Er soll mehrere Menschen beleidigt, bedroht und angegriffen, zum Schluss sogar einen Security-Mitarbeiter mit einer abgebrochenen Flasche attackiert und lebensbedrohliche Verletzungen des Opfers riskiert haben: Seit Freitag steht ein 30 Jahre alter Mann wegen einer regelrechten Palette an Straftaten vor dem Leipziger Landgericht. Zum Prozessauftakt schilderte der Angeklagte eine ganz eigene Sicht.

Glaubt man der Anklage, dann geht eine ganze Reihe teils gravierender Straftaten auf das Konto von Mahamed S. (30). Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob zählte am Freitag vor dem Landgericht gleich sechs Komplexe auf: Im September 2021 schlug Mahamed S. demnach im Bereich Marcusgasse/Herrmann-Liebmann-Straße einem Mann mit einem Gegenstand ins Gesicht, der eine Platzwunde am Auge und eine Schnittwunde am Ohr davontrug.

Am 9. Januar 2022 soll der Angeklagte dann im Regionalexpress Leipzig-Dresden einer Zugbegleiterin Getränkeflüssigkeit ins Gesicht geschüttet haben, nachdem diese ihn ohne Fahrausweis erwischt hatte. Gleiches habe er einer Frau angetan, die der Schaffnerin helfen wollte. Nur vier Tage danach soll Mahamed S. dem Ladendetektiv eines Discounters im Hauptbahnhof einen Faustschlag verpasst haben – dieser hatte den Verdächtigen zuvor beim Diebstahlsversuch von Wodka und einem Energy-Drink gestellt.

Am 18. Januar 2022 der nächste Zwischenfall: Wiederum im Hauptbahnhof habe Mahamed S. zwei Sicherheitskräfte massiv bedroht und ihnen gegenüber Schlagbewegungen angedeutet, als die ihn auf sein auffälliges Verhalten ansprachen. Zwölf Tage später erwischte die Aggression des 30-Jährigen laut Anklage einen weiteren Mann vor der Westhalle des Hauptbahnhofs, den Mahamed S. geschlagen und getreten haben soll. Mutmaßlicher Anlass: Der Angegriffene hatte Mahamed S. aufgefordert, die Finger von seinen Sachen zu lassen.

Versuchter Totschlag an Security-Mitarbeiter?

Am 26. Februar 2022 soll die Lage schließlich eskaliert sein: Einer jener Security-Mitarbeiter, der Mahamed S. bereits am 18. Januar im Hauptbahnhof begegnet war und von ihm bedroht worden sein soll, erkannte den Angeklagten in der Westhalle offenbar wieder und wollte ihn wegen eines ausgesprochenen Hausverbots aus dem Gebäude verweisen. Daraufhin schlug Mahamed S. dem Sicherheits-Angestellten laut Anklage gegen die Schläfe und verletzte ihn mit einer abgebrochenen Flasche am Hals.

Die Westseite des Hauptbahnhofs. Foto: Sabine Eicker
Blick auf die Westseite des Hauptbahnhofs. Foto: Sabine Eicker

„Er nahm zumindest billigend in Kauf, ihn tödlich zu verletzen“, so Oberstaatsanwalt Jakob. Letztlich gelang es dem Security-Mann und seinem Kollegen, Mahamed S. zu fixieren, wobei letzterer Todesdrohungen ausgestoßen haben soll. Das Angriffsopfer trug Verletzungen am Hals davon und musste ambulant behandelt werden, der Mann war bis 1. März 2022 dienstunfähig. Die Anklagebehörde wertet den Vorfall als versuchten Totschlag.

