Er hatte vor vielen Jahren getötet, galt damals als schuldunfähig. Nun soll er versucht haben, seine Frau zu ermorden: Seit Montag muss sich ein 72-jähriger Mann vor dem Leipziger Landgericht verantworten. Laut Staatsanwaltschaft hatte der Senior im Sommer vergangenen Jahres mit einem Kerzenständer in Tötungsabsicht auf die eigene Ehefrau eingeprügelt – sie konnte den Angriff aber abwehren und überlebte.

Das beschauliche Markkleeberg, ein Einfamilienhaus nahe dem Cospudener See: An diesem idyllischen Ort soll sich am 20. Juli vergangenen Jahres ein Verbrechen abgespielt haben, das wohl leicht hätte tödlich ausgehen können – und sollen, wenn man der Anklage folgen mag. Klaus U. (72) habe am Tattag gegen 10 Uhr das Schlafzimmer seiner Gattin betreten, die gerade am Aufwachen war, ihr einen Faustschlag verpasst und mit einem 2,8 Kilo schweren Kerzenleuchter auf die überraschte Frau eingeprügelt, warf Staatsanwalt Torsten Naumann dem Senior in seiner Anklageschrift vor.

Zudem habe er ihr gedroht, mit Worten wie „Du stehst hier gar nicht mehr auf, du stirbst hier allein, mit mir zusammen“ und Ähnlichem. Die Anklage lautet auf versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.

Die Angegriffene Sabrina G. (Name geändert) konnte Klaus U. im Handgemenge zurückstoßen, über die Treppe flüchten und per Handy die Polizei alarmieren, heißt es weiter. Die 56-jährige Frau überlebte den Angriff schwerverletzt, sie erlitt ein offenes Schädelhirntrauma, Frakturen des Schläfenbeins, Einblutungen, Weichteilverletzungen und Kratzspuren, war bis Ende 2022 arbeitsunfähig.

Angeklagter will sich nicht äußern

Das Paar hatte sich schon 2005 kennengelernt und 2016 geheiratet – so bestätigte es Sabrina G. am Montag im Zeugenstand. Zuvor hatte ihr angeklagter Mann durch seinen Verteidiger Tommy Kujus erklären lassen, dass er sich zur Anklage nicht äußern wolle, auch über seine persönlichen Verhältnisse werde er vorerst nichts weiter sagen.

Sabrina G. jedoch belastete ihn, nachdem er sich mit seinem Anwalt im Gerichtssaal außerhalb ihres direkten Sichtfeldes gesetzt hatte. Der Geschädigten fiel es sichtbar schwer, nach fast acht Monaten wieder mit dem Menschen in einem Raum zu sein, der ihr nach dem Leben getrachtet haben soll.

2001 tötete er seine Ehefrau in Berlin

Die Partnerschaft und spätere Ehe mit ihrem deutlich älteren Mann sei immer wieder von „Turbulenzen“ geprägt gewesen, erinnerte sich Sabrina G., die Nebenklägerin im Prozess ist und durch eine Anwältin unterstützt wird. Der unterschiedliche Charakter des Paares – sie eher still und ruhig, er extrovertiert – habe zu Spannungen im Alltag geführt.

Und es gab ein Verbrechen in der Biografie des Mannes, über das auch Sabrina G. Bescheid wusste: Am 25. April 2001 hatte Klaus U. seine 24 Jahre jüngere Frau in Berlin-Köpenick wohl aus Eifersucht getötet, sich selbst Verletzungen mit einem Messer zugefügt. Die Berliner Mordkommission nahm den damals 50-Jährigen fest – das Landgericht sprach ihn aber aufgrund von Schuldunfähigkeit frei. Dies ist üblich, wenn etwa eine psychische Erkrankung vorliegt und davon auszugehen ist, dass ein Straftäter für sein Handeln nicht verantwortlich gemacht werden kann. Oft ordnen Gerichte dann statt regulärer Haft eine Einweisung in Fachkliniken an, wenn der Verbrecher als gefährlich eingestuft wird.

Sabrina G. sei in dieser Hinsicht jedoch angstfrei gewesen und habe keine Vorurteile gegenüber Klaus U. haben wollen.

Angriff im Schlafzimmer

Doch welches Motiv könnte den früheren Übertragungstechniker diesmal angetrieben haben? Warnzeichen habe es in den Tagen vor dem Angriff nicht gegeben, meinte Sabrina G., deren Ehebund mit Klaus U. schon seit geraumer Zeit zu einer Art Zweckgemeinschaft ohne Intimität geworden war, zumal es dem Rentner körperlich und mental seit Monaten zunehmend schlecht ging. Von Februar bis April 2022 war er nach einem Sturz in der Klinik Zschadraß.

An den Morgen der Tat erinnerte sie sich schemenhaft, dass sie im Halbschlaf auf ihrem Bett des eigenen Schlafzimmers lag, als sich die Tür öffnete: „Ich habe minimal die Augen geöffnet und einen Schatten wahrgenommen.“ Dann traf sie auch schon der erste Schlag. Gegenüber der Kripo hatte Sabrina G. nach dem Vorfall ausgesagt, dass ihr Mann sie dabei mit Vorwürfen wie „Was kann ich dafür, dass ich anders bin als du?“ und „Du willst dir das Haus unter den Nagel reißen“ konfrontiert habe.

Angst vor Verarmung

Hatte sich Klaus U. also in irrationale Ideen hineingesteigert? Immerhin soll der dreifache Vater mehrfach Ängste vor einer persönlichen Verarmung kundgetan haben. Objektiv gab es dafür keinen Beleg: Mit 3.000 Euro Rente von Klaus U. plus dem Gehalt seiner Gattin und Einnahmen aus der Untervermietung von Räumen im Haus hatte das Ehepaar keinen schlechten Stand – auch in Zeiten von Krise und Inflation.

Spekuliert wird außerdem, ob Klaus U. geplant hatte, seine Frau und sich selbst zu töten oder nicht mit dem Umstand klarkam, dass Sabrina G., die nach eigenem Befinden eine Pause brauchte, am Tag des Angriffs einen Urlaub antreten wollte – ohne ihren Mann. Suizidgedanken seien bei ihm trotz seiner desolaten Verfassung aber nie ein Thema gewesen, erklärte Sabrina G. auf Nachfrage.

Seinen Ehering trägt er noch

Mit weiteren Zeugenvernehmungen will das Schwurgericht den schwerwiegenden Tatvorwurf nun aufklären – dass der 72-jährige Klaus U. selbst dazu beiträgt, ist aktuell nicht zu erwarten. Dazu soll ein psychiatrisches Gutachten Aufschluss über seine Persönlichkeit und Steuerungsfähigkeit geben. Vorerst bleiben die Hintergründe der mutmaßlich von Klaus U. begangenen Tat unklar.

Er sitzt seit seiner Festnahme in Untersuchungshaft und folgte dem Prozessauftakt am Montag schweigend, blickte meist nach unten, schüttelte jedoch einige Male den Kopf. Einen Ehering trug er immer noch.

Weitere Verhandlungstermine am Landgericht sind bis 9. Mai angesetzt.

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Hinweis: In diesem Text spielen Spekulationen über das Thema Suizid eine Rolle.

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