Brutal, unfassbar, manchmal tragisch – es waren nicht wenige Tötungsverbrechen, mit denen sich Leipzigs Gerichte in diesem Jahr wieder befasst, über Konsequenzen für die mutmaßlichen Täter entschieden und so „Im Namen des Volkes“ Recht gesprochen haben. Zum Ausklang des Jahres gibt die Leipziger Zeitung einen Rückblick auf ein paar ausgewählte Kriminalfälle, die 2022 vor Gericht mit einem Urteil zu Ende gegangen sind.

Der Auwald-Mord, der brutale Tod einer Lindenauerin oder der schwere Unfall auf der Prager Straße vom Frühjahr 2021: Dies waren beispielhaft einige der Fälle, welche die Gemüter erregt und die Öffentlichkeit massiv aufgewühlt haben.

Doch während der mediale Hype irgendwann abflaut, bleiben Menschen zurück, deren Leben nicht mehr das Gleiche ist, oft für immer zerstört. Und manchmal kann auch ein Strafprozess die Frage, warum genau es zu einer bestimmten Tat kam, nicht völlig beantworten.

Tödliche Schüsse in Gohlis

Mehrere Schüsse hatten die Menschen im eher ruhigen Gohlis am Morgen des 19. August 2019 gegen 3.30 Uhr aus ihrem Schlaf gerissen. Kurz vorher war der später verurteilte Mariglen M. mit dem Betreiber eines Lokals auf der Georg-Schumann-Straße in Streit geraten. Der junge Gastwirt Emrah K. wurde von einem Schuss direkt ins Herz getroffen und brach noch vor Ort tot zusammen, er wurde nur 24 Jahre alt.

Gestand die tödlichen Schüsse: Mariglen M. (36, r.) mit seinem Verteidiger Stephan Bonell. Foto: LZ
Gestand die tödlichen Schüsse: Mariglen M. (36, r.) mit seinem Verteidiger Stephan Bonell. Foto: LZ

Im Prozess vor dem Leipziger Landgericht legt der 36-jährige Täter ein Geständnis ab und bedauert das Geschehene. Er habe im Alkohol- und Drogenrausch geglaubt, sein Kontrahent werde ihn erschießen, als der mit einer Softair-Waffe vor ihm auftauchte, gibt er zu Protokoll.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann dagegen eine gezielte Ermordung des Kneipers vor, weil der im Streit nicht nachgab. Anfang Januar 2022 kommt Mariglen M. mit zehn Jahren und sieben Monaten Gefängnis relativ glimpflich davon – die Anklage wollte ihn lebenslang hinter Gittern sehen.

Der Albaner, der nach der Tat geflüchtet und erst über ein Jahr danach von Zielfahndern in Spanien gefasst worden war, hatte mehrfach versichert, sein Opfer nicht gekannt zu haben. Spekulationen über mögliche Drogendeals als Hintergrund spielten im Prozess keine Rolle.

JVA-Beamter auf der Anklagebank

Mehr als sechs Jahre nach dem Überfall von über 250 Hooligans und Neonazis auf den linksalternativ geprägten Leipziger Stadtteil Connewitz verurteilt das Amtsgericht Leipzig einen 36-jährigen Familienvater am 4. Februar wegen Landfriedensbruchs zu einem Jahr und drei Monaten Haft – ausgesetzt zur Bewährung.

15 Monate auf Bewährung: Kersten H. (r.) beim Prozessauftakt mit seinem Rechtsanwalt Helmut-Hartwig Heuer. Foto: Lucas Böhme
15 Monate auf Bewährung: Kersten H. (r.) beim Prozessauftakt mit seinem Rechtsanwalt Helmut-Hartwig Heuer. Foto: Lucas Böhme

Das Brisante: Der mutmaßlich beteiligte Kersten H. war bis zu seiner Suspendierung trotz laufenden Verfahrens noch drei Jahre als Beamter im Strafvollzug tätig, bewachte dort auch inhaftierte Neonazis – ein absolutes Behörden-Desaster.

Das Verfahren verzögerte sich immer wieder, zuletzt überraschte H. Anfang 2020 selbst seinen eigenen Anwalt, als der im besetzten Gerichtssaal vergebens auf seinen Mandanten wartete. Mit dem verhängten Strafmaß von über einem Jahr wäre Kersten H. seinen Beamtenstatus, der eine besondere Verfassungstreue voraussetzt, und die anhängenden Versorgungsansprüche laut Gesetz für immer los.