Widersprüchliche Aussagen und Rassismus-Vorwurf

In einer ersten Erklärung räumte Mahamed S. am Freitag zumindest ein, am 9. Januar 2022 ohne Fahrschein im Zug unterwegs gewesen zu sein. Ziel der Reise war demnach seine Unterkunft in Oschatz. Zuvor hatte der Somalier, der die Schule in seiner Heimat angeblich bereits als Kind verließ und den Beruf des Schneiders erlernte, widersprüchliche Angaben gemacht, was seine Familie, den eigenen Werdegang und die Flucht nach Deutschland betraf. Hier hält er sich nach eigener Aussage seit Juni 2014 auf – zuletzt mit abgelehntem Asylantrag und Duldung.

Am 9. Januar 2022 habe er, nachdem er in Leipzig getrunken hatte, die Heimfahrt angetreten. Im RE 50 Richtung Dresden, der an jenem Sonntagmorgen kurz nach neun Uhr relativ leer war, sei ihn die Zugbegleiterin wegen seines fehlenden Fahrscheins angegangen, soll ihn gar wegen seiner dunklen Hautfarbe beleidigt haben, machte Mahamed S. geltend.

Manche der von ihm geschilderten Details widersprachen jedoch den Bildern des Geschehens, die von einer Überwachungskamera im Zug aufgezeichnet worden waren. „Sie tun sich keinen Gefallen, wenn Sie in den Bereichen, wo wir es Ihnen nachweisen können, eklatant lügen“, machte der Vorsitzende Richter Hans Weiß deutlich.

Zugbegleiterin: „Die Hemmschwelle ist gesunken“

Zugbegleiterin Silke D.* (59) beschrieb den Zwischenfall am Freitag anders: Demnach habe sich der Angeklagte auf der Zugtoilette verschanzt und sei auf ihr Klopfen hin zwar herausgekommen, habe aber die Bitte nach dem Fahrausweis ignoriert. Daraufhin habe sie den Lokführer um Unterstützung gebeten. Beim Halt des Zuges in Wurzen soll der Angeklagte auf die Aufforderung des Personals zum Ausstieg zunächst nicht reagiert und der Schaffnerin schließlich seinen Energy-Drink ins Gesicht geschüttet haben.

„Ich war wie gelähmt“, sagte Silke D. aus. Das Ereignis nahm die 59-Jährige derart mit, dass sie danach drei Monate krankgeschrieben war. Unabhängig vom dem Vorfall befände sie sich seit einigen Jahren in psychosomatischer Behandlung: „Ich liebe meinen Beruf. Ich will einfach alle Fahrgäste gleich behandeln.“ Aber: „Die Hemmschwelle in unserem Beruf ist so weit gesunken.“ Dass sie sich laut Angeklagtem rassistisch geäußert haben soll, wies Silke D. zurück.

Auch ihr hinzugerufener Kollege bestätigte diese Version: Mahamed S. habe das Angebot, in Wurzen auszusteigen und ein Ticket für den nächsten Zug zu kaufen, zunächst nicht wahrnehmen wollen, woraufhin sich eine heftige Diskussion entspann, erinnerte sich Lokführer Alexander W.* (21). Am Ende soll Mahamed S. ihm noch mit den Worten „Nächstes Mal pisse ich dir in den Mund“ gedroht haben.

Die Zugreisende Marianne N.* (31), die in das Geschehen eingreifen wollte, bekam von Mahamed S. nach eigener Aussage ebenfalls Getränkeflüssigkeit auf die Kleidung und ins Auge gespritzt. „Das hat mich lange beschäftigt“, so die junge Frau im Zeugenstand.

Prozesstermine bis Ende Januar

Die 16. Strafkammer hat aktuell noch vier weitere Verhandlungstage angesetzt, um die Straftaten-Serie aufzuklären. Zunächst wird der Angeklagte noch die Gelegenheit bekommen, sich zu den weiteren Vorwürfen zu erklären.

Zusätzlich ist dann eine Reihe von Zeugenvernehmungen geplant, auch Sachverständige sollen zu Wort kommen. Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt. Ende Januar könnte womöglich ein Urteil fallen.

*Die Namen aller Zeugen wurden geändert.

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Ja, was soll man dazu sagen? Duldung ist bei manchen keine Option, das sehen wir immer wieder.

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