Vor fast genau einem Jahr sorgte das Amtsgericht für einen Paukenschlag, indem es gleich im ersten Prozess zum rechtsradikalen Angriff auf Connewitz zwei junge Männer in Haft schickte. Das Landgericht jedoch hob dieses Urteil nun auf - gegen den Willen des Staatsanwalts, der in seinem Plädoyer ungewohnt deutliche Worte fand.

Nach nur etwa zweieinhalb Stunden inklusive Pause fiel am Montag, 19. August 2019, der Hammer: Dennis W. (27) und Martin K. (27) wird der Gang ins Gefängnis für ihre Beteiligung am brutalen Hooligan-Überfall auf Connewitz vor mehr als dreieinhalb Jahren wahrscheinlich erspart bleiben.

Fast genau ein Jahr ist es her, dass beide im allerersten Prozess zu den Geschehnissen überhaupt vor dem Amtsgericht schwiegen. Amtsrichter Marcus Pirk hatte sie daraufhin wegen schweren Landfriedensbruchs zu je einem Jahr und acht Monaten Haft verurteilt: Beide hätten durch ihr Mitlaufen wesentlich zum Gelingen der Aktion beigetragen, eine Bewährungsstrafe sei dem Bürger nicht mehr zu vermitteln. Die Männer legten gegen das Urteil Berufung ein, sodass es zu einem neuen Prozess kam.

Da Dennis W. und Martin K., deren Verteidiger in erster Instanz noch einen Freispruch erringen wollten, sich nun formell schuldig bekannten, wurde die Frage nach einer Bewährungschance am Montag zum Dreh- und Angelpunkt der neuen Verhandlung. Staatsanwalt Christoph Brückner signalisierte früh, dass dies mit ihm nur gegen ein glaubhaftes Geständnis zu machen sei.

„Bin halt mitgelaufen“

Seine Nachfragen zum Tatabend riefen aber denkbar einfältige Antworten hervor: Ob er jemanden aus der Gruppe gekannt habe, wollte er vom Angeklagten Martin K. wissen. „Nein.“ Habe er eine Vermummung oder den Einsatz von Äxten, Baseballschlägern oder Pflastersteinen mitbekommen? „Nein.“ Wie habe er von der Aktion erfahren? „Es gab einen Anruf und ich bin mitgegangen.“ Habe er die Gruppe als rechtsgerichtet erkannt? „Keine Ahnung.“ Warum sei er dabei gewesen, wenn er angeblich niemanden kennt? „Bin halt mitgelaufen.“

Mit ähnlicher Einsilbigkeit ließ sich auch Dennis W. auf die Fragen ein: Habe er etwas gehört? „Laute Rufe, ich weiß nicht mehr, was.“ Wie würde er die Gruppierung auf der Wolfgang-Heinze-Straße beschreiben? Waren es Hooligans? „Kann ich Ihnen nicht sagen.“ Gehöre er selbst dieser Szene an? „Ich halte mich da nicht auf.“

Staatsanwalt: „Das ist Straßenterrorismus“

In seinem Plädoyer beantragte Staatsanwalt Brückner daraufhin, an der Haftstrafe festzuhalten. Das Gefährdungspotenzial des rechtsradikalen Mobs habe in Connewitz weit über dem üblichen Maß gelegen, friedliche Bewohner des linksalternativen Stadtteils seien nach einem gezielten Plan tyrannisiert worden. „Das Ziel des Aufzugs war die Zerstörung und die Einschüchterung Andersdenkender durch martialisches Auftreten im Feindesland Connewitz. Sie haben sich in der großen Gruppe stark gefühlt. Das ist Straßenterrorismus, dem dringend Einhalt geboten werden muss.“

Die dürren Geständnisse kritisierte der Ankläger als unzureichend: „Sie haben sich hinter Worthülsen verschanzt, es war blutleer, detailarm und vom Bestreben getragen, sich möglichst weit herauszuhalten“, hielt der den Angeklagten vor.

Die Verteidiger plädierten dagegen für geringere Strafen auf Bewährung. Beide Angeklagte seien nicht vorbestraft und stünden in festen Arbeitsverhältnissen, ihnen sei lediglich anzulasten, die Gruppe nicht verlassen zu haben. Ihr Mandant bereue seine Tat und würde nicht wieder mitlaufen. Zudem habe es bereits Einschnitte in seinem Leben gegeben, indem dem Lageristen ein früherer Arbeitgeber wegen des Strafverfahrens gekündigt habe, sagte Rechtsanwältin Katrin Stärk über ihren Mandanten Martin K.: „Er ist immer ein strebsamer Bürger gewesen. Das Verfahren hat ihn sehr belastet.“

Auch Rechtsanwalt Veiko Rabe bezeichnete seinen Klienten Dennis W. als „vollkommen unbeschriebenes Blatt“, der seine Beteiligung bereue, einer festen Arbeit nachgehe und als Vater eines fünf Jahre alten Mädchens voll ins Sozialleben integriert sei. Zudem monierte die Verteidigung die „Repressalien“ über die Thematisierung der Täter in Internet-Plattformen und Demonstrationen, bei denen die Gesichter von Tatverdächtigen offen gezeigt wurden.

Bewährung mit Arbeitsauflage

Die Kammer griff diese Argumente in ihrer Urteilsbegründung auf. Neben den fehlenden Vorstrafen sei den Angeklagten anzurechnen, den Berufungsprozess durch formale Geständnisse wesentlich abgekürzt zu haben, auch seien sie eher nicht als Hintermänner oder Rädelsführer einzustufen. Beide hätten eine positive Sozialprognose, die eine Bewährung erlaube, die Tat liege außerdem schon lange zurück. „Die Angeklagten müssen eine Chance verdient haben“, sagte der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn. Die zwanzig Monate blieben bestehen, wurden aber zur Bewährung ausgesetzt. Beide Männer sollen als Auflage 150 gemeinnützige Arbeitsstunden leisten und müssen einen Anteil der Verfahrenskosten zahlen.

Selbst in ihren Schlussworten hatten Dennis W. und Martin K. kein wirkliches Bedauern erkennen lassen. Sie würden sich ihren Verteidigern anschließen, sagten sie lapidar und beließen es dabei.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Staatsanwalt Brückner teilte auf L-IZ-Nachfrage mit, eine Revision zu prüfen.

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Es gibt 2 Kommentare

Guten Abend Ellen,

vielen Dank für Ihren Kommentar.

Tattoos waren in der benannten Gerichtsverhandlung kein Thema. Allerdings bin ich mir auch gar nicht sicher, ob speziell diese beiden Herren überhaupt welche hatten – ich kann mich zumindest an keine sichtbaren erinnern. Insofern hat sich die Frage hier nicht gestellt.

Beste Grüße auch im Namen der L-IZ
Lucas Böhme

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