Vor über sechs Jahren überfielen mehr als 250 Hooligans und Neonazis den Leipziger Stadtteil Connewitz. Am Freitag verurteilte das Leipziger Amtsgericht nun einen 36-Jährigen, dessen damalige Beteiligung als erwiesen gesehen wurde, wegen Landfriedensbruchs. Das Unfassbare: Der Mann war bereits damals Beamter im Strafvollzug und konnte zunächst problemlos seinen Dienst fortsetzen. Doch nun könnte er seinen Job endgültig los sein.

Kersten H. ist des Landfriedensbruchs schuldig – zu diesem Schluss kam das Leipziger Amtsgericht am Freitag und verurteilte den suspendierten JVA-Mitarbeiter zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten – ausgesetzt zur Bewährung. Dazu kommen die Verfahrenskosten und eine Zahlung von 3.000 Euro an das DRK als Auflage.Amtsrichterin Lena Bilstein, die auf das hohe Gefahrenpotenzial des brutalen Überfalls hinwies, hatte keinerlei Zweifel, dass der Familienvater Teil jener geschätzt 250–300 Mann starken Gruppierung aus dem Neonazi-Spektrum war, die am Abend des 11. Januar 2016 über den linksalternativen Stadtteil Connewitz im Süden von Leipzig herfiel.

Während sich damals viele Bewohnerinnen und Bewohner aus dem bekannten Szenekiez zum Protest gegen den Jahrestag der rechten Legida-Bewegung in der City zusammenfanden, zog die Meute mit Äxten, Baseballschlägern und Pyrotechnik über die Wolfgang-Heinze-Straße, bedrohte und attackierte andere Menschen, schlug Autos und Schaufensterscheiben kaputt. Der Sachschaden wurde später mit etwa 113.000 Euro beziffert.

Trotz Ermittlungen weiter als Beamter tätig

Die anrückende Polizei konnte die Angreifer, viele von auswärts und ohne Ortskenntnis, verhältnismäßig leicht in einer Seitenstraße einkesseln. Unter den Festgesetzten befand sich seinerzeit auch der damals 30-jährige Kersten H., schon damals als Beamter im sächsischen Strafvollzug tätig.

Trotz der laufenden Ermittlungen konnte H. zunächst unbehelligt seiner Arbeit weiter nachgehen, unter anderem bewachte er selbst inhaftierte Neonazis in den Gefängnissen Leipzig und Bautzen. Laut Justizministerium Sachsen gab der junge Mann zunächst einen früheren Beruf an, auch seien Daten falsch übermittelt worden. Vom Dienst suspendiert wurde Kersten H. erst, als er sich Ende 2018 seinem Chef offenbarte und über den bevorstehenden Prozess sprach.

Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert

Der sollte sich dann noch mehrfach verschieben. Zuletzt kassierte H. Anfang 2020 sogar einen Haftbefehl, weil er seinem Prozesstermin unter Verweis auf einen Magen-Darm-Infekt fernblieb und sogar seinen eigenen Verteidiger sitzenließ – ein Attest lag dem Gericht jedoch nicht vor.

Im nun seit Dienstag laufenden Prozess hatte sich H. in Schweigen gehüllt. Das heutige Urteil ist noch nicht rechtskräftig – H.s Anwalt Helmut-Hartwig Heuer hatte auf Freispruch plädiert, weil die Beweise für eine Beteiligung nicht ausreichten.

Tatsächlich war H. offenbar auf keinem der Polizeivideos eindeutig zu erkennen. Dies ist allerdings keine Bedingung, um wegen Landfriedensbruchs verurteilt zu werden: „Ostentatives Mitmarschieren“ in einer gewalttätigen Gruppe reicht dem Gesetzgeber nach aus.

Strafe bedeutet Jobverlust

Gegen die Entscheidung kann innerhalb einer Woche Berufung oder Revision eingelegt werden. Da sich der Angeklagte, anders als zahlreiche weitere mutmaßliche Täter, auf keinen „Deal“ mit dem Gericht einließ, dürfte eine neue Runde am Landgericht, der nächsthöheren Instanz, wohl wahrscheinlich sein.

Nicht zuletzt deswegen, weil das Gesetz eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei einer vorsätzlich begangenen Straftat mit einer Sanktion von einem Jahr Freiheitsstrafe oder mehr zwingend vorsieht.

Die Aussetzung zur Bewährung spielt hierbei keine Rolle. Wenn das Strafmaß also Bestand hat, wäre Kersten H. seine Stellung und auch die resultierenden Versorgungsansprüche endgültig los und könnte faktisch nicht mehr in eine ähnliche Position zurückkehren.

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