Das letzte Wort ist hier allerdings bis heute nicht gesprochen – Verteidigung und Staatsanwaltschaft haben Berufung gegen das Urteil eingelegt, ein neuer Prozess steht noch aus.

Verurteilter Totschläger geht auf Nachbarin los

Er stach auf eine Frau ein, sie überlebte nur durch Glück – nun muss er womöglich bis an sein Lebensende ins Gefängnis. Am 28. Juli 2021 hatte Manfred F. (65) einer Nachbarin (42) in einem Schleußiger Mehrfamilienhaus aufgelauert und die arglose Frau mit einem Küchenmesser attackiert, als sie gerade im Begriff war, ihre Wohnungstür aufzuschließen. Das schwerverletzte Opfer rettete sich mit letzter Kraft die Treppe nach oben, wohin ihm der körperlich angeschlagene Angreifer nicht folgen konnte, und setzte einen Notruf ab.

Der Angeklagte Manfred F. (65, r.) wird in den Verhandlungssaal geführt. Er sitzt seit der Tat in Untersuchungshaft. Foto: Lucas Böhme
Der Angeklagte Manfred F. (65, r.) wird in den Verhandlungssaal geführt. Er sitzt seit der Tat in Untersuchungshaft. Foto: Lucas Böhme

Es tue ihm leid, stammelt der Angeklagte im Prozess, lässt seine Anwältin eine Erklärung verlesen. Demnach habe er einst ein freundschaftliches Verhältnis zum Opfer gehabt, die Krankenschwester half ihm immer wieder im Alltag. Doch dann habe er den Eindruck gehabt, sie rede schlecht über ihn, so der alleinstehende Witwer, dessen Biografie von Kriminalität und Alkoholismus durchzogen ist. Die Nachbarin dagegen fühlte sich zuletzt derart bedroht und verfolgt, dass sie ein Annäherungsverbot gegen den Senior erwirkte.

Schon 1998 hatte Manfred F. einen Kumpel in Leipzig erstochen. Wegen Totschlags wurde er damals zu zwölf Jahren verurteilt, saß bis 2007 ein. Zwölf Jahre wegen versuchten Mordes verhängt am 4. Februar auch das Landgericht und ordnet obendrauf den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung an: Sofern Manfred F. angesichts seiner kriminellen Vorgeschichte weiter als gefährlich eingestuft wird, könnte es sein, dass er das Gefängnis nie mehr lebend verlässt.

Ermordete Myriam Z.: Entscheidung im konfliktreichen Auwald-Prozess

Dieser Prozess schien nie enden zu wollen. Seit Oktober 2020 verhandelte das Landgericht gegen Edris Z., der seine Ex-Partnerin Myriam Z. am 8. April des gleichen Jahres im Leipziger Auwald mit mehreren Hammerschlägen attackiert hatte. Die frischgebackene Mutter, die gerade mit ihrem wenige Wochen alten Mädchen spazieren ging – dieses blieb unverletzt – starb mit nur 37 Jahren im Krankenhaus. Das Motiv: Myriam hatte sich gegen Nachstellungen ihres Ex-Freundes gewehrt und ein Annäherungsverbot gegen ihn erwirkt, so das Gericht.

Der mutmaßliche Mörder Edris Z. (damals 31) beim Prozessauftakt 2020. Foto: Lucas Böhme
Der mutmaßliche Mörder Edris Z. (damals 31) beim Prozessauftakt 2020. Foto: Lucas Böhme

Lautstarke Auseinandersetzungen und Konflikte im Gerichtssaal prägten den langen Strafprozess gegen Edris Z. – vor allem der aggressive Auftritt seiner Verteidigung gegen Belastungszeugen aus dem Umfeld des Opfers sorgte für Kopfschütteln und Entsetzen. Eris Z. selbst schwieg auf Rat seiner Anwälte durchweg.

Am Ende nützt es ihm nichts – die Kammer verurteilt Edris Z. am 23. Februar zu lebenslanger Haft wegen Mordes. An einer besonderen Schwere der Schuld schrammt der 32-Jährige knapp vorbei. Damit könnte er nach 15 Jahren freikommen.

Störmthaler ersticht schwerkranke Ehefrau

35 Jahre verheiratet, drei Kinder, Eigenheim in Störmthal – doch hinter der Fassade von Klaus-Peter S. (65) und seiner Frau Gertrud (60) brodelte es, ständig gab es Krach in der Familie. Die Ehefrau galt laut Aussage eines Sohnes als dominant und herrisch. Als 2021 bei ihr Krebs ohne Chance auf Heilung festgestellt wurde, wollte sie nur noch nach Hause und in gewohnter Umgebung sterben.

