Er wusste nicht, wo seine Zigaretten sind – und das hätte ihn laut Anklage fast das Leben gekostet: Mit knapper Not und Glück überlebte ein 64-jähriger Mann den Gewaltexzess, den ihm ein 30-Jähriger am 1. September in seiner eigenen Leutzscher Wohnung angetan haben soll. Der schockierende Vorfall reiht sich ein in eine ganze Reihe vorgeworfener Gewalttaten, aufgrund derer Christian F. sich seit Mittwoch am Landgericht verantworten muss. Ein günstiger Zufall konnte offenbar am Ende das Schlimmste verhindern.

Es war die reinste Tortur an exzessiver Gewalt, die der obdachlose Christian F. begangen haben soll. Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob hatte am Mittwoch gleich sechs Tatkomplexe im Gepäck, die laut Anklageschrift am 29. oder 30. August 2022 begannen: Damals soll Christian F. seine Bekannte Janina M.*, die er aus der Hamburger Obdachlosenszene kannte, auf einer Bank in der Franz-Flemming-Straße bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben – die heute 32-Jährige nässte sich dabei ein.

Am 1. September habe er an den Leutzsch-Arkaden mehrfach Gläser und Flaschen in ihre Richtung geschmissen, wobei auch Passanten in Gefahr gerieten. Am Ende wurde hier durch Glück niemand verletzt.

Gewaltausbruch in Leutzscher Wohnung

Ganz anders nur kurz darauf am selben Abend: In der nahen Wohnung von Manfred K.* in der Georg-Schwarz-Straße soll Christian F., der dort gemeinsam mit Janina M. Unterschlupf gefunden hatte, den älteren Mann nach Zigaretten gefragt haben. Als der 64-Jährige erwiderte, er wisse nicht, wo diese seien, sei Christian F. vollkommen ausgetickt, habe mit Gläsern und Bierflaschen auf Kopf und Körper von Manfred K. eingedroschen, ihn gewürgt und mit einem Messer auf das Opfer eingestochen.

Manfred K. habe sich nicht wehren können und notdürftig zu schützen versucht, wobei Christian F. klar war, dass er den Geschädigten hätte töten können, so der Oberstaatsanwalt. Das Tatmotiv – eine Bestrafung für die nicht zufriedenstellende Antwort auf die Zigarettenfrage und der Wunsch, sich abzureagieren – stünde sittlich auf niedrigster Stufe.

Besatzung eines Streifenwagens griff ein

Doch damit nicht genug: Noch in der Wohnung soll Christian F. seine Bekannte Janina M. an den Haaren gezogen, ihr mit einer Schere in die linke Wange gestochen und sie aufgefordert haben, für ihn anschaffen zu gehen. Beide verließen danach laut Anklage die Wohnung von Manfred K., der schwerstverletzt und hilflos zurückgelassen wurde, und begaben sich in Richtung Hans-Driesch-Straße. Wiederum soll Christian F. der verängstigten Janina M. auf Kopf und Brust geschlagen und ihr gedroht haben, sie abzustechen, falls sie ihm keinen blase. Aus der Wohnung von Manfred K. soll er zuvor zwei Messer eingesteckt haben.

In der Nähe des Leutzscher Rathauses habe der Angeklagte die Frau in eine dunkle Ecke gedrängt – doch gelang es ihr, gegen 23.30 Uhr die Besatzung eines zufällig vorbeifahrenden Streifenwagens auf sich aufmerksam zu machen. Christian F. habe sich der Aufforderung der Polizisten, sich an die Wand zu stellen, widersetzt, wurde daraufhin zu Boden gebracht und fixiert. Erst mit hinzugerufener Verstärkung konnten die Beamten den Mann schließlich fesseln, wobei er massive Beleidigungen und Morddrohungen gegen die Gesetzeshüter und deren Familien ausgestoßen haben soll.

Schließlich fand man auch den schwer verletzten Manfred K. in seiner Wohnung, er wurde sofort stationär aufgenommen. Der 64-Jährige hatte Schnittverletzungen an Händen, Unterarmen, Beinen und dem Kopf erlitten, dazu Frakturen und eine beidseitige Hirnblutung. Die Staatsanwaltschaft stuft den Gewaltexzess gegen ihn als Mordversuch ein.

Angeklagter will sich womöglich äußern

Zum Prozessbeginn kam es am Mittwoch vor dem Landgericht lediglich zur Verlesung der Anklage. Laut seiner Anwältin Pamela Pabst könnte sich Christian F. aber am nächsten Verhandlungstag zu den Vorwürfen äußern.

Dem jungen Mann, welcher sich in Untersuchungshaft befindet, droht bei einer Verurteilung unter anderem wegen versuchten Mordes, versuchter schwerer Vergewaltigung, Bedrohung und gefährlicher Körperverletzung eine sehr hohe Freiheitsstrafe. Der Prozess vor der 1. Strafkammer wird am 14. März fortgesetzt, ein Urteil frühestens Ende des Monats erwartet.

*Die Namen der Geschädigten wurden geändert.

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