Nach nicht einmal zweieinhalb Stunden endete am Donnerstag der nach externen Zählungen inzwischen 23. Prozess zum rechtsradikalen Überfall auf Connewitz vom Januar 2016. Die beiden Angeklagten legten Geständnisse ab und äußerten ihr Bedauern. Doch gesicherte Textnachrichten lassen einige Fragen offen.

25 attackierte Wohnungen, Bars und Geschäfte, 18 beschädigte PKW, 113.000 Euro Gesamtschaden: Minutenlang listete Staatsanwältin Katharina Paproth auf, was die mindestens 250 Angreifer mit Äxten, Eisenstangen und Teleskopschlagstöcken am 11. Januar 2016 während des ersten Jahrestags von Legida an der Wolfgang-Heinze-Straße in Connewitz anrichteten.

Teilnahmslos hörten die Angeklagten Tim Z. (30) und Silvio P. (32) zu. Beide gehörten zu der Gruppe von 215 Männern, die nach einigen Minuten durch die herbeigeeilte Polizei eingekesselt und festgenommen wurden. Gemäß eines zuvor mit dem Gericht ausgehandelten Deals gaben beide Angeklagte Geständnisse ab, um die umfangreiche Beweisaufnahme abzukürzen und sich den möglichen Gang ins Gefängnis zu ersparen.

Doch bei den konkreten Nachfragen zu den Hintergründen des Geschehens gaben sie sich eher einsilbig. Er habe durch den „Buschfunk“ von der geplanten Aktion erfahren und sei daraufhin mit seinem Auto und dem Mitangeklagten von Dresden nach Leipzig gefahren, sagte Tim Z. aus. Er habe selbst nichts beschädigt und niemanden verletzt, man sei nur der Masse hinterhergelaufen. Allerdings reicht es für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs rechtlich aus, sich aus einer gewalttätigen Gruppierung nicht zu entfernen und sie somit in ihrem Tun zu bestärken. Er habe sich aus Angst und Ortsunkundigkeit nicht getraut, die Gruppe zu verlassen, so der 30-jährige.

Auch der 32-jährige Silvio P., der Tim Z. aus seinem Freundeskreis kennt, trug kaum mehr zur Erhellung der Abläufe bei, als den Ermittlern ohnehin bekannt ist. Weder die Staatsanwältin noch Amtsrichter Marcus Pirk nahmen ihm seine Version ab, man habe lediglich den Besuch des Leipziger Pegida-Ablegers zu dessen erstem Jahrestag geplant. Dagegen sprach nicht nur, dass die PKW am Stadtrand und daher fernab der Legida-Versammlung im Zentrum geparkt wurden.

Staatsanwältin Paproth las dem verlegenen Silvio P. Textnachrichten vor, die zwei Tage vor dem Angriff von seinem Handy aus an einen Bekannten verschickt wurden: „Überleg’ dir das bitte genau. Wir haben was vor, was wirklich behindert ist und definitiv in die Hose gehen wird.“ Weitere SMS legen nahe, dass die Angreifer etwas anderes planten und damit rechneten, „Ärger mit den Bullen“ zu bekommen.

Amtsrichter Pirk verhängte gegen Tim Z. ein Jahr und 5 Monate Haft, der mehrfach vorbestrafte Silvio P. erhielt anderthalb Jahre. Beide Sanktionen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Zudem müssen die Männer 2.000 Euro bzw. 1.400 Euro an die Staatskasse entrichten. In seiner Urteilsbegründung kritisierte Pirk die eher dürftigen Geständnisse, rechnete aber an, dass dies dem Gericht eine umfangreichere Beweisaufnahme und den etwa ein Dutzend Zeugen eine Vorladung erspart hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte je anderthalb Jahre Haft auf Bewährung, die Verteidigung mildere Strafen gefordert.

Beiden Angeklagten sei bewusst gewesen, wie gefährlich ihr Verhalten war: „Es hätte ein Armageddon mit Toten, Verletzten und Unbeteiligten passieren können.“ Dass die Männer dennoch an der Aktion teilnahmen, erinnere ihn an ein „Kleinkind, was partout nicht davon abzuhalten ist, auf die heiße Herdplatte zu fassen“, erregte sich Pirk.

Die politische Gesinnung von Tim Z. und Silvio P. war während der knapp zweistündigen Verhandlung faktisch kein Thema. Beide Männer bekannten sich auf Nachfrage lediglich dazu, schon vor dem Überfall Pegida-Demonstrationen besucht zu haben. In ihren Schlussworten äußerten sie ihr Bedauern. Silvio P. sprach leise von einer „Dummheit, die definitiv nicht mehr vorkommen“ werde.

Nach Auskunft von Pirk sind fast genau ein Jahr nach dem Auftakt des Prozessmarathons derzeit noch etwa 70 weitere Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Überfall auf Connewitz am Amtsgericht anhängig. Aus Kapazitätsgründen müssen sich zumeist zwei Angeklagte in einem Prozess verantworten. Bereits in der kommenden Woche soll es neue Verhandlungen geben. Zudem laufen aktuell Verfahren mit Angeklagten, die sich auf kein Geständnis einlassen wollen und um einen Freispruch kämpfen.

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Überfall auf Connewitz (1): Die Spur der Täter

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