Entgegen der Behauptung des Angeklagten habe es weder einen Unfall gegeben noch eine Notwehrlage: Im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder der 30 Jahre alten Jessica S. aus Paunsdorf hat die Anklage am Mittwoch lebenslange Haft für ihren Ex-Partner wegen Mordes beantragt. An Marcus K. (41) richtete die Staatsanwältin zum Schluss auch ganz persönliche Worte.
Auf einem Social-Media-Video Ende November 2023 sitzt Jessica S. aus Paunsdorf vor einer Weltkarte, bewegt ihre Lippen zu Liedzeilen des Ohrwurms „Teenage Dirtbag“ aus dem Jahr 2000. Der beispielhafte Clip passt zum Wesen der zweifachen Mutter, wie es Zeugen im Prozess beschrieben hatten: Kreativ sei die junge Frau gewesen, temperamentvoll, offen, voller Lebensfreude und Glauben an die Zukunft. Doch ein halbes Jahr nach Hochladen des Videos lebte sie nicht mehr.
Staatsanwaltschaft sieht klare Beweislast
Die 30-jährige Modeverkäuferin wurde am Morgen des 21. Mai 2024 von ihrem Ex-Partner im Schlaf erstochen, weil der ihre Trennung nicht akzeptierte – davon zeigte sich die Anklage in ihrem Plädoyer am Mittwoch im Landgericht überzeugt.
Auch wenn es vom Tathergang in der Paunsdorfer Wohnung weder Aufnahmen noch Augenzeugen gibt, lasse die Beweisaufnahme keinen alternativen Schluss zu, sagte Staatsanwältin Vanessa Fink, während der mutmaßliche Mörder Marcus K. die Augen reglos geschlossen hielt. 90 Minuten fasste die Anklagevertreterin ihre Sicht zusammen, angefangen bei der Beziehung des 41-jährigen Fliesenlegers zur jüngeren Jessica. Beide hatten sich vor etwa acht Jahren kennengelernt.
Beziehung offenbar immer wieder von Krach geprägt
Jessica S. brachte damals eine heute 11 Jahre alte Tochter aus einer früheren Beziehung mit, die den Stiefvater sofort annahm, später kam noch ein gemeinsamer Sohn auf die Welt. Das Verhältnis des charakterlich unterschiedlichen Paars war dann laut Zeugen aber trotz aller Bemühungen auch von Alltagsstreit und einer zunehmenden Auseinanderentwicklung geprägt: „Ich sehe mich nicht in der Position, ein Schwarzweißbild zu zeichnen“, betonte Staatsanwältin Fink in ihrem Schlussvortrag.
Einen Nachweis für ein heftiges Machtgefälle in der Beziehung sehe sie nicht, auch nicht für körperliche Gewalt, sehr wohl aber für Eifersucht, Besitzdenken und Kontrolltendenzen. Außerdem soll Jessica gegenüber Bekannten von sexuellen Übergriffen und Vorlieben ihres Partners berichtet haben, die sie ablehnte.
Für die Staatsanwältin eines der Indizien, die darauf hindeuteten, dass Marcus K. seine Ideen von Beziehung und Familienleben über den Willen Jessicas stellte. Diese hatte Marcus K. vier Wochen vor ihrem Tod nach langem Zögern die Trennung verkündet, wollte im August mit den Kindern eine neue Wohnung in der Nähe beziehen. Auch hatte sie Bekanntschaft zu einem Mann geschlossen, den sie sehr mochte.
Messer und Handy fehlen bis heute
Laut Marcus K. soll Jessica ihn am Morgen des 21. Mai 2024 auf der Couch, wo sie allein genächtigt hatte, überraschend mit einem Messer bedroht haben. Beim Versuch, es ihr abzunehmen, habe er sie unbeabsichtigt tödlich am Hals verletzt, behauptete der Handwerker.
Für die Ermittler eine Lüge: Es gäbe laut Gutachtern keine Abwehrspuren und auch sonst nichts, was auf eine Kampfsituation schließen ließe, sagte die Staatsanwältin. Bis heute gelten das mutmaßliche Mordwerkzeug und das Handy des Opfers als verschwunden. Ob Marcus K. die potenziellen Beweismittel beseitigte, womöglich mithilfe Dritter, ist ungeklärt. Fragen dazu ließ er im Verfahren unbeantwortet.
Überhaupt passe es nicht zum Bild Jessicas, dass sie beim Schlafen ein Messer bei sich gehabt und Marcus K. aus der Kalten bedroht haben soll. Vielmehr hatten Freundinnen berichtet, dass Jessica darauf achtete, ihren Ex trotz Trennung nicht schlechtzureden und allein wegen der Kinder auch künftig ein gutes Verhältnis zu pflegen. Zudem stelle sich die Frage, warum Marcus K. bei einem angeblichen Unfall nicht den Notruf alarmiert habe.
„Hoffe, dass Sie irgendwann zu Ihrer Schuld stehen können“
„Was er da angeboten hat, ist mitnichten ein Geständnis, sondern eine Umkehr vom Täter zum Opfer“, sagte Fink, die in Erinnerung rief, dass es erst am Vorabend erneut einen Streit des Paares gab, den auch die Kinder mitbekamen. „Ich gehe davon aus, dass sich der Angeklagte in dieser Nacht entschlossen hat, Jessica zu töten.“
Dabei habe der Mann heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen gehandelt, weil er realisiert hatte, dass Jessica ihr Leben autonom gestalten wollte und es keinen Rückweg mehr gab. Gezielt, so Fink, nutzte er die Arglosigkeit der schlafenden Frau aus, indem er ihr das Messer in den Hals stach. Danach brachte Marcus K. die Kinder per Auto zu seiner Mutter, hatte für den Sohn und die Stieftochter nach eigener Aussage auch einen Rucksack mit Wertgegenständen und einer größeren Menge Bargeld gepackt.
Vor ihrem Antrag – lebenslange Haft wegen Mordes – sprach die Staatsanwältin Marcus K. direkt an. Nicht in ihrer beruflichen Funktion, sondern „als Mensch“ erinnerte sie ihn daran, dass er anderen die Mutter, Tochter, Schwester und Freundin genommen habe: „Ich hoffe, dass Sie irgendwann zu Ihrer Schuld stehen können, ohne Wenn und Aber.“
Für den Prozess sind noch die Plädoyers von Nebenklägern und Verteidigung geplant, ehe Marcus K. das letzte Wort erhält. Am 20. Juni könnte die Kammer ihr Urteil sprechen.
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