanwaltschaft noch ein höheres Strafmaß erreichen.

Für den seit Anfang 2019 vom Dienst suspendierten Kersten H., der sich erst kurz vor einem Gerichtstermin seinem Chef offenbart hatte, würde eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr, auch bei Bewährung, das Aus seiner Beamtenlaufbahn bedeuten. Das Amtsgericht hatte in seinem Urteil keinen Zweifel an einer Tatbeteiligung von Kersten H. gesehen, auch wenn dem Vater zweier Kleinkinder konkrete Gewalthandlungen nicht nachzuweisen waren. Der aktuellen Rechtsprechung nach reicht es für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs aber schon aus, sich aus einer gewalttätigen Gruppierung nicht zu entfernen.

Kersten H. machte am Dienstag, wie bereits im ersten Prozess, von seinem Schweigerecht Gebrauch. Sein Anwalt Helmut-Hartwig Heuer betonte, das Geschehen in Connewitz an sich nicht abzustreiten, doch in Bezug auf seinen Mandanten äußerte der Verteidiger Zweifel. „Die einzige Frage ist: Wo war er? Das ist für mich ein Rätsel.“

„Man hat das relativ locker gesehen“

Bereitschaftspolizist Stefan F. schilderte im Zeugenstand die bereits altbekannten Fakten vom Abend: Während sich viele Bewohner aus Connewitz zum Jahrestag der rechten Legida-Bewegung in der City zum Gegenprotest befunden hatten, erhielten F. und seine Kollegen den Auftrag, gen Süden zu fahren, weil sich dort eine gewalttätige Spontanversammlung befände. „Wir sind davon ausgegangen, dass es sich um eine linke Gruppierung handelt“, so der Polizist am Dienstag.

Befürchtet worden sei ein Angriff auf den Connewitzer Polizeiposten. Doch bei der Festsetzung der meist ortsunkundigen Angreifer in der Auerbachstraße wurde klar, dass es sich um rechtsextreme Täter handelte. „Die Stimmung in dieser Gruppe war gelöst, nicht fröhlich, aber entspannt. Man hat das relativ locker gesehen, dass man von der Polizei festgesetzt wurde“, sagte der Polizeizeuge.

Niemand der Festgenommenen habe geltend gemacht, nur zufällig in den Polizeikessel geraten zu sein. Ganz auszuschließen sei es nicht, so Stefan F., aber die Straße sei an jenem kalten Januarabend leer gewesen und mithin keiner da, den die Festnahme unbeabsichtigt hätte treffen können. „Rundherum war nichts.“

Der Berufungsprozess wird fortgesetzt; es ist ein weiterer Termin für den 8. Juni geplant.

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