Gestand die Tötung seiner Ehefrau: Klaus-Peter S. (65), hier beim Prozessbeginn mit seiner Verteidigerin Dorothea Stöckchen. Foto: Lucas Böhme
Gestand die Tötung seiner Ehefrau: Klaus-Peter S. (65), hier beim Prozessbeginn mit seiner Verteidigerin Dorothea Stöckchen. Foto: Lucas Böhme

Klaus-Peter S. pflegte seine Gattin seit Sommer 2021. Offenbar war ihr Meckern über ein zu kross gebackenes Frühstücksbrötchen der Auslöser, dass ihr Mann, überfordert durch die Situation, Behördenpost und Haushalt, am 3. September 2021 plötzlich wie von Sinnen mit einem Messer auf die im Bett liegende Gertrud S. einstach. 14 Stiche ließen dem Opfer keine Überlebenschance. Klaus-Peter S. selbst rief dann die Polizei und ließ sich ohne Widerstand festnehmen. „Ich war wie weg“, sagt der Schlosser später vor Gericht.

Das Landgericht Leipzig fällt ein äußerst mildes Urteil: Wegen Totschlags in einem minderschweren Fall wird Klaus-Peter S. am 10. Mai dreieinhalb Jahre in Haft geschickt – selbst seine Verteidigerin hatte auf vier Jahre plädiert.

Der Bombenbauer vom Zentrum-West

Zwischen Juni und September 2021 legte er selbstgebaute Sprengfallen an mehreren Orten im Zentrum-West ab, zwei unbeteiligte Passanten wurden durch Explosionen verletzt – und es hätte noch schlimmer enden können. Am Ende flog er auf, nachdem ein weiterer Sprengsatz in seiner eigenen Wohnung detoniert war und er sich selbst Verbrennungen zugezogen hatte.

Florian O., hier mit seiner Verteidigerin Henrike Wittner, bat Opfer und Öffentlichkeit um Entschuldigung für seine Taten. Foto: Lucas Böhme
Florian O., hier mit seiner Verteidigerin Henrike Wittner, bat Opfer und Öffentlichkeit um Entschuldigung für seine Taten. Foto: Lucas Böhme

Im zweitägigen Prozess am Landgericht legt der 34-jährige Florian O. über seine Verteidigerin ein Geständnis ab, sagt 6.000 Euro Entschädigung an eines der Explosionsopfer zu und bittet um Entschuldigung. Der Informatiker gilt seit seiner Kindheit als passionierter Bastler, verschroben und eigenbrötlerisch. Was den nicht vorbestraften Einzelgänger zu seinem Handeln trieb, bleibt auch für die Strafkammer ein Rätsel – er selbst kann oder will sich nicht dazu äußern.

Der ungewöhnliche Fall endet am 21. Juni mit einem Strafmaß von fünfeinhalb Jahren unter anderem wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Florian O. kündigt an, in Haft eine Sozialtherapie absolvieren zu wollen.

Abfuhr als Todesurteil – der Mord an Dorin V.

Ende 2021 erschütterte der gewaltsame Tod der 43-jährigen Dorin V. aus Lindenau die Stadt. Ein Freund fand die Event-Managerin kurz nach Weihnachten erwürgt in ihrer Wohnung, die Ermittler fassten mit Marcus W. schnell einen Verdächtigen.

Der 40-Jährige wohnte unweit vom Tatort, er kannte das Opfer seit April 2021 durch eine Dating-App und entwickelte beim ersten Treff sofort starke Gefühle für Dorin. Sie war aus seiner Sicht nicht weniger als die Traumfrau für eine gemeinsame Zukunft.

In Handschellen zum Verhandlungstermin: Marcus W. wird am 1. Juli aus der Untersuchungshaft in den Gerichtssaal geführt. Foto: Lucas Böhme
In Handschellen zum Verhandlungstermin: Marcus W. wird am 1. Juli aus der Untersuchungshaft in den Gerichtssaal geführt. Foto: Lucas Böhme

Sie jedoch erwiderte die heftige Zuneigung ihres Bekannten nicht, traf einen anderen Mann und lehnte eine engere Beziehung zu Marcus W. ab. Statt die Zurückweisung zu akzeptieren, setzte sich der gelernte Maler über Dorins Wunsch nach Abstand hinweg, soll sie regelrecht gestalkt haben und suchte immer wieder den Kontakt – über Wochen und Monate.

Am Tatabend, so erzählt er weinend vor Gericht, habe sie ihn bei einer finalen Aussprache in ihrer Wohnung beschimpft und gedemütigt – im Affekt will er sie daraufhin getötet haben. Für das Schwurgericht eine Lüge: Indizien deuten demnach darauf, dass Marcus W. die Ermordung der Frau wohl kaltblütig geplant hatte.

Die Kammer folgt dem Willen des Staatsanwalts und verfügt am 14. Juli lebenslangen Freiheitsentzug wegen Mordes. Trotz vorgeblicher Reue ergehe er sich offenbar vor allem im Selbstmitleid, kritisiert der Vorsitzende Richter den Angeklagten in der Urteilsbegründung.

Wohnhausbrand mit Todesopfer in Beilrode

Am 21. Juni 2020 brannte ein Wohnhaus im nordsächsischen Beilrode ab, ein 47-jähriger Bewohner im Obergeschoss konnte nur noch tot geborgen werden. Nach einem Indizienprozess verurteilt das Leipziger Landgericht den 71-jährigen Stiefvater des Opfers am 8. Oktober 2022 zu zwölf Jahren Gefängnis – wegen Brandstiftung mit Todesfolge.

Detlev B. wird zum Prozessbeginn in den Gerichtssaal geführt. Foto: Lucas Böhme
Detlev B. wird zum Prozessbeginn in den Gerichtssaal geführt. Foto: Lucas Böhme

Der Rentner hatte mit seiner Lebenspartnerin und deren leiblichem Sohn seit Jahren auf dem Gehöft gelebt – doch das Verhältnis beider Männer galt als spannungsvoll, der 71-jährige Detlev B. soll den gehbehinderten Mitbewohner als faul und nutzlos verachtet haben.

Genau das und die Hoffnung auf die Versicherungsprämie hätten den Angeklagten auch dazu gebracht, ein Feuer in der Scheune des Hauses zu entfachen, warf ihm die Anklage vor und sah einen heimtückischen Mord.

Das Schwurgericht erkennt dafür keinen Beweis, befindet den Angeklagten aber durch verschiedene Indizien zumindest der Brandlegung überführt: Er habe seiner Freundin, einer alten Jugendliebe, wohl aus einer problematischen Situation helfen wollen, in der das Haus und der Hof nur noch eine Belastung gewesen seien, sagt der Vorsitzende Richter.

Detlev B. hatte seine Täterschaft bis zum Schluss bestritten. Sein Anwalt kündigt Rechtsmittel gegen das Urteil an.

Drei Menschen sterben nach schockierendem Unfall: Raser soll in Haft

Schon der Notruf ließ damals das Schlimmste befürchten: Ein Smart Roadster war am Vormittag des 16. März 2021 auf der Prager Straße, Ecke Franzosenallee stadteinwärts in eine Menschengruppe gerast, die eine Fußgängerampel überqueren wollte.

Für zwei Passanten, einen 80-Jährigen und eine 85-Jährige, kam jede Hilfe zu spät, sie starben noch vor Ort. Eine weitere Frau (72) erlag kurz darauf im St. Georg ihren schweren Verletzungen. Eine 78-jährige Fußgängerin überlebte nach einer intensivmedizinischen Versorgung als einzige.

Blick auf die Anklagebank im Amtsgericht Leipzig.
Der Unfallfahrer Marko H. (51, r.) mit seinem Verteidiger Tino Rasser. Foto: Lucas Böhme

Vor dem Leipziger Amtsgericht muss sich ab November der 51-jährige Marko H. aus Leipzig verantworten – er saß am Steuer des Unfallwagens und war laut Staatsanwaltschaft mit 96 km/h gegen zwei Pfeiler geprallt, ehe er ins Schleudern kam und die Fußgänger erfasste.

Beim Prozess schweigt der Angeklagte weitgehend, versucht dann aber doch eine Art Entschuldigung an die Opfer. An den Unfall selbst will er sich aber nicht mehr erinnern. Obgleich der Arbeitslose seit Jahren an Epilepsie und anderen Krankheiten leidet, wird ein Anfall als Auslöser der Katastrophe nahezu ausgeschlossen: Autonarr Marko H. habe seinen eigenhändig getunten PKW gezielt austesten wollen, zeigt sich die Anklage überzeugt.

Das Amtsgericht folgt dieser Sicht – Marko H. wird wegen Kraftfahrzeugrennens, Gefährdung des Straßenverkehrs sowie fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung am 14. Dezember zu zwei Jahren und elf Monaten Haft verurteilt.

„Angeklagte und ihre Verbrechen“ erschien in gekürzter Fassung erstmals am 16. Dezember 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 109 